Birth Control
Wenn sich schon eine Kultur-Instanz wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung dazu herab lässt, einen Kommentar über eine der Rocklegenden aus deutschen Landen abzugeben, sollte man hellhörig werden. Jene Postille meint nämlich über die Live-Darbietungen von Birth Control: "beispielhafte Live-Band ohne Dämonie und Arroganz." Das sitzt erst einmal.
Eigentlich kennt jeder ihren größten Hit "Gamma Ray", wer oder was aber sich hinter dem Bandnamen versteckt, ist den meisten in den letzten dreißig Jahren entgangen. Ja, so lange gibt es die Band schon. Sogar bis ins Revoltenjahr 1968 reicht die Geschichte von Birth Control zurück, gegründet in Berlin aus den Bands Earls und Gents Birth Control. Zunächst spielen sie Coverversionen wie viele andere Combos auch, und denken nicht im Traum daran, einmal Karriere zu machen.
Zu siebt waren sie damals am Start. Bernd (nicht Inge!) Koschmidder (Bass), Reinhold Sobotta (Orgel), Rolf Gurra (Saxophon, Gesang), Fritz "Little Lord" Gröger (Gesang), Klaus Orso (Gitarre), Reiner Borchert (Gitarre) und Hugo Egon Balder (Schlagzeug, ja, der Alles, Nichts, Oder und Tutti Frutti-Balder) spielen sich durch die Clubs der damaligen Enklave und machen sich so einen Namen. Schließlich erhiält die Band eine Einladung, durch den Libanon (sic!) zu touren. In Beirut spielen sie vor ständig ausverkaufter Hütte im "Les Caves du Roy" im Hotel Excelsior. Hugo Egon muss die Band verlassen, weil seine Eltern ihm verbieten, weiter mitzuspielen.
Nach der Rückkehr und einigen Umbesetzungen beginnen Birth Control eigene Stücke zu schreiben. Dass die Band am Hungertuch nagt, erweist sich im Nachhinein als Glücksfall, dadurch laufen sie nie Gefahr, sich die Rübe mit allerlei Psychedelika vollzupumpen und es bleibt im Oberstübchen genug Platz für die Passion Musik. Erster Achtungserfolg der jungen Band, die ihr ältestes Mitglied - Bruno Frenzel - schon mit 25 Jahren zärtlich "Opa" nannte, ist 1970 der Auftritt in der Deutschlandhalle zu Berlin als Support von Jimi Hendrix, Ten Years After, Cold Blood, Procol Harum und Cat Mother.
1972 erscheint das Album "Hoodoo Man" und die Single "Gamma Ray". Der Song soll zu einem der meist gespielten der Krautrock-Ära avancieren und hat bis heute in den Dissen des Landes kaum von seiner Ausstrahlung verloren. Die Zeichen für Birth Control stehen recht günstig. 1975 werden sie hinter Silver Convention und Kraftwerk auf den dritten Platz der beliebtesten Live-Band gewählt. Mit dem 1976er Album Backdoor Posibilities verändern sie aber ihren Stil und spielen ähnlich wie ihre Vorbilder Genesis, King Crimson und Yes, Artrock mit vertrackten Kompositionen und jazzigen Anleihen. Das kommt bei den Fans weniger gut an, war ist von ihnen doch geradlinigen Heavyrock gewohnt. Die Rückbesinnung auf ebenjenen erfolgt 1978 mit dem Album "Titanic" und die Konzertsäle werden wieder voller. 1983 stirbt Gründungsmitglied und Bandopa Bruno Frenzel an den Nachwirkungen eines heftigen Stromschlages, den er 1975 bei einem Konzert bekommt. Dies und der ausbleibende Erfolg des guten Albums "Bäng" münden darin, dass Bandleader "Nossie" Noske Birth Control auf Eis legt.
Interessiert hat das eigentlich niemanden mehr, denn zu dieser Zeit sind eben die debil-Frisuren der New Romantic Welle angesagt, und die Neue Deutsche Welle schwappte unheilvoll über die alten Heroen herein. Bis 1993 soll es dauern, bis sich eine Reunion der Band am Horizont andeutet. Aus der Urbesetzung ist aber nur noch Bernd Noske übrig geblieben, neben ihm spielen Peter Engelhardt (ab 2011 Martin 'Ludi' Ettrich) (Gitarre), Sascha Kühn (Keyboard) und Hannes Vesper (Bass).
Nach dem Tod von Noske im Februar 2014 löst sich die Band zunächst auf, findet aber 2016 unter Beteiligung der ehemaligen Mitglieder Peter Föller (Gesang) und Manfred von Bohr (Schlagzeug) wieder zusammen. Seit der Reunion 1993 hatten Birth Control die alten Alben teilweise als CDs wiederveröffentlicht, gelegentlich aber auch neue Scheiben aufgenommen. Zuletzt erscheint im Juni 2022 das Studioalbum "Open Up".
© Laut
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