Bryan Ferry
Häufig und vollkommen zurecht handeln Fans und Kritiker Roxy Music als die schillerndsten Vertreter des Glam Rock. Unbestritten auch, dass der Löwenanteil dieses Ruhms auf das Konto des Frontmanns der Truppe geht.
Mr. Bryan Ferry gilt nicht erst seit den 90er Jahren als coolster lebender Engländer. Die Fähigkeit, diesen Rang mit augenzwinkernder Würde zu bekleiden, liefert (neben über drei Jahrzehnten Umtriebigkeit im harten Geschäft) Grund genug, einen Blick auf sein Schaffen zu werfen.
Als im September des ereignisreichen Jahres 1945 im englischen Washington ein Knabe zur Welt kommt, ist noch nicht abzusehen, das dieser sich aus relativ einfachen Verhältnissen zum Godfather of Style emporschwingen wird. Zunächst einmal tobt Bryan seine kreativen Ideen in einem Kunststudium und mit seiner Band The Banshees aus.
Er landet anschließend als Kunsterzieher in London. Die Frage, welchen Stellenwert die Musik im Kunstunterricht einzunehmen habe, führt bald zu erheblichen Differenzen mit der Schulleitung. Bryan Ferry nimmt, nicht ganz freiwillig, seinen Hut.
Ein guter Zeitpunkt, um ein zukunftsweisendes Projekt anzugehen: Ferry hebt mit Graham Simpson und John Porter, seinen Bandkollegen von der R'n'B-Formation The Gas Board, Roxy Music aus der Taufe, mit ihm selbst als Leadsänger, Songschreiber, Pianist, Kostümdesigner und Tonangeber. Wir schreiben das Jahr 1972.
Parallel zu den Aktivitäten mit Roxy Music startet Bryan Ferry nicht einmal ein Jahr später seine Solokarriere. Auf "These Foolish Things" präsentiert er eigene Vorstellungen von seinen Lieblingsklassikern, darunter eine Version von Elvis' "Baby I Don't Care" und ein Bob Dylan-Cover von "A Hard Rain's A-Gonna Fall".
Überhaupt werden Coverversionen zum großen Thema in Ferrys Diskographie. So enthält "Let's Stick Together" von 1976 Interpretationen bekannter R'n'B-Stücke, und bezeichnenderweise ist "Jealous Guy", der einzige Roxy-Music-Hit, der es in England an die Spitze der Charts schaffte, gleichzeitig der einzige, den Ferry nicht geschrieben hat.
1978 erscheint mit "The Bride Stripped Bare" ein Album, das - stärker als die Vorgänger - persönliche Verstrickungen mit einfließen lässt. Verständlich: Wenn die eigene Freundin sich entschließt, lieber den Kollegen Mick Jagger zu heiraten, kann das schon auf die Laune schlagen.
"The Bride Stripped Bare" thematisiert Ferrys Bruch mit dem texanischen Model Jerry Hall und soll für sieben Jahre die letzte Soloplatte bleiben. Roxy Music, die etwas pausiert hatten, raufen sich wieder zusammen und benötigen nach der Reunion vorerst die volle Aufmerksamkeit. Nun, vielleicht nicht 100 Prozent. Es bleibt noch Zeit für die Eheschließung mit Lucy Helmore und vier Söhne.
Erst 1985 findet Bryan Ferry wieder Zeit für sein Comeback. "Boys And Girls", in der Machart sehr Roxy Music-typisch geraten, liefert mit "Slave To Love" und "Don't Stop The Dance" zwei ordentliche Erfolge. Im selben Jahr tritt Ferry gemeinsam mit Pink-Floyd-Gitarrist David Gilmour beim Live-Aid auf.
Ebenfalls in Zusammenarbeit mit Gilmour entsteht im folgenden Jahr die Ballade "Is Your Love Strong Enough?", zu finden auf dem Soundtrack zu Ridley Scotts "Legend". Auf dem Score des Horrorklassikers "The Fly" ist Ferry ebenfalls vertreten. Hier steuert er, gemeinsam mit Gitarristenlegende Nile Rodgers, "Help Me" bei.
Auf "Boys And Girls" folgt 1987 "Bête Noir", mit beiden Alben begibt sich Ferry 1988 auf Welttour. Der produktive Output in diesem Jahr beschränkt sich auf die Herausgabe der Compilation "The Ultimate Collection".
Ein richtiges Album erscheint mit "Taxi" erst 1993. "Taxi" und der Nachfolger "Mamouna" (für das der ehemalige Roxy Music-Kollege Brian Eno tatsächlich wieder im Boot ist) liefern Material für eine weitere Mammut-Tour. Der kommerzielle Erfolg hält sich gleichwohl in überschaubaren Grenzen.
Vermutlich sind es hauptsächlich finanzielle Gründe, die Ferry dazu bewegen, in den kommenden Jahren diverse eher unwichtige Alben auf den Markt zu werfen, darunter etliche Best-Of-Platten mit sowohl Ferry- als auch Roxy Music-Titeln. Beiträge auf verschiedenen Tribute-Samplern (darunter dem, der anlässlich des Todes Prinzessin Dianas, 1997) legen ähnliche Schlussfolgerungen nahe.
Die rühmliche Ausnahme bildet 1999 das Album "As Time Goes By": Ferry covert in grandioser Art und Weise klassische Stücke der 20er und 30er Jahre. "As Time Goes By" sowie die zugehörige Tour ernten reichlich Lob und bringen Bryan Ferry zudem eine Grammy-Nominierung ein. 2001 gehen Roxy Music - ohne Eno - einmal mehr auf Reunion-Tour.
Im Anschluss daran kümmert sich Ferry um die Sichtung diversen Materials, das er in den vorausgegangenen zehn Jahren mit Künstlern wie Robin Rimbaud, Dave Stewart, Bjørk, Sinead O'Connor, Edwyn Collins, Bernard Butler und Brian Eno eingespielt hat. Etliches davon findet sich auf dem 2002 veröffentlichten Album "Frantic" wieder.
Bis 2007 bleibt es relativ ruhig um den Sänger. Immer wieder stören Gerüchte die Stille, die von einem Roxy Music-Comebackalbum mit Brian Eno sprechen. Schließlich verrät Ferry in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung, dass es vor allem daran liege, dass Eno solch ein Perfektionist sei: "Brian kommt Mal ums Mal ins Studio wie, ich weiß nicht: Michelangelo? Er putzt an einem Detail 'rum, Tage, Wochen. Dann löscht er alles. Und fängt wieder von vorne an."
Ferry selbst ist da schneller: In nur wenigen Tagen nimmt er sein Bob Dylan-Coveralbum "Dylanesque" auf. Sogar Eno ist auf einer Nummer vertreten. Mit dem Album, einem Herzenswunsch des Sängers seit 1973, geht Ferry auch wieder auf Europatournee. Am 1. Juli tritt er unter anderem neben Pharrell Williams, Duran Duran und Elton John beim "Concert For Diana", einer Gedenkveranstaltung zu Prinzessin Dianas zehntem Todestag, im Londoner Wembley Stadion auf.
Parallel macht der durchaus als extrem exzentrisch titulierte Ferry wenig souveräne Schlagzeilen. Eine spontan enthüllte, künstlerisch und filmisch nachvollziehbare Äußerung über das Schaffen Leni Riefenstahls wird zur ungeschickt formulierten Fast-Hommage an das Nazi-Regime: ein gefundenes Fressen für den britischen Boulevard.
Sein Engagement für die britische Fuchsjagd lässt ihn sich ähnlich unverstanden fühlen. Wenn dann noch das eigene Flugzeug samt Familie von einem Luftpiraten attackiert wird, kann man schon mal von allem genug haben.
Nicht so Bryan Ferry, den Königin Elisabeth II. im Juni 2011 in den Rang eines Commanders of the British Empire erhebt. Bevor er 2014 mit "Avonmore" zu seinem bewährten Sound zurückkehrt, veröffentlicht er mit der speziell aus britischen Jazzikonen zusammengefassten Combo The Bryan Ferry Jazz Orchestra ein Instrumentalalbum.
Dreizehn Klassiker von Roxy Music bis "Frantic" bringt er an den Start. "The Jazz Age" glänzt hierbei in bester Schellackqualität mit Oldschool-Jazz von Duke Ellington bis Django Reinhardt.
"The Jazz Age" bildet die Vorhut für seine 2017er Beiträge zum "Babylon Berlin"-Soundtrack und das ein Jahr später daran anknüpfende "Bitter-Sweet". Im Gegensatz zu Teil eins bringt sich Ferry hier allerdings mehr ein und singt auch selbst Roxy- und Solo-Klassiker im Gewand der goldenen Zwanziger.
© Laut
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