Boz Scaggs
Boz Scaggs, geboren am 8. Juni 1944, macht seit der Rock'n'Roll-Revolution in den späten 1950er Jahren Musik. Als Buddy Holly, Fats Domino und Elvis Presley die US-Charts prägen, ist er noch im Teenager-Alter. Trotz eines Lebens als Berufsmusiker ist er bis heute nur im US-Inland bekannt, wo er auch 2018 noch fleißig tourt. Im Rest der Welt ist er einer von vielen: Von vielen, die Blues machen, Rhythm'n'Blues, Blue Eyed Soul, mit Ausflügen in Softpop, Rock und Jazz. Im weichgespülten Pop-Jazzrock gelingen ihm die größten Erfolge mit Musikern der Gruppe Toto und deren Gitarren-Riffs - noch bevor es Toto gibt.
Zur Welt kommt Scaggs in Canton, Ohio, einer Kleinstadt circa 25 Kilometer vom Eriesee gelegen und somit fast an der Grenze zu Kanada. Sein Vater ist ein Außendienst-Verkäufer, ein "Handelsreisender". So verschlägt es Boz' Familie - nach einer Zwischenstation im Südstaat Oklahoma - genau ans andere Ende der USA, auf eine Farm in der Nähe von Dallas, Texas. Das ist nun insofern bizarr, wenn man bedenkt, wie gespalten die Vereinigten Staaten in den '50er Jahren zwischen Nord und Süd sind. Scaggs kommt mit der Musik des Südens in Berührung - und sie lässt ihn nicht mehr los. Texas - dort regiert damals "weißer" Country in den Jukeboxen. Doch so weit ist Louisiana nicht entfernt, 2,5 Autostunden. Dort sind Cajun-, Blues- und Jazz-Musik angesagt, aus dem Radio funkt mancher Soundfetzen hinüber. Zwischen den rhythmischen Welten bleibt Boz Scaggs dann sechs Jahrzehnte lang hin und her gerissen.
Einer dieser Radio-Songs soll der Track "Blues For Mary Lee" von T-Bone Walker gewesen sein, laut Scaggs eines der süßesten und perfektesten Stücke, die er bis zu diesem Moment je gehört habe. Er geht mit Steve Miller in eine Schulklasse - dem Steve Miller, der später "The Joker" und "Fly Like An Eagle" schreibt.
Steve hat eine ähnliche Kindheit, doch seine Eltern stammen aus der Oberschicht und haben andere Kontakte: Vater Arzt, Mutter Jazzsängerin. Mit fünf Jahren lernt Steve Miller ein paar Gitarrenakkorde von Les Paul, einem Gitarristen und Freund seiner Eltern. Nach ihm wird später das Gitarrenmodell Gibson Les Paul benannt, eine Gitarre, die Boz Scaggs gerne spielt. Die Millers ziehen aus dem Norden nach Texas, als Steve sieben ist. Musikalisch verstehen sich Steve und Boz schon in der Schulzeit. Mit 15 sieht Boz ein Konzert von Ray Charles. Es kommen 3.000 Leute, Boz ist einer der wenigen Weißen im Publikum. In einem Interview mit broadwayworld.com beschreibt er diesen Abend als "transzendental".
Boz macht bereits Musik, kann aber kein Instrument spielen. Er benutzt in einer College-Gruppe namens The Bacchanal Trio mal die Mundharmonika, aber ansonsten fehlen ihm noch die Grundlagen. Steve Miller und Boz Scaggs spielen parallel bereits als The Marksmen an der Schule (Boz singt), später als The Ardells an der Universität. Ob sie dort einen Abschluss erwerben, darüber schweigen die Biographen. Während der Zeit in der U.S. Army trennen sich die Wege. Beide nutzen getrennt voneinander die bewegte Zeit der Beat Explosion für den Sprung in eine Musikerkarriere.
Scaggs tingelt - noch unter dem Namen William Royce Scaggs - Straßenmusikant zwei, drei Jahre lang durch Europa. Diesen Markt wird er sich nie wirklich tief erschließen. Er landet in Schweden, wo er ein Debütalbum für Polydor (damals eine Riesenfirma, heute Teil von Universal) aufnimmt. Der Titel des Albums: "Boz". Das Wort wird sein Künstlername.
Wir schreiben das Jahr 1966, der Blues ist nach Europa übergeschwappt. Boz Scaggs kehrt zu dieser Zeit nach Amerika zurück und tritt in die Steve Miller Band ein. Und die hat am 17. Juni 1967 einen legendären Auftritt beim Monterey Pop Festival, quasi der Mutter aller Festivals.
Nun fühlt sich die Musik 'groß' an. Boz bleibt nicht lange bei Steve. Er traut sich eine Solo-Karriere zu. Atlantic Records machen einen Vertrag mit ihm. Er nimmt ein zweites Debütalbum auf, "Boz Scaggs". Das floppt. Zur Belohnung wird er 'befördert' und geht zu einem noch größeren Label, Columbia Records (CBS). Dort sind zu dieser Zeit bereits Johnny Cash und unter Vertrag. Drei weitere Alben floppen, ein Live-Mitschnitt geht unter und taucht erst 2002 als CD wieder auf.
Sein Jugendfreund Steve Miller hat da mit ganz ähnlicher Musik bereits Gold verkauft und mit der Single "The Joker" Platz 1 der US-Charts erklommen. Doch dann gelingt auch Boz Scaggs ein großer Wurf: "Silk Degrees" verkauft sich als Longplayer fünf Millionen Mal, erreicht Platz 2 der US-Album-Charts, bleibt über zwei Jahre lang in den Album-Top 200, wirft drei Top 40-Singles und einen Platz 42 ab. Genau mit diesem Platz 42-US-Hit schafft er es ins englische und sogar ins deutsche Radio, mit "What Can I Do".
Das Besondere an "Silk Degree": Boz hatte mal andere Musiker mit ins Studio genommen als sonst. Beflügelt vom Erfolg, gründen diese drei - nämlich David Hungate, David Paich und Jeff Porcaro - die Gruppe Toto. Den Kontakt zu Boz halten sie, und Jahre später arbeitet Boz auch mit der anderen Hälfte der Toto-Instrumentalisten, Mike & Steve Porcaro und Steve Lukather zusammen.
Die Musik pendelt nun zwischen Funk, Rock, Soul und Jazz. Nur mit diesem 'Toto-Sound' gelingen ihm Hits. Und: Einmal auch mit den Eagles! Glenn Frey und Don Henley spielen mit ihm auf "Look What You've Done To Me". Dieser Song findet über einen Film-Soundtrack massive Verbreitung in den USA ("Urban Cowboy", eine Western-Romanze über einen Hilfsarbeiter einer Öl-Raffinerie, gespielt von John Travolta). 1981 hat Boz Scaggs einen letzten größeren Hit mit "Miss Sun". Dieser Song läuft heute noch im Airplay mancher ARD-Sender.
Danach wird es eher still um den Sänger. 1988 gründet er einen Musikclub in San Francisco, das 'Slim's'. Dorthin holt er im Laufe der Jahrzehnte große Stars wie Radiohead, Chaka Khan (was für eine Bandbreite...), Green Day, Huey Lewis & The News. Er bucht Snoop Dogg (Rap)und andererseits die Foo Fighters (Grunge) und mittendrin (Soul). In welchem Club der Welt findet so eine musikalische Vielfalt statt?
Er tut viel für die Szene, vernetzt sich mit Donald Fagen von Steely Dan und Michael McDonald von den Doobie Brothers. Einer seiner Live-Gäste im Club ist der Blues-Sänger Bobby 'Blue' Bland, der ihn viele Jahre später zu einer Coverversion inspiriert: auf dem 2018er-Album "Out Of The Blues". Studioalben erscheinen in den Neunzigern nur noch wenige, doch immer wieder Best-Ofs, Essentials usw.
Mit Virgin hat er einen neuen Vertrag, nun also mit der Konkurrenz von CBS. Drei Platten soll er machen, die ersten beiden verpuffen. Die erste, "Some Change", weil sie keinen "Change" bringt und vor allem keinen Single-Hit. Eine alternative Fassung mit Unplugged-Versionen und Remixes ändert daran auch nichts - ein achtbares Album, aber kaum ein Fall fürs Radio.
"Come On Home", das zweite dieser Virgin-Alben, liefert elektrischen Blues. Die dritte Scheibe, "Dig", wird wunderschön elegisch und verträumt. "Dig" zeichnet sich durch das Erzählen von Geschichten aus, durch lange Songs, Saxophon-verzierte Arrangements, neblige Keyboard-Schleifen und eine Seite, die er auch hat: den Jazz-Crooner-Style als Gesangsmittel. Er schmachtet und berichtet, fiepst und sprechsingt. Das Album ist ziemlich 'catchy'. Es schafft es damit in manches europäische Feuilleton und manche Zuhör-Sendung im Radio. Einen Hit hat es aber auch nicht.
Eine 'Rampensau' war er nie. Gerne versteckt er sein Gesicht hinter Sonnenbrillen und unter Hüten, gerne schaut er auf Fotos zur Seite. Bei Konzerten will er mit seiner Stimme überzeugen und nicht mit seinem ganzen Körper.
So liegt es nahe, dass er sich 'auf seine alten Tage' eine Aufgabe sucht, die zu seiner Persönlichkeit passt: als 'History Guide' durch die amerikanische Musikgeschichte. Jazz-Traditionals zu covern bietet sich da an ("But Beautiful"). Danach legt er eine lange Studiopause ein, verlegt seinen Schwerpunkt aufs Live-Geschäft und bleibt bei neuen Platten immer im Modus des Coverns und Stöberns in der Geschichte. 2008 ist er mit "Speak Low" zurück. Er fasst dann 2013 einen Teil der Bandbreite der Memphis-Musikstile zusammen, also Soul, Funk, Dixieland Jazz, Electric Blues ("Memphis"). 2015 covert er auf "A Fool To Care" Americana-Songs und nimmt Country-Duette auf.
Mit einem Querschnitt durch den Blues meldet er sich im Alter von 74 Jahren wieder zu Wort und singt auf "Out Of The Blues" souverän und leidenschaftlich. Doch die Sonnenbrille nimmt er auch weiterhin ungern ab.
© Laut
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