Nikolaus Harnoncourt
Der unantastbare Status dieses Künstlers, der immer wieder an sich zweifelte, um sich neu zu erfinden, war zu Beginn der 70er Jahre, als das Universum der klassischen Musik, die nur aus der Romantik und Post-Romantik zu bestehen schien, noch nicht zu erahnen. Der große Musiker Nikolaus Harnoncourt, eine der bedeutendsten Figuren des neuen Barock, verstarb nur 3 Monate nachdem er seinen musikalischen Ruhestand angekündigt hatte, im Alter von 86 Jahren. "Barock-Papst", "Pionier des Barock", "Philosoph der Alten Musik" – ein Image, das die geniale Persönlichkeit des als Johann Nicolaus Graf de la Fontaine und d’Harnoncourt-Unverzag geborenen Dirigenten, Cellisten und Gambisten, der die Art Alte Musik zu spielen neu entdeckte, nicht verstecken konnte. Der unantastbare Status dieses Künstlers, der immer wieder an sich zweifelte, um sich neu zu erfinden, war zu Beginn der 70er Jahre, als das Universum der klassischen Musik, die nur aus der Romantik und Post-Romantik zu bestehen schien, noch nicht zu erahnen. Harnoncourt, der das von ihm im Jahre 1953 in Wien gegründete Concentus Musicus leitete, widmete sich hingegen den Noten des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts und näherte sich ihnen mit einem völlig neuen historischen Ansatz. Ein Ansatz, der mit der Wiederentdeckung und der Herstellung von historischen Instrumenten, mit denen diese Musik gedacht und interpretiert wurde, einherging. Wenn diese alten Instrumente wie auch die Partituren und die Komponisten des Barock heute einen recht prominenten Platz in der Musikwelt für sich beanspruchen, sahen sich Harnoncourt und seine Weggefährten zu Beginn noch mit Unverständnis und sogar Beleidigungen von ihren sogenannten Kollegen, Kritikern und der Öffentlichkeit konfrontiert. Seine Intelligenz und Hartnäckigkeit haben jedoch dafür gesorgt, dass er letztendlich mit dieser künstlerischen Auferstehung Recht behielt. Ihm gelang eine Revolution der barocken Interpretationen, die ihn nicht daran hinderten, sich auch einen Namen im Bereich der Musik anderer Jahrhunderte und Komponisten zu machen. Sein alter Freund und Kollege Gustav Leonhardt, mit dem er die ersten kompletten Bach-Kantaten einspielte, spielte Froberger bis zu seinem Tode vor vier Jahren, während Harnoncourt sich auch an Bruckner, Verdi, Offenbach und sogar Porgy & Bess von Gershwin wagte...Nikolaus Harnoncourt verstarb am 6. März 2016 im österreichischen Sankt Georgen im Attergau…
Harnoncourt, der am 6. Dezember 1929 in Berlin als Sohn eines Ingenieurs, der ebenfalls ein leidenschaftlicher Klavierspieler war, geboren wurde, verließ seine Geburtsstadt und zog mit seiner Familie nach Graz, wo sein Vater seine Karriere auszubauen erhoffte. In Wien schließlich begann Harnoncourt im Alter von neun Jahren das Spielen des Violoncellos zu erlernen – zunächst mit Paul Grümmer (einem Mitglied des Busch-Quartetts), anschließend in der Klasse von Emanuel Brabec (dem ersten Violinisten der Wiener Philharmoniker und Mitglied des Boskovsky-Quartetts) an der Wiener Musikakademie. Harnoncourt ist 24 Jahre alt, als er 1953 bei einem gewissen Herbert von Karajan bei den Wiener Symphonikern (wo er bis 1969 blieb) engagiert ist und mit seiner Frau, der Violinistin Alice Hoffelner, den Concentus Musicus Wien gründet. Dieses innovative und in seiner Art einzigartige Ensemble, das ausschließlich aus Originalinstrumenten oder Kopien dieser besteht, hat wesentlich zu der Neuerfindung des Umgangs mit der Barockmusik beigetragen. Es widmet sich auf eine beinahe wissenschaftliche Art und Weise den historischen Dokumenten, von der Harnoncourt überzeugt ist, dass sie die Rückkehr zur historischen Wahrheit bedeutet, die für dieses Repertoire notwendig ist.
Im Jahre 1957 gab Nikolaus Harnoncourt seine ersten Konzerte, deren Einfluss bis in die 70er/80er Jahre, in denen er eine gewisse Berühmtheit erreichte, hinein ungebrochen war und die nahezu Kultstatus erreichten: die Brandenburgischen Konzerte und die Bach-Kantaten (mit Leonhardt), L'Orfeo, Die Heimkehr des Odysseus und Die Krönung der Poppea von Monteverdi, Jephtha, Belshazzar, Saul und das Alexanderfest von Händel, der Konzertzyklus Il Cimento dell' armonia e dell' invenzione von Vivaldi... Der Name Harnoncourt wurde maßgebend: 1972 wurde er gebeten, die Interpretation alter Musik am Mozarteum in Salzburg zu lehren (eine Position, die er bis 1993 innehatte) und Konferenzen am musikalischen Institut der Universität der Stadt zu geben.In den späten 70er Jahren dann die große Wende. Harnoncourt möchte sich nicht länger auf das barocke Repertoire beschränken und wendet sich den modernen Formationen zu - mit den Berliner Philharmonikern und vor allem mit dem Amsterdam Concertgebouw Orchestra, dessen Leiter er im Jahr 1977 wurde – und behält auch hier stets seine Marnier und seinen Respekt für die Historie in Bezug auf Tempi und Klangbalance bei. Nach mehreren Monteverdi-Opern mit Jean-Pierre Ponnelle baut Harnoncourt seine Zusammenarbeit mit dem Regisseur weiter und arbeitet mit ihm an einem Mozart-Zyklus (Idomeneo, Die Entführung aus dem Serail, Die Zauberflöte). In den frühen 90er Jahren erregte seine Aufnahme der Sinfonien von Beethoven großes Aufsehen, gefolgt von Offenbachs nicht weniger beachtenswerten Die Großherzogin von Gerolstein und Carmen von Bizet. Diese langjährige Erfahrung in großen traditionellen Orchestern, die Nikolaus Harnoncourt sammelte, brachte ihn dazu, sein Repertoire ständig zu erweitern - also sich zum Beispiel an Operetten und sogar Gerswhin zu wagen, dessen Porgy & Bess er dirigierte - und seine Interpretationen und seine Position zu überdenken und teilweise sogar eine zu seinen in früheren Jahren teilweise gegensätzliche Haltung einzunehmen.
In seinem Buch von 1984 Der musikalische Dialog: Gedanken zu Monteverdi, Bach und Mozart war dieser Trend bereits bemerkbar. Auch wenn er stets ein Vorreiter der Barockmusik war, verfolgte er nicht nur diese eine Vision, sondern zeigte einen flexiblen Geist, der sich ständig hinterfragte und so nicht zum Opfer der Routine wurde.
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