Gewaltakt

Albumbeschreibung

Eines gleich vorweg: Die Zusammenstellung der Werke auf dieser CD ist meisterhaft durchdacht und klanglich komplett überzeugend. Wie hier das eine Werk aus dem anderen hervorzugehen scheint und trotz ganz unterschiedlicher stilistischer Welten ein homogener, in sich schlüssiger Gesamteindruck entsteht, das ist höchst eindrucksvoll und gelingt selten bei einer solchen Kompilation. Man hat nicht den Eindruck, Musik aus drei unterschiedlichen Jahrhunderten zu hören, sondern verschiedene Facetten eines bestimmten Ausdrucksspektrums. Deshalb sollte man sich die CD unbedingt komplett anhören und nicht einzelne Titel auswählen.
Die kraftvolle, engagierte Darstellung von Beethovens Coriolan-Ouvertüre gleitet fast unbemerkt in das dissonanzreiche Farbenspiel der Partitur Rameaus über. Der expressive Gestus dieses kurzen Vorspiels aus „Les Boréades“ wirkt im Nachhinein wie eine Vorausschau auf „The Path and the Traces“ des zeitgenössischen estländischen Komponisten Erkki-Sven Tüür mit seinen klangsinnlichen, sanft fließenden Klangbögen.
Und selbst der fünften Sinfonie Beethovens können die Interpreten Neues abgewinnen: So unpathetisch-frisch hat man das Werk selten gehört. Hier klopft das Schicksal nicht an die Tür, sondern das Ensemble findet einen ganz eigenen Ton für diesen Klassiker und rückt Beethoven geradezu in die Nähe des Sturm und Drang. Den jungen, professionell ausgebildeten Musikerinnen und Musikern des ensemble reflektor ist hier eine erfrischend neuartige Sicht auf die ausgewählten Stücke geglückt. Warum diese CD den Titel „Gewaltakt“ trägt, hat sich mir, gerade bei so klangschön-zurückhaltenden Werken wie denen von Rameau und Tüür, allerdings nicht erschlossen.

© Demmler, Martin / www.fonoforum.de