Wale
Medienlieblinge gibt es immer wieder, auch im Rap. Im ausgehenden ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends ist die Einstimmigkeit des Medienkanons über einen gewissen Wale Folarin, Geburtsname: Olubowale Victor Akintimehin, dennoch außergewöhnlich.
Ohne Major Label-Deal auf den Covern zahlreicher Szene-Magazine, ohne Album auf der Bühne der MTV Video Music Awards, ohne Charts-Single Werbeträger für Remy Martin und Nike, und darüber hinaus ungeschlagener Kritikerliebling und erster, zumindest angehender, Rap-Star aus der amerikanischen Hauptstadt Washington.
Im September 1984 als Sohn nigerianischer Immigranten geboren, mausert sich Wale (sprich: Wah-ley) im Jahr 2006 erst zum gefeierten lokalen Rap-Newcomer mit beachtlichem Radio-Airplay und ein Jahr später zum umschwärmten globalen Liebling der Blogosphäre und internationalen Hip Hop-Künstlerwelt. Im Kreuzgang zwischen lokal und global sollte sich die Karriere des Jungspundes in kurzer Zeit prächtig entwickeln.
In der Tradition des Go-Go-Sounds aus Washington D.C. sorgt er in der Heimat erstmals für Aufmerksamkeit und Radiopräsenz (die Single "Dig Dug (Shake It)" rotiert heftig auf den dortigen College-Kanälen), über Internet-Netzwerke wie MySpace und die nimmersatte Blog-Welt erhöht er schlagartig seine Reichweite.
Mit Siebenmeilenstiefeln geht es vom ersten Independent-Vertrag beim Washingtoner Studio 43 im Jahr 2006 gerade einmal zwei Jahre später zum Deal nicht nur bei dem Genre-Riesen Interscope Records, sondern auch zum Signing bei Mark Ronsons Allido Records.
Die Wortspiele und musikalische Offenheit des bekennenden Fashion-Nerds überzeugen den Amy Winehouse-Produzenten Ronson offensichtlich so schnell, dass er Wale kurzerhand auf seine Europa-Tournee mitnimmt und ihn für einen Remix für Lily Allen verpflichtet.
Wales Mixtapes, gerne auch in Kollaboration mit angesagten Hipster-Klamottenmarken umsonst unters Volk gebracht, tun ihr Übriges, um dem selbsterklärten größten Camp Lo-, Beach Boys-, Bob Marley- und Marvin Gaye-Fan Features mit Lil Wayne, Justice, KiD CuDi, M.I.A. oder The Roots einzubringen.
So einen Szene-Respekt, gepaart mit musikalischer Offenheit und gehörig Massen-Appeal hat es lange nicht mehr gegeben, hört man aus den Chef-Etagen der Szene-Labels. Der amerikanische Rolling Stone tönt sogleich: "Wale besitzt mehr Crossover-Appeal als Weed."
Obwohl Wale in jungen Jahren dreimal das College schmeißt, beweist er in Zusammenarbeit mit seinem emsig arbeitenden Management, dass er das Spiel und die Industrie verstanden hat. Nike macht er den Verkaufswert seiner Single "Nike Boots" (insbesondere im Remix mit Weezy) schmackhaft.
Dem Klamottenbrand 10.Deep erklärt er erfolgreich die Vorteile, den Namen für das Umsonst-Mixtape "The Mixtape About Nothing" zu leihen, das von Wales Liebe zur US-Serie "Seinfeld" inspiriert wurde. Irgendwie kursieren zusätzlich Fotos im Internet, die Wale Arm in Arm mit Promi-Häschen Lindsay Lohan zeigen.
Noch vor der Veröffentlichung seines Debüts füllt Wale bereits mittelgroße Clubs. Bei seinen Shows machen es sich gerne auch mal Jay-Z und Leonardo DiCaprio persönlich in der Loge bequem. Natürlich weiß Interscope auch, wie man die Werbetrommel rührt.
Pünktlich zum Erscheinen von "Attention Deficit" geistert Wale durch Film, Funk und Fernsehen, um sein Erstlingswerk zu lobpreisen. Die Scheibe soll Mainstream- wie auch Hardcore-Fans gleichermaßen befriedigen.
Der Lady Gaga-Hook steht das Bun B-Feature gegenüber, Gucci Mane hält sich mit TV On The Radio-Gitarrist Dave Sitek die Waage. Breitenwirksamkeit in Hip Hop-Form.
Eigentlich sollte die Szene bereits aufhorchen, wenn ein Newcomer mal nicht von der Blog-Eat-Blog-Welt zerfleischt wird. Wenn aber sonst auch noch alle anderen Stimmen aus Szene und Industrie positiv klingen, sollte man auch jenseits des großen Teiches die Ohren spitzen - der erste Rap-Star aus Washington D.C. scheint jedenfalls gefunden.
© Laut
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