Stan Getz
Stan Getz gehört zu den musikhistorisch einflussreichsten Saxofonisten aller Zeiten. Egal, ob als prägende Figur im Cool Jazz, Latin Jazz oder Fusion. Das warme, emotionale und augenblicklich faszinierende Timbre seines Spiels verschafft ihm zurecht den ewigen Spitznamen "The Sound".
Geboren 1927 in Philadelphia als Sohn ukrainisch-jüdischer Einwanderer, erlernt er das Saxophonspiel im relativ späten Alter von 13 Jahren. Erstaunlicherweise beherrscht er das Instrument binnen kürzester Zeit perfekt.
Getz' ausdrucksvolle, sensible Klangfarbe, die in ihrer Art lange einmalig bleibt, verschafft ihm Anfang der 50er den Durchbruch in Kollegenkreisen und beim Publikum. Als Auslöser gilt sein Spiel auf Johnny Smiths Hitsingle "Moonlight In Vermont" von 1952.
Von hier an reißen sich diverse Ikonen um den charismatischen Mittzwanziger, darunter Horace Silver, Oscar Peterson, Dizzy Gillespie oder Max Roach. So mausert sich Getz neben Chet Baker oder Miles Davis zu einem der wichtigsten Begründer und Aushängeschilder des Modern Jazz.
Doch das reicht dem umtriebigen und stets neugierigen Getz nicht. Das Aufkommen des Bossa Nova gegen Ende der 50er Jahre prägt ihn nachhaltig. Vor allem die vollkommen kitschfreie Emotionalität dieser brasilianischen Welle beeindruckt ihn. So ist es ab 1961 vor allem Getz zu verdanken, dass der neue Stil zuerst die amerikanischen Hörer erobert, und dann seinen Siegeszug um die Welt antritt.
Von diesem Moment an beginnt Getz' große Zeit als kommerziell wie künstlerisch extrem erfolgreicher Urvater des Latin Jazz. Drei Alben markieren hierbei diese essenzielle Geburtsstunde. 1962 erscheint "Jazz Samba" zusammen mit dem Bruder im Geiste, Charlie Byrd. Ein Grammy, Chartserfolge und hohe Popularität machen die Platte zu einem heißen Eisen, das als Standardwerk später zurecht absoluten Kultstatus genießt.
Im Schlepptau folgen "Big Band Bossa Nova" und das mit Bossa-Star Luiz Bonfá ("Manha De Carneval") eingespielte "Jazz Samba Encore!". Schon allein diese Erfolge hätten einen Eintrag in die Hall Of Fame des Jazz gerechtfertigt. Doch der allergrößte Coup steht noch aus.
Getz begibt sich zur Quelle der neuen Richtung und angelt sich die beiden Bossa-Begründer Tom Jobim und Joao Gilberto samt dessen Ehefrau Astrud als Sängerin. Sie treffen einander in New York und nehmen gemeinsam die unangefochtene Überplatte des Bossajazz, "Getz/Gilberto", auf. Gilbertos Gitarre und Getz' Sax harmonieren wie aus einem Guss. Jobim steuert Songwriting und Piano bei.
Doch vor allem die vollkommen unerfahrene Sängerin Astrud Gilberto schießt den popkulturellen Vogel mit "Girl From Ipanema" komplett ab. Ein ewiger Welthit und eines der am häufigsten gecoverten Lieder aller Zeiten. Millionenfache Verkäufe, höchste Chartsnotierungen und ein verdienter Grammy folgen. Die einander künstlerisch zugetanen Getz und Gilberto legen ihre Zusammenarbeit Mitte der 70er erneut auf und erschaffen mit "The Best Of Two Worlds" ein weiteres, ebenso hochwertiges wie erfolgreiches Album der Extraklasse.
So harmonisch verläuft sein Privat- und Berufsleben nicht immer. Getz' massive Heroin- und Alkoholsucht macht ihn zu einer ausgeprägten Jekyll/Hyde-Persönlichkeit. Nüchtern ein humorvoller Sunnyboy und warmherziger Zeitgenosse, im Rausch stehen heftige Aggressionen, Übergriffe Handgreiflichkeiten und an Raserei grenzende Zornausbrüche auf der Tagesordnung. Egal, ob Familie, Freunde oder Kollegen: Der Ausspruch "Wenn du dich mit Stan Getz einlässt, hast du es mit einer ganzen Bande verschiedenster Typen zu tun!" ist niemandem fremd, der mit ihm näheren Kontakt pflegt.
1954 lässt der mit einer Spielzeugpistole bewaffnete Getz sich sogar zu einem Überfall auf eine Apotheke hinreißen, um an Morphium zu gelangen. Nach verbüßter Strafe begibt er sich einige Zeit nach Europa, weil die etwas liberalere Drogenpolitik ihm eine bequemere Lebens- und Arbeitssituation ermöglicht. Ähnlich wie bei Miles Davis, mit dem er 1949 kurz zusammenarbeitet, verlässt ihn das Gespenst der Abhängigkeit zeitlebens nicht.
Um so erstaunlicher, dass dieser Dämon auf Getz' Schulter weder die Qualität seines Live-Spiels noch seiner Alben jemals negativ beeinflusst. Auch der Marktwert ist in jeder Dekade gleichermaßen hoch. In den 50ern/70ern/80ern begeistert er unter anderem mit hervorragenden Kollaborationen an der Seite von Kumpel und Seelenverwandten Chet Baker. Baker bleibt zeitlebens sein bester Freund und kommt als nahezu einziger problemlos mit Getz aus. Ihre gemeinsame Version von Bakers Visitenkarte "My Funny Valentine" gilt als einer der intensivsten Balladenmomente der Jazzgeschichte.
Auch das Spätwerk der 80er strahlt zeitlosen Glanz aus. Getz gelingt der Sprung zum erneut und insgesamt elffach Grammy prämierten Elder Statesman, dessen sensible Eleganz auch beim Pop-Publikum Anklang findet. Intensive Platten wie "The Dolphin" oder "Voyage" bilden hier die Höhepunkte dieser letzten Phase. Stan Getz stirbt am 6. Juni 1991 an Leberkrebs.
© Laut
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