Mount Kimbie
Mitte 2010 und noch kein Wikipedia-Eintrag zu Mount Kimbie? Kurios. Warum? Weil das Zweigespann zu diesem Zeitpunkt wenigstens in Londoner Insiderkreisen schon ein geschlagenes Jahr lang als das meistdiskutierte Thema in Sachen Dubstep-Erneuerung gilt.
2009 wirbeln Kai Campos und Dominic Maker mit den EPs "Maybes" und "Sketches On Glass" mächtig Staub von den Subbässen; so sehr, dass ein stetig alterndes Genre einmal mehr auf den Kopf gestellt und Begrifflichkeiten umgedeutet werden.
Ist das überhaupt noch Dubstep, auch wenn es gar nicht richtig düster klingt, wie wir es etwa von Burial, Kode9 und der anhängenden Hyperdub-Clique gewohnt sind? Darf man die alte ernste Großtante elektronischer Clubmusik wirklich mit Postrock-Elementen, verspielter Electronica, verzerrten E-Gitarren oder an Hip Hop-Loops erinnernden Beatfragmenten konfrontieren?
Fest steht, Mount Kimbie gehen von Anfang an neue Wege. Nach immer differenzierteren Dubstep-Releases, beispielsweise von Joy Orbison oder Rustie und Hudson Mohawke auf dem britischen Pionierlabel Warp, setzen sie sich im Juli 2010 mit dem nur 33 Minuten kurzen Debüt "Crooks & Lovers" (Hotflush) erst mal selbst die Krone der Stilrichtungs-Avantgardisten auf. Selbst aktuellste Wortneuschöpfungen wie "Half-Step", "Brostep" oder "Post-Dubstep" mögen auf Mount Kimbie nur sehr bedingt passen.
"Ambi-Step" nennt mancher vorschnell die Kategorie, in der Campos und Maker agieren, wenn er versucht, die ungekannte Kombination von eigentlich als bedrohlich konnotierten, subtonalen Bässen mit Acid House-Schmatzern, Field Recordings und flächigen, sphärischen Klängen zu umschreiben. "Wobble Wobble plus Ambience", so sagt die Spex dazu.
Inspiriert wird das Duo von so unterschiedlichen Künstlern wie Machinefabriek, der Indieband Micachu oder auch dem jüngeren Werken der experimentellen Drone-Akteurin Grouper. Campos sieht den Grund für die stilistische Vielfalt in einem eigenen Kunstverständnis:
"Die Musik, die ich mag, basiert auf verschiedenen Einflüssen und vermittelt ganz unterschiedliche Dinge. Ich denke, jede wohlüberlegte Kunst sollte nicht auf einer vorrangigen Emotion beruhen. (…) Kunst ist doch am besten, wenn sie die Gegensätze unseres Lebens einfängt."
Während also dies- wie jenseits des Kanals genormte Dubstep-Massenware die einschlägigen Vinylshops aufschwemmt, formen Mount Kimbie - nicht allein, aber mit vorneweg - an der Runderneuerung eines Genres. Es darf gejubelt werden.
Im Mai 2013 kommt via Warp die zweite Langrille "Cold Spring Fault Less Youth" - der Brite King Krule legt bei zwei Tracks mit Hand an. Und natürlich spielt im Studio der Wille zur Weiterentwicklung des Sounds eine große Rolle - neben der Verarbeitung der Liveerfahrungen des Duos.
Mit "Love What Survives" entzweien Mount Kimbie 2017 ihre Fangemeinde. Manche halten das Album für eine plumpe Anbiederung an den Mainstream, andere sehen darin das "Pop-Album des Jahres".
Danach trennen sich die Wege von Dom Maker und Kai Campos zunächst. Während Campos tiefer in die Clubkultur eintaucht und sich vor allem für Techno begeistert, produziert Maker in LA Beats für Jay-Z, Slowthai, James Blake und andere. Die unterschiedlichen Interessen spiegeln sich auch in dem Doppelalbum "MK 3.5: Die Cuts | City Planning" wieder, das aus Einzelalben der beiden Mount Kimbie-Mitglieder besteht.
Aus den beiden wird nach sieben Jahren Pause aber vier: Die Live-Mitglieder Andrea Balency-Béarn und Marc Pell werden zu Vollmitgliedern befördert und zusammen veröffentlich die Band im April 2024 "The Sunset Violent". Damit werden Mount Kimbie endgültig zur Indie-Band - und zwar zu einer saustarken.
© Laut
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