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Injury Reserve|By the Time I Get to Phoenix

By the Time I Get to Phoenix

Injury Reserve

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Es gibt wohl keinen besseren künstlerischen Katalysator für Kummer und Trauer als Musik. Die Liste an Alben, die einzig aus persönlichen Tragödien entstanden sind oder neu kontextualisiert wurden, ist lang, sehr lang. Dabei gelten genreübergreifend gewisse Stereotype, die man mit diesem Prozess von Natur aus assoziiert. Trauer ist leise, Trauer ist melancholisch, Trauer ist weinerlich. Aber Trauer ist eben auch chaotisch, laut, lässt einen mit einem Gefühl der Ohnmacht alleine und lotet die Grenzen der eigenen Belastbarkeit mit einer unvergleichlichen Radikalität aus. Trauer widersetzt sich manchmal einfach jeder Beschreibung.

Die irreversiblen seelischen Narben, das Krisselbild im Hirn, wenn Erinnerungen wie Nadelstiche den eigenen Verstand torpedieren, das ungläubige Bewusstwerden der eigenen Sterblichkeit zwischen den aufgebrauchten Tempo-Packungen: Nur wenige trauen sich an diesen Ort, schlichtweg, weil er fast unmöglich in Worte zu fassen ist.

Als Jordan Groggs am 29. Juni starb, riss das Leben Parker Corey und Nathaniel Ritchie dorthin. Wieso stirbt ihr bester Freund, ein 32-jähriger vierfacher Vater, einfach so? "By The Time I Get To Phoenix", Injury Reserves zweites Album, das schon zu Groggs Lebzeiten konzipiert wurde, versucht gar nicht erst, diese Frage mit existenziellem Phrasengedresche beantworten. Vielmehr klingt die LP, als hätte man ein Kabel direkt in das limbische Zentrum ihrer Hirne gebohrt und all die konfusen, wild durcheinanderströmenden Emotionen auf Vinyl gepresst. "Oh, but you know, the heart can take so much", sang Isaac Hayes auf dem epochalen Tearjerker, der dem Album seinen Titel verlieh. "By The Time I Get To Phoenix" ist, was passiert, wenn das Herz unter der Last der eigenen Gefühle kollabiert.

Das Album schlägt selbst für eine grenzgängerische Gruppe wie Injury Reserve eine solch radikal-andere Richtung ein, dass einem die bisherige Diskographie wie ein Testlauf vorkommt. Selbst das Genre-Label Hip Hop, das basierend auf ihren Mixtapes für den Rest ihrer Karriere im Grunde in Beton gegossen schien, gerät hier an die äußersten Grenzen seiner Definition. Raps im Stile ihres Debüts sucht man ebenso vergebens wie konventionelle Songstrukturen oder Instrumentals, die dem Wort "Beat" gerecht werden würden.

Parker Coreys Produktion gehört zweifelsohne zu den abstraktesten und wildesten Instrumental-Konstrukten, die dieses Genre in jüngster Vergangenheit, vielleicht sogar jemals, zu hören bekam. Während Ritchie seine zerbröselnde Gefühlswelt mit dem evokativen Einsatz seiner Stimme zum Ausdruck bringt, die er mal bis zur Unkenntlichkeit in Autotune oder Reverb ertränkt, mal unter hirnschmelzenden Samples begräbt und immer wieder ins Gespenstische verzerrt, kehrt Corey sein emotionales Innenleben mittels eines Fegefeuers an höllischen Kompositionen nach außen. Die, so scheint es, entwickeln mit andauernder Laufzeit ein Eigenleben und erscheinen so anders, das Worte ihnen fast nicht gerecht werden können.

Groggs selbst findet in Form zweier posthumer Verses seines Weg auf das Album, und beide stechen erwartungsgemäß mitten ins Herz. Besonders die Zeilen über seinen Kampf gegen den Alkoholismus auf "Knees" hallen länger nach als sie sollten: "Keep on killin' these bottles, these bottles / Knees hurt, my knees hurt 'cause I'm growin' / And that's a tough pill to swallow", singt er da müde. Sein Geist lebt jedoch auch in jedem anderen Song, in dem er nicht mehr selbst ans Mikrofron treten konnte.

Black Midi und Black Country, New Road-Samples machen aus den beiden Singles "Superman That" und "Knees" eine absolut einzigartige Melange aus Post-Rock und abstraktem R'n'B. Die findet in der mittlerweile fast schon festgefahrenen Nische des experimentellen Hip Hop, die Künstler wie Death Grips oder Clipping. maßgeblich prägten, neue unbeschrittene Wege, um zu überraschen.

Gerade "Superman That" ist eine Meisterleistung in musikalischer Textur und Arrangement. Wie die eröffnende Melodie aus "Athens, France" mit hyperaktiv rasselnder Percussion und Arcade-Synths aus der Videospiel-Vorhölle kollidiert, spiegelt nicht nur die überfordernde Ohnmacht der beiden Bandmitglieder wider. Es versetzt einen, untermalt von Ritchies unbeirrt-gesungenen "Ain't no savin' me or you"-Mantra, fast schon in eine apokalyptische Trance.

Auf dem Opener "Outside", wo Black Midi-Drummer Morgan Simpson sogar persönlich am Schlagzeug sitzt, kehrt Corey dieses Konzept um und lässt das instrumentale Fundament weitestgehend brachliegen. Mehrfach gelayerte surreale Synths bilden über die Hälfte der Laufzeit Ritchies einzige Begleitung, ehe er verstummt und Corey seinen Syntheziser in Overdrive kickt. Auch Drummer Simpson steigt in das aszendierende Outro mit ein, und wieder setzt ein ähnlicher Effekt ein wie auf "Superman That": Man verstummt angesichts der emotionalen Potenz, die diesen Instrumentals innewohnt. Wenn Rapper wie Young Thug oder Playboi Carti ihre Stimmen wie Instrumente einsetzen, dann setzt Parker Corey seine Instrumente wie Stimmen ein. Hunderte Stimmen, die weinen, wehklagen, schreien und das aussprechen, wofür Ritchie die Worte fehlen.

Er bleibt ohnehin in seiner Lyrik meist relativ vage und assoziativ, was dem in seinem anarchischen Chaos fast schon Free Jazz-igen-Charakter der LP gerecht wird. Auf "Top Picks For You" findet Ritchie allerdings klare Worte: "I felt loss but a hole like this I never coulda imagined." Der Song nimmt eine interessante Perspektive ein und greift den Fußabdruck auf, den Groggs für ewig im Leben seiner Freunde und Familie, aber auch für den Rest der Welt hinterlässt. "Your patterns are still in place and your algorithm is still in action", rappt Ritchie. Und er hat Recht. Mit nur wenigen Klicks landet man auf Jordan Groggs Instagram-Seite, wo er uns von seinem letzten Foto mit seinen Kindern im Arm entgegen lacht. Ein surreales Bild, ein unfaires Bild, das eine so niederschmetternde Konnotation nicht verdient.

"You blow up through this home, your habits do much after / Grab the remote, pops up something you would've watched", stellt Ritchie melancholisch fest. Dieser Moment der Reminiszenz hält jedoch nicht ewig an. "Just workin' so that you can just jump right back in / But you ain't jumpin' back / Yeah, just run it back", heißt es am Ende.

"Smoke Don't Clear" und "Footwork In A Forest Fire" klingen wie eine auditive Migräne, ein Sperrfeuer der Emotionen, durch das sich Ritchie mit manischer Energie kämpfen muss, um wieder einen klaren Gedanken fassen zu können. "Strap up your own boots, it's all uphill from there", rappt er mit Schaum vor dem Mund und scheint dabei an der Klippe seines eigenen Verstands zu stehen, kurz davor, sich in den Wahnsinn zu stürzen.

Wie auf dem Cover, steigt er allerdings mit zunehmender Laufzeit aus der Hölle auf, die um ihn herum und in seinem Kopf vom Zaun bricht, bis er auf "Bye Storm" sinnbildlich über seiner Heimatstadt schwebt, um ein letztes Mal von seinem verstorbenen Freund Abschied zu nehmen. "We laugh, we jokers, man that's just how they want it", heißt es dann, während zur umarmenden Gitarren-Melodie aus Brian Enos "Here Come The Warm Jets" der Abspann läuft. Es ist ein versöhnliches Bild, ein finaler Moment der Ruhe, in dem sich die Kluft an diesem unbeschreiblichen Ort der Trauer ein wenig zu schließen beginnt: "Bye storm, I know, I know / I must show everything / The show must go on."

"By The Time I Get To Phoenix" ist ein unmögliches Album, ein Glitch in der Matrix, eine Anomalie, ein Fehler im System. Hier kollidieren gegensätzliche musikalische Welten und Emotionen so unnachgiebig ineinander, dass einem nichts übrig bleibt, als sich dem daraus resultierenden Mahlstrom kapitulierend hinzugeben. Wenn einen dieser nach 40 Minuten wieder ausspuckt, ist man ein aufgelöstes und überfordertes Wrack, und das ist auch gut so. Injury Reserve haben aus der größten Tragödie ihres Lebens den vielleicht innovativsten musikalischen Triumphzug des Jahres geschaffen, an dessen Ende die Tragödie aber immer noch an erster und der Triumph an zweiter Stelle steht. Rest easy, Jordan Groggs.

© Laut

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By the Time I Get to Phoenix

Injury Reserve

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1
Outside Explicit
00:06:14

Nathaniel Ritchie, ComposerLyricist - Injury Reserve, Producer, MainArtist - Morgan Simpson, ComposerLyricist - William Corey, ComposerLyricist - Jordan Groggs, ComposerLyricist - Angel Gilberto Rada Requiz, ComposerLyricist

2021 Injury Reserve 2021 Injury Reserve

2
Superman That Explicit
00:02:40

Nathaniel Ritchie, ComposerLyricist - Injury Reserve, Producer, MainArtist - William Corey, ComposerLyricist - Jordan Groggs, ComposerLyricist - May Kershaw, ComposerLyricist - Georgia Elizabeth Ellery, ComposerLyricist - Lewis David Evans, ComposerLyricist - Tyler Eva Beatrice Hyde, ComposerLyricist - Luke Jay Mark, ComposerLyricist - Charlie Somerset Pailthorp Wayne, ComposerLyricist - Isaac George Wood, ComposerLyricist

2021 Injury Reserve 2021 Injury Reserve

3
SS San Francisco (feat. Zelooperz) Explicit
00:03:51

Mark Edward Smith, ComposerLyricist - Stephen Hanley, ComposerLyricist - Walter Williams, ComposerLyricist - Nathaniel Ritchie, ComposerLyricist - ZelooperZ, FeaturedArtist - Injury Reserve, Producer, MainArtist - William Corey, ComposerLyricist - Jordan Groggs, ComposerLyricist

2021 Injury Reserve 2021 Injury Reserve

4
Footwork in a Forest Fire Explicit
00:03:36

Robert Fripp, ComposerLyricist - Nathaniel Ritchie, ComposerLyricist - Injury Reserve, Producer, MainArtist - William Corey, ComposerLyricist - Jordan Groggs, ComposerLyricist

2021 Injury Reserve 2021 Injury Reserve

5
Ground Zero Explicit
00:02:25

Mark Edward Smith, ComposerLyricist - Karl Burns, ComposerLyricist - Nathaniel Ritchie, ComposerLyricist - Injury Reserve, Producer, MainArtist - William Corey, ComposerLyricist - Jordan Groggs, ComposerLyricist - Brixe Smith, ComposerLyricist

2021 Injury Reserve 2021 Injury Reserve

6
Smoke Don't Clear Explicit
00:02:30

Christopher Taylor, ComposerLyricist - Nathaniel Ritchie, ComposerLyricist - Injury Reserve, Producer, MainArtist - William Corey, ComposerLyricist - Jordan Groggs, ComposerLyricist - Body Meat, Producer

2021 Injury Reserve 2021 Injury Reserve

7
Top Picks for You Explicit
00:04:32

Jam City, Producer - Jack Latham, ComposerLyricist - Jeremiah Raisen, ComposerLyricist - Nathaniel Ritchie, ComposerLyricist - Injury Reserve, Producer, MainArtist - William Corey, ComposerLyricist - Jordan Groggs, ComposerLyricist - SADPONY, Producer

2021 Injury Reserve 2021 Injury Reserve

8
Wild Wild West Explicit
00:02:28

Nathaniel Ritchie, ComposerLyricist - Injury Reserve, Producer, MainArtist - William Corey, ComposerLyricist - Jordan Groggs, ComposerLyricist

2021 Injury Reserve 2021 Injury Reserve

9
Postpostpartum Explicit
00:04:10

Nathaniel Ritchie, ComposerLyricist - Tee Mac Omatshola Iseli, ComposerLyricist - Injury Reserve, Producer, MainArtist - William Corey, ComposerLyricist - Jordan Groggs, ComposerLyricist

2021 Injury Reserve 2021 Injury Reserve

10
Knees Explicit
00:05:03

Nathaniel Ritchie, ComposerLyricist - Injury Reserve, Producer, MainArtist - Geordie Greep, ComposerLyricist - Morgan Simpson, ComposerLyricist - William Corey, ComposerLyricist - Jordan Groggs, ComposerLyricist - Cameron Overeynder, ComposerLyricist - Matthew Anthony Kwasniwski-Kelvin, ComposerLyricist

2021 Injury Reserve 2021 Injury Reserve

11
Bye Storm Explicit
00:03:40

Brian Peter George Eno, ComposerLyricist - Nathaniel Ritchie, ComposerLyricist - Injury Reserve, Producer, MainArtist - William Corey, ComposerLyricist - Jordan Groggs, ComposerLyricist

2021 Injury Reserve 2021 Injury Reserve

Albumbeschreibung

Es gibt wohl keinen besseren künstlerischen Katalysator für Kummer und Trauer als Musik. Die Liste an Alben, die einzig aus persönlichen Tragödien entstanden sind oder neu kontextualisiert wurden, ist lang, sehr lang. Dabei gelten genreübergreifend gewisse Stereotype, die man mit diesem Prozess von Natur aus assoziiert. Trauer ist leise, Trauer ist melancholisch, Trauer ist weinerlich. Aber Trauer ist eben auch chaotisch, laut, lässt einen mit einem Gefühl der Ohnmacht alleine und lotet die Grenzen der eigenen Belastbarkeit mit einer unvergleichlichen Radikalität aus. Trauer widersetzt sich manchmal einfach jeder Beschreibung.

Die irreversiblen seelischen Narben, das Krisselbild im Hirn, wenn Erinnerungen wie Nadelstiche den eigenen Verstand torpedieren, das ungläubige Bewusstwerden der eigenen Sterblichkeit zwischen den aufgebrauchten Tempo-Packungen: Nur wenige trauen sich an diesen Ort, schlichtweg, weil er fast unmöglich in Worte zu fassen ist.

Als Jordan Groggs am 29. Juni starb, riss das Leben Parker Corey und Nathaniel Ritchie dorthin. Wieso stirbt ihr bester Freund, ein 32-jähriger vierfacher Vater, einfach so? "By The Time I Get To Phoenix", Injury Reserves zweites Album, das schon zu Groggs Lebzeiten konzipiert wurde, versucht gar nicht erst, diese Frage mit existenziellem Phrasengedresche beantworten. Vielmehr klingt die LP, als hätte man ein Kabel direkt in das limbische Zentrum ihrer Hirne gebohrt und all die konfusen, wild durcheinanderströmenden Emotionen auf Vinyl gepresst. "Oh, but you know, the heart can take so much", sang Isaac Hayes auf dem epochalen Tearjerker, der dem Album seinen Titel verlieh. "By The Time I Get To Phoenix" ist, was passiert, wenn das Herz unter der Last der eigenen Gefühle kollabiert.

Das Album schlägt selbst für eine grenzgängerische Gruppe wie Injury Reserve eine solch radikal-andere Richtung ein, dass einem die bisherige Diskographie wie ein Testlauf vorkommt. Selbst das Genre-Label Hip Hop, das basierend auf ihren Mixtapes für den Rest ihrer Karriere im Grunde in Beton gegossen schien, gerät hier an die äußersten Grenzen seiner Definition. Raps im Stile ihres Debüts sucht man ebenso vergebens wie konventionelle Songstrukturen oder Instrumentals, die dem Wort "Beat" gerecht werden würden.

Parker Coreys Produktion gehört zweifelsohne zu den abstraktesten und wildesten Instrumental-Konstrukten, die dieses Genre in jüngster Vergangenheit, vielleicht sogar jemals, zu hören bekam. Während Ritchie seine zerbröselnde Gefühlswelt mit dem evokativen Einsatz seiner Stimme zum Ausdruck bringt, die er mal bis zur Unkenntlichkeit in Autotune oder Reverb ertränkt, mal unter hirnschmelzenden Samples begräbt und immer wieder ins Gespenstische verzerrt, kehrt Corey sein emotionales Innenleben mittels eines Fegefeuers an höllischen Kompositionen nach außen. Die, so scheint es, entwickeln mit andauernder Laufzeit ein Eigenleben und erscheinen so anders, das Worte ihnen fast nicht gerecht werden können.

Groggs selbst findet in Form zweier posthumer Verses seines Weg auf das Album, und beide stechen erwartungsgemäß mitten ins Herz. Besonders die Zeilen über seinen Kampf gegen den Alkoholismus auf "Knees" hallen länger nach als sie sollten: "Keep on killin' these bottles, these bottles / Knees hurt, my knees hurt 'cause I'm growin' / And that's a tough pill to swallow", singt er da müde. Sein Geist lebt jedoch auch in jedem anderen Song, in dem er nicht mehr selbst ans Mikrofron treten konnte.

Black Midi und Black Country, New Road-Samples machen aus den beiden Singles "Superman That" und "Knees" eine absolut einzigartige Melange aus Post-Rock und abstraktem R'n'B. Die findet in der mittlerweile fast schon festgefahrenen Nische des experimentellen Hip Hop, die Künstler wie Death Grips oder Clipping. maßgeblich prägten, neue unbeschrittene Wege, um zu überraschen.

Gerade "Superman That" ist eine Meisterleistung in musikalischer Textur und Arrangement. Wie die eröffnende Melodie aus "Athens, France" mit hyperaktiv rasselnder Percussion und Arcade-Synths aus der Videospiel-Vorhölle kollidiert, spiegelt nicht nur die überfordernde Ohnmacht der beiden Bandmitglieder wider. Es versetzt einen, untermalt von Ritchies unbeirrt-gesungenen "Ain't no savin' me or you"-Mantra, fast schon in eine apokalyptische Trance.

Auf dem Opener "Outside", wo Black Midi-Drummer Morgan Simpson sogar persönlich am Schlagzeug sitzt, kehrt Corey dieses Konzept um und lässt das instrumentale Fundament weitestgehend brachliegen. Mehrfach gelayerte surreale Synths bilden über die Hälfte der Laufzeit Ritchies einzige Begleitung, ehe er verstummt und Corey seinen Syntheziser in Overdrive kickt. Auch Drummer Simpson steigt in das aszendierende Outro mit ein, und wieder setzt ein ähnlicher Effekt ein wie auf "Superman That": Man verstummt angesichts der emotionalen Potenz, die diesen Instrumentals innewohnt. Wenn Rapper wie Young Thug oder Playboi Carti ihre Stimmen wie Instrumente einsetzen, dann setzt Parker Corey seine Instrumente wie Stimmen ein. Hunderte Stimmen, die weinen, wehklagen, schreien und das aussprechen, wofür Ritchie die Worte fehlen.

Er bleibt ohnehin in seiner Lyrik meist relativ vage und assoziativ, was dem in seinem anarchischen Chaos fast schon Free Jazz-igen-Charakter der LP gerecht wird. Auf "Top Picks For You" findet Ritchie allerdings klare Worte: "I felt loss but a hole like this I never coulda imagined." Der Song nimmt eine interessante Perspektive ein und greift den Fußabdruck auf, den Groggs für ewig im Leben seiner Freunde und Familie, aber auch für den Rest der Welt hinterlässt. "Your patterns are still in place and your algorithm is still in action", rappt Ritchie. Und er hat Recht. Mit nur wenigen Klicks landet man auf Jordan Groggs Instagram-Seite, wo er uns von seinem letzten Foto mit seinen Kindern im Arm entgegen lacht. Ein surreales Bild, ein unfaires Bild, das eine so niederschmetternde Konnotation nicht verdient.

"You blow up through this home, your habits do much after / Grab the remote, pops up something you would've watched", stellt Ritchie melancholisch fest. Dieser Moment der Reminiszenz hält jedoch nicht ewig an. "Just workin' so that you can just jump right back in / But you ain't jumpin' back / Yeah, just run it back", heißt es am Ende.

"Smoke Don't Clear" und "Footwork In A Forest Fire" klingen wie eine auditive Migräne, ein Sperrfeuer der Emotionen, durch das sich Ritchie mit manischer Energie kämpfen muss, um wieder einen klaren Gedanken fassen zu können. "Strap up your own boots, it's all uphill from there", rappt er mit Schaum vor dem Mund und scheint dabei an der Klippe seines eigenen Verstands zu stehen, kurz davor, sich in den Wahnsinn zu stürzen.

Wie auf dem Cover, steigt er allerdings mit zunehmender Laufzeit aus der Hölle auf, die um ihn herum und in seinem Kopf vom Zaun bricht, bis er auf "Bye Storm" sinnbildlich über seiner Heimatstadt schwebt, um ein letztes Mal von seinem verstorbenen Freund Abschied zu nehmen. "We laugh, we jokers, man that's just how they want it", heißt es dann, während zur umarmenden Gitarren-Melodie aus Brian Enos "Here Come The Warm Jets" der Abspann läuft. Es ist ein versöhnliches Bild, ein finaler Moment der Ruhe, in dem sich die Kluft an diesem unbeschreiblichen Ort der Trauer ein wenig zu schließen beginnt: "Bye storm, I know, I know / I must show everything / The show must go on."

"By The Time I Get To Phoenix" ist ein unmögliches Album, ein Glitch in der Matrix, eine Anomalie, ein Fehler im System. Hier kollidieren gegensätzliche musikalische Welten und Emotionen so unnachgiebig ineinander, dass einem nichts übrig bleibt, als sich dem daraus resultierenden Mahlstrom kapitulierend hinzugeben. Wenn einen dieser nach 40 Minuten wieder ausspuckt, ist man ein aufgelöstes und überfordertes Wrack, und das ist auch gut so. Injury Reserve haben aus der größten Tragödie ihres Lebens den vielleicht innovativsten musikalischen Triumphzug des Jahres geschaffen, an dessen Ende die Tragödie aber immer noch an erster und der Triumph an zweiter Stelle steht. Rest easy, Jordan Groggs.

© Laut

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