Cesária Evora
"Von hier kommt nichts außer Thunfisch und Weltmusik", schreibt der ZEIT-Redakteur Thomas Groß in seinem empfehlenswerten Feuilleton. Gemeint sind die Kapverden und ihre prominenteste Einwohnerin, Cesária Évora. Sie ist es, die die 500 Kilometer westlich von Afrika gelegene Inselgruppe ins Bewusstsein der Menschheit bringt. Menschheit ist hier durchaus in einem weltumspannenden Sinne zu verstehen, denn ihre Tourneen führen sie rund um den Globus. Es gibt fast kein Land, das sie noch nicht bereiste, und nirgendwo auf dieser Welt können sich die Menschen dem Bann ihrer leidenschaftlich vorgetragenen Weisen entziehen.
Zur Welt kommt "Cize", wie Freunde Cesária nennen, am 27. August 1941 in Mindelo auf der Kapverden-Insel São Vicente. Die Tochter eines Geigers und einer Köchin genießt weder eine schulische noch eine musikalische Ausbildung. "Ich hab' nie ein Instrument gespielt, mich aber immer im Milieu gebadet", gibt sie schmunzelnd preis. Als Teenagerin singt sie sich durch die zahlreichen Spelunken des einst wichtigen Versorgungshafens Mindelo. Doch diese Zeiten sind längst vorbei und die Kapverden bemühen sich heute redlich, ihr karges Land touristisch mit der "Faszination der Leere" zu vermarkten.
Leere breitet sich auch in den Hafenbars aus, nachdem die Inseln ihre Bedeutung als Handelsstützpunkt verlieren - doch Cesária Évora bleibt und schlägt sich irgendwie durchs Leben, bis 1988 das Unerwartete passiert. "Wenn diese Stimme mir, der ich mich so weit von dieser Kultur entfernt habe, Schauer über den Rücken jagt, dann muss es auch bei einem mitteleuropäischen Publikum funktionieren", sagt sich ein junger Franzose kapverdischer Abstammung und lädt Cesária Évora nach Paris ein, um mit ihr eine Platte zu produzieren. Zu diesem Zeitpunkt ist sie 47 Jahre alt.
Da Évora seit jeher barfuss auftritt, erhält ihr Debüt den Namen "La Diva Aux Pieds Nus", die Diva mit den nackten Füßen. Ihre Musik ist eine Mischung wehmütiger Mornas und beschwingter Coladeiras. "Morna", sagt Cesária Évora, "ist unsere Religion und Therapie, nur sie kann unsere Leiden lindern, unsere Schwierigkeiten vergessen lassen und unsere Traurigkeit erlösen." Die Morna ist die traditionelle, dem Blues nahe stehende Musikform der Kapverden. Ihre heiterere Verwandte ist die Coladeira. Die Texte verfast Évora in einem nur auf den Kapverden gesprochenen und verstandenen, kreolischen Dialekt, dem sich auch Lura verpflichtet fühlt.
Der große Erfolg stellt sich 1991/1992 ein, als die französische Presse Cesária Évora entdeckt und das Radio auf sie aufmerksam macht. Von nun an ist ihre Karriere ein Erfolgsmärchen. Das vierte Album "Miss Perfumado" wird in Frankreich ein Riesenerfolg und Cesária Évora beginnt, auf großen Bühnen (u.a. in Portugal, Spanien, Kanada und Japan) ihren Erfolg zu feiern. 1994 wird sie bei einem Auftritt in São Paulo von Caetano Veloso begleitet. Es folgen umjubelte Konzerte in Europa und Afrika und sie unterschreibt einen Vertrag bei BMG.
Ihr Major-Debüt "Cesária" erscheint in über 20 Ländern und wird für den Grammy Award nominiert. Die Folgejahre sind von ausverkauften Tourneen geprägt, die sie neben Europa auch in die USA, nach Afrika und Südamerika führen.
Sie erntet Preise ohne Ende, bereist weiterhin den Globus und gastiert in stets ausverkauften Konzerthallen. 2003, inzwischen weltweit als Star anerkannt und gerne als 'Stimme der Kapverden' tituliert, wird sie von den Vereinten Nationen zur Botschafterin gegen den Hunger des 'World Food Programme' ernannt. Zu ihren großen Fans gehört inzwischen auch Madonna, die mehrfach ihr Interesse an einem Duo mit Cesária Évora zum Ausdruck bringt. Ein Ende ihres sensationellen Erfolgs ist nicht in Sicht und auch von einem Schlaganfall, den sie 2008 während einer Australien-Tournee erleidet, lässt sie sich nicht von ihrem Weg abbringen.
Für das Jahr 2012 plant sie ein Balladenalbum, das sie gemeinsam mit Musikerin ihrer Heimat aufnahm. Im Herbst 2011 muss die Sängerin aus gesundheitlichen Gründen jedoch kürzer treten. Am 17.12.2011 erliegt sie in einem Krankenhaus in Mindelo einer Herz- und Atemschwäche. "Sie war für ihre Landsleute so etwas wie ein Schutzengel", so Kultusminister Mário Lúcio Sousa über den Tod der berühmtesten Tochter seines Landes.
© Laut
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