Huun-huur-Tu
"Pferde sind die rhythmusorientiertesten Tiere, die es gibt. Es ist unmöglich, dass Menschen, die viel Zeit in der Gesellschaft von Pferden zubringen, ihr Gespür für Rhythmus NICHT absorbieren."
Die Mitglieder von Huun Huur Tu haben offenbar ihr halbes Leben in der Gesellschaft von Pferden zugebracht. Die übrige Zeit über befinden sie sich auf Tour, um den Rest der Welt mit dem musikalischen Erbe ihrer Heimat zu beglücken: In der autonomen russischen Republik Tuva, im Nirgendwo an der sibirisch-mongolischen Grenze, pflegt man die traditionelle Kunst des Obertongesangs seit Hunderten von Jahren.
Noch nicht ganz so lange, dafür aber intensiv, widmen sich Huun Huur Tu diesem Erbe: Kaigal-ool Khovalyg, die Brüder Alexander und Sayan Bapa und Albert Kuvezin, allesamt in den frühen bis mittleren 60er Jahren geboren, gründen die Formation, die zunächst noch unter dem Namen Kungurtuk firmiert. Schon damit treten sie eine kleine Revolution los.
Bis dato war der Oberton- und Kehlgesang Angelegenheit von Solisten. Huun Huur Tu - der tuvinische Ausdruck für den Strahlenkranz der Sonne, den man zuweilen bei Auf- oder Untergang am Steppenhorizont beobachtet - benutzen diese Technik erstmals im Verbund mehrerer Sänger und begleiten ihren Gesang mit verschiedenen Instrumenten.
Schon 1993 unternehmen Huun Huur Tu ihre erste Auslandstournee durch die USA. Ihr Debütalbum "60 Horses In My Head", eine Sammlung überlieferter tuvinischer Volkslieder, entsteht unterwegs, in Studios in London und Kalifornien.
Kuvezin verlässt die Gruppe, um mit seiner Band Yat Kha einen deutlich rockigeren Ansatz zu verfolgen. Ihn ersetzt Anatoli Kuular - der erste in einer ganzen Reihe von Besetzungswechseln. Für Alexander Bapa, der die ersten beiden Alben der Gruppe produziert hat, kommt Alexei Saryglar.
Bapas Grundsatz bleiben Huun Huur Tu jedoch auch nach seinem Abschied treu: "Wenn eine musikalische Tradition aufhört, sich weiterzuentwickeln", zeigte er sich stets überzeugt, "dann ist sie zum Sterben verurteilt."
Eine Gefahr, die bei Huun Huur Tu zu keiner Zeit besteht: Intonierten sie am Anfang noch rein traditionelle Gesänge zu traditioneller Instrumentierung, nahmen sie später erst die Gitarre, dann weitere Instrumente wie Tablas oder Harfen, sogar Synthesizer in ihr Repertoire auf.
Huun Huur Tu touren, als Quartett oder Trio in wechselnden Besetzungen, unermüdlich um die Welt und kollaborieren mit Künstlern jeder Couleur: Vom bulgarischen Frauenchor bis zum US-amerikanischen Banjospieler ist alles dabei. Sie arbeiten unter anderem mit Ry Cooder, dem Kronos Quartett, Sainkho Namtchylak, Sigur Rós und zahllosen anderen. Frank Zappa lädt die Sänger für eine Jam-Session zu sich nach Hause ein.
Zwischen 2003 und 2005 springt Andrey Mongush für den inzwischen ausgestiegenen Kuular ein. Dann übernimmt Radik Tyulyush seinen Part. Er stammt aus den Reihen von Yat Kha, zu denen Gründungsmitglied Kuvezin einst wechselte: Ein Kreis schließt sich.
Die Texte Huun Huur Tus spiegeln, wie ihre Musik, eine tief verwurzelte Naturverbundenheit wider. Kein Wunder, besaßen die verwendeten Gesangstechniken doch ganz praktischen Nutzen: Sie dienten Hirten zum Beruhigen der Herde, zum Anlocken von Wild bei der Jagd, manche Sänger waren sogar im Stande, ganze akustische Landkarten zu entwerfen.
Die innere Einstellung sei entscheidend, ist man bei Huun Huur Tu überzeugt. Es geht um Respekt vor den Traditionen der Ahnen, Natürlichkeit und Ernsthaftigkeit. Und: "Du musst guter Stimmung und deine Seele, deine spirituelle innere Stimme, muss stark sein."
© Laut
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