Billie, Ella, Sarah und Nina mögen Musikliebhaber immer wieder in den Schlaf wiegen, doch der Vocal Jazz bleibt ein Archipel, das von faszinierenden Sängerinnen bevölkert wird, die bereit sind, dieses schwere Erbe weiterzutragen, um es in ihrer Zeit zu verankern. Ist das noch Jazz? Oder ist es der Jazz, der sich verändert hat? Wie auch immer… Wir werfen einen Blick auf zehn von uns ausgewählte Frauen, die ihren Namen und ihre Stimme durchgesetzt haben.

Diana Krall

Die Tradition der sinnlichen torch singers ist bei ihr zweifellos am besten aufgehoben. Ob sie einen Jazzstandard, einen Bossa-Nova-Klassiker, einen Weihnachtshit oder Pop aus den 70er Jahren neu interpretiert, Diana Krall macht sich mit ihrer sehnsüchtigen Stimme jede Melodie zu eigen. Doch dies ist keineswegs ihre einzige Gabe, denn die Kanadierin ist auch eine begnadete Pianistin mit einem klaren und eleganten Stil. Wie bei ihrem Idol Nat King Cole, den sie 1996 auf ihrem Album All for You ehrte, ist ihr Spiel niemals nebensächlich und bildet die Fortsetzung ihrer Stimme. Ob Solo, Trio oder mit einem Meer von Streichern, Diana Krall bleibt oben und ist immer zu hören. Ihr Sprungbrett? Coverversionen. Eine Kunst für sich, die sie beherrscht wie keine andere. "Ich glaube nicht, dass ich als Songwriterin geboren wurde wie Neil Young, Joni Mitchell oder Gershwin. Daher verwende ich die Lieder anderer, um meine eigenen Gefühle auszudrücken." Gefühle, die von der Tradition (Jimmy Rowles und Oscar Peterson), dem Bild der Femme fatale aus dem Film Noir der 50er Jahre und sogar von einem gewissen Humor genährt werden, den sie auf der Bühne mit ihrem Publikum teilt. Sozusagen ein absoluter Star.

Cassandra Wilson

"Die den Menschen hilft": Die Etymologie des Namens Kassandra schafft hohe Erwartungen. Und wenn dieser Vorname griechischen Ursprungs schon ungewöhnlich ist, dann ist es Cassandra Wilsons Stimme erst recht... Während sich viele ihrer Kolleginnen darum bemühen, das Erbe der unantastbaren Nina Simone, Billie Holiday, Ella Fitzgerald und Sarah Vaughan mit einer weichen und samtigen Stimme, ohne Ecken und Kanten zu pflegen, ist diese Frau aus Mississippi woanders. Nicht, dass sie Tradition und Geschichte aus ihrem Jazz verbannt hätte. Ganz im Gegenteil. In ihrer mehr als 35-jährigen Karriere hat Cassandra Wilson mit der Blue Note Neuland betreten und Umwege durch Blues, Country, Soul, Gospel, Funk, Folk usw. gewagt. Sie wählt auch immer sehr eigenständige Mitstreiter, wie den Saxophonisten Steve Coleman, an dessen Seite sie in den 80er Jahren im Kollektiv M-Base bekannt wurde, oder den avantgardistischen Saxophonisten Henry Threadgill. Ihr Eklektizismus ist nur Fassade, denn Cassandra Wilsons rauer und voller Gesang hat sich immer seine ganz eigene Nonchalance bewahrt. Die Kunst der Zurückhaltung. Ein Konzept der Reinheit. Um ihre Andersartigkeit zu behaupten. Ob sie Stücke von Miles Davis, Neil Young, Hank Williams, Bob Dylan, Antonio Carlos Jobim, Joni Mitchell, U2, Robert Johnson und den Monkees interpretiert oder in den unvergänglichen Melodien der Standards schwelgt – sie folgt anmutig den Windungen eines schwerelosen Blues. Nicht umsonst wurde sie im Mississippi-Delta geboren...

Norah Jones

Norah Jones ist mit dem Etikett Blue Note geboren und aufgewachsen, war aber nie ausschließlich Jazz-Künstlerin. Das ist aber auch egal. So wie sie sich auch nicht nur zu Pop, Folk, Country oder Soul zuordnen lässt ... "Da Blue Note für Jazz steht, werde ich natürlich als Jazzsängerin wahrgenommen. Das Label sorgte dafür, dass mein erstes Album klang wie die Suche nach meiner persönlichen Art, ein Lied zu singen. Es war kein reiner Jazz, sondern eine Mischung aus verschiedenen Stilen. Es gab auch Country und verschiedene andere Dinge. Letztendlich waren es nur Lieder ...". Seit Anfang der 2000er Jahre hat die Sängerin (und, nicht zu vergessen, Pianistin) für ihre eigene staatenlose Musik, die sie gerne mit anderen Musikern verschiedenster Hintergründe teilt, stilistische Grenzen verwischt oder sogar überwunden. Der erste Song ihres Debütalbums, Don't Know Why, hat viele in den Bann von Norah Jones gezogen. Die Ballade mit einem verträumten Klavier und einem seidenweichen Rhythmus von Songwriter Jesse Harris ist die schönste Visitenkarte der in Texas aufgewachsenen New Yorkerin, die von ihrer alleinerziehenden Mutter nach deren Scheidung von dem weltberühmten Sitaristen Ravi Shankar großgezogen wurde. Die Mischung aus Jazz, Pop und einem Hauch von Folk/Country, aber vor allem die Schönheit ihres sinnlichen Gesangs, der nur auf den ersten Blick gleichgültig wirkt und ein wenig an Carole King erinnert, ist einzigartig... Weder Jazz, noch Pop, noch Mainstream, sondern einfach Norah Jones.

Susanne Abbuehl

Susanne Abbuehl wandelt abseits der ausgetretenen Pfade, weit entfernt von klischeehaften, einst verrauchten Jazzclubs. Sie singt. Sie spricht. Sie flüstert. Manchmal alles zugleich. Ihre Kompassnadel dreht sich wie wild. Einmal zeigt sie auf das Erbe der genialen und libertären Jeanne Lee, die ihre Lehrerin und ihr wichtigster Einfluss wurde. Dann verweist sie auf die klassische indische Musik, mit der sich Susanne Abbuehl auf zahlreichen Reisen nach Bombay an der Seite von Prabha Atre auseinandergesetzt hat (Abbuehl schließt ihr erstes Album für ECM, April, mit einem wunderschönen Raga dieser Meisterin der Kirana-Schule). Und schließlich hört man auch barocke Cembalomusik, mit der sie sich seit dem Alter von sieben Jahren beschäftigt. Und als ob diese vielfältigen Bestandteile ihrer DNA nicht schon genug wären, verehrt die Schweizerin aus Bern Carla Bley (sie erfand für mehrere Stücke der Pianistin Texte) und die Hohepriesterin des Free Patty Waters. Ein einzigartiges Puzzle in der Musiklandschaft. Daher ist es nicht verwunderlich, dass Susanne Abbuehl drei Alben bei ECM veröffentlicht hat – einem Label, das zu ihr passt und zu dessen faszinierendsten Entdeckungen sie gehört.

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