The Charlatans
Manchester, eine Stadt im Norden von Großbritannien. Nicht gerade eine pittoreske Gegend, aber auf jeden Fall eine interessante Stadt zum Leben. Legenden wie Mark E. Smith von The Fall hausen immer noch in der kleinen Industriestadt. Trotz der hohen Arbeitslosigkeit kann man hier gut Musik machen. Und wenn man richtig fleißig und begabt ist und Rückschläge gut verarbeiten kann, so wie zum Beispiel The Charlatans, dann kann man auch richtig berühmt werden.
1990 mutiert Manchester zu Madchester. Die Stadt steht Kopf und junge Bands mit Pilzkopf-Frisuren schießen wie Champignons aus dem Boden. Auf der Insel herrscht Hysterie bei Gruppen, wie The Stone Roses, Happy Mondays, Inspiral Carpets oder den Soup Dragons. Eine neue Musikgeneration ist geschaffen. Die 60s angehauchte Rave-Musik schlägt weltweit ein.
Einige Pilze überleben nur für kurze Zeit - The Charlatans genießen auch heute noch den Beifall und überzeugen mit handfester Qualität. In den ersten sieben Jahren ihres Erfolges (1990-1997) gibt es einige Hochs und Tiefs, die sie dadurch verarbeiten, in dem sie ins Studio gehen und neue Songs produzieren.
Sänger Tim Burgess, Jon Baker an der Gitarre, der kurz nach dem ersten Erfolg 1990 die Band verlässt und durch Mark Collins ersetzt wird. Basser Martin Blunt, Jon Brookes am Schlagzeug und Orgelspieler Rob Collins haben über zwölf Hit-Singles herausgebracht und mittlerweile zehn Alben. Mindestens drei der Longplayer gelangen direkt an die Spitze der britischen Charts. "Tellin' Stories" verkauft sich 1997 als das schnellste Nr.1-Album in England.
Ihre Debüt-Single "Indian Rope" schafft es zum Indie-Mega-Hit. Charlatans' Liebe zur amerikanischen, folkig-psychedelischen Musik begeistert die Menschen nicht nur auf der Insel. Der erste Hit-Ohrwurm "The Only One I Know" erscheint im Sommer 1990 und ist durch jedes offene Fenster zu hören. Das dazugehörige Debüt-Album "Some Friendly" erscheint im selben Jahr und steigt auf Platz 1 der britischen Charts. Ihren Plattenvertrag unterschreiben The Charlatans bei Beggars Banquet, einem Label auf denen heute auch noch Bands, wie zum Beispiel die Tindersticks großartige Platten veröffentlichen.
Ihre Erfolge feiern The Charlatans auch auf großen Bühnen und Festivals weltweit. 1992 erscheint das zweite Album "Between 10th And 11th". Der Titel bezieht sich auf ihre erste US-Show. Leider können sie mit dieser Platte nicht an den Erfolg des Debüt-Burners anknüpfen. Vielleicht liegt es daran, dass der Wirbel um Madchester mittlerweile zu hoch ist und die Fans vom Sound übersättigt sind. Die Interessen der Zuhörer haben sich einfach geändert. Dennoch bekommen sie positive Kritiken aus der Musikfachwelt und die Konzertreisen werden weiterhin gut besucht.
Kein Grund für The Charlatans, die Flinte ins Korn zu legen. Sie arbeiten daran, ihren Sound zu erweitern. Gitarrist Collins beruht sich auf die sensible Countrymusik und gleichzeitig wird die Entwicklung der gerade wachsenden Techno-Musik von allen erforscht. Tim Burgess nimmt Kontakte in der Szene auf und bittet die Chemical Brothers einige Tracks durch ihre bombastischen Beats zu unterstreichen. Das Resultat kann sich sehen lassen. Die beiden Folgealben "Up To Our Hips" und "The Charlatans" kommen bei den Fans wieder besser an. Die Mischung aus melodischem Pop und tanzbaren Techno-Beats katapultiert die Charlatans wieder in die Top Ten der britischen Charts.
1996 wird ein sehr schwieriges Jahr für die Briten. Das fünfte Album "Tellin Stories" verkauft sich zwar rasend schnell, jedoch steht die Veröffentlichung unter einem schlechten Stern. Zu dieser Zeit sind The Charlatans ziemlich uninspiriert und verbringen die Zeit lieber in Nachtclubs und Pubs. Ihr Monmouth Studio bleibt leer, sie betrinken sich, und eigentlich ist ihnen das Album ziemlich egal. Dann die Schreckensmeldung. Keyboarder Rob Collins stirbt bei einem Autounfall; das Album ist immer noch nicht fertig und riesige Auftritte als Support mit Oasis stehen an, doch die Jungs sind wie gelähmt.
Es dauert einige Zeit, bis der Schmerz Energien freisetzt. Rob Collins hat die Band immer schwer beeinflusst. Schon durch seinen achtmonatigen Gefängnisaufenthalt im Dezember 1992 (er fährt ein Fluchtfahrzeug bei einem Einbruch) gerät die Band mit dem dritten Album "Up To Our Hips" in Zeitnot. Kurz nach der Beerdigung von Rob gehen sie wieder auf Tour. Als Ersatz spielt Martin Duffy von Primal Scream die Keyboards. Mit ihm beenden sie auch das Album und "Tellin' Stories" geht endlich 1997 ins Rennen. Es verdrängt sogar die beliebten Supergrass auf die hintersten Ränge.
Zum Glück finden The Charlatans einen neuen Keyboarder. Tony Rodgers aus Irland setzt sich an die Orgel und begeistert nicht nur die Fans. Sein Orgelsound erinnert an den verstorbenen Rob und wird durch die Rock'n'Roll-Einflüsse Rodgers' gefestigt. Sie starten in ihrem neuem Studio in Middlewich die Aufnahmen zum nächsten Album. Nebenbei spielen sie als Headliner auf dem V98 Festival in Leeds und Chelmsford. Kurz bereisen sie auch Japan und die USA. Durch den Volltreffer Rodgers heilen langsam die Wunden. Die Band hat den Ehrgeiz, noch erfolgreicher zu werden.
Ein Unglück kommt natürlich nur selten allein. Der Buchhalter der Charlatans veruntreut mehrere 100.000 DM aus der gemeinsamen Bandkasse. Doch diesmal lassen sich die Jungs nichts anmerken. Mit einem leisen Kopfschütteln nehmen sie 1999 in Rekordzeit das Album "Us And Us Only" auf. Und dies präsentiert sich, laut Presse, als das beste Werk bisher.
Man darf schon sagen, dass The Charlatans eine DER Bands sind, die zur heutigen Musiklandschaft enorm viel beigetragen haben. Sie haben die Manchester-Invasion überlebt. Heftige Schläge in die Magengegend lassen sie zu Höchstformen auflaufen. Auch die Tatsache, dass Sänger Burgess mittlerweile meilenweit entfernt in Los Angeles mit seiner Frau wohnt, ändert nichts daran. The Charlatans sind weiterhin erfolgreich und halten fest zusammen.
2002 gibt es "Songs From The Other Side" zu kaufen. Eine Compilation mit 16 B-Seiten-Songs. Ein Schmuckstück für alle Fans, die noch nicht alle Singles in ihrer Plattensammlung zusammen haben. Aber auch für neue Zuhörer, die mal die bessere Art von Boybands ausprobieren sollten.
Tim Burgess, der zwischendurch gerne seine Stimme anderen Bands leiht, wie zum Beispiel für Chemical Brothers "Life Is Sweet 1995" oder "I Was Born On Christmas Day", 1993 für Saint Etienne, bringt 2003 sein Solodebüt I Believe heraus. Sonniger Blues im kalifornischen Gitarrensound, was so gar nicht an den Madchester-Tanzrhythmus erinnert.
Ein Jahr später heißt es dann wieder volle Konzentration auf die Band und "Up At The Lake" feiert erneut Schrammel-Gitarren-Revolution.
Mit neuem Label und charakteristischen Songs geht es 2006 weiter. "Simpatico" wird sowohl von Presse als auch Fans gebührend gefeiert. Scheinbar nicht ausreichend genug, denn pünktlich zum Weihnachtsfest gibt es mit "Forever. The Singles" eine Best-Of Kreation, sozusagen als Überbrückungs-Snack fürs neue Studioalbum. Forever, soll man hier wohl wortwörtlich verstehen.
"You Cross My Path" kündigt man Ende 2007 mit einem Paukenschlag an: Die Band veröffentlicht das komplette Werk, das offiziell erst am 9. Mai erscheint, auf der Radio-Homepage XFM und der Bandhomepage als Gratis-Download. Hinter der Idee steckt der neue Charlatans-Manager (und alte Oasis-Spezi) Alan McGee, der sich dadurch Mehreinnahmen im Merchandise- und Tour-Bereich erhofft. Medienberichten zufolge ging sein Plan voll auf: 80.000 Album-Downloads sollen es in der ersten Veröffentlichungswoche gewesen sein. Selbst eine Einladung als The Police-Support in Frankreich trudelt bei der Band ein.
Im August 2013 ereilt die Welt die traurige Nachricht, dass Drummer Brookes im Alter von nur 44 Jahren an einem Hirntumor gestorben ist. Dieser war bereits 2010 erkannt worden, nachdem Brookes bei einem Konzert in Philadelphia zusammengebrochen war. Um den Verlust zu verarbeiten, gehen die Charlatans schnell ins Studio und nehmen mit den befreundeten Drummern Pete Salisbury (The Verve) und Stephen Morris (New Order) das Album "Modern Nature" auf, nach eigenen Worten mit "Songs, die uns wieder glücklich machen".
Die Platte erhält gute Kritiken und so behalten Burgess und Co. die Idee mit den Gästen bei. Für "Different Days" (2017) laden sie erneut Salisbury und Morris ein, darüberhinaus auch Anton Newcombe von The Brian Jonestown Massacre, Paul Weller, Kurt Wagner (Lambchop) sowie Johnny Marr.
© Laut
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