Sandrine Piau
Die französische Sängerin Sandrine Piau, die den leuchtenden Heldinnen Verdis das Chiaroscuro vorzieht, ist eine echte Anti-Diva. Sie war zunächst Mitglied im Chor der Maîtrise de Radio France, bevor sie Harfe studierte und sich durch Chorsingen Lebensunterhalt und Studium finanzierte. Als sie sich für die Gesangsklasse bei William Christie anmeldete, wurde sie von dem Talent-Scout entdeckt und gehörte bald zu seinen Lieblingssolistinnen bei den Arts Florissants. Die beiden hatten ein sehr gespanntes Verhältnis, jedoch ließ sich Sandrine Piau nicht entmutigen, denn trotz der heftigen Auseinandersetzungen wuchs langsam gegenseitiges Vertrauen („wir waren wie Richard Burton und Liz Taylor“, sagte sie später). Diese Zusammenarbeit ließ die junge Sängerin aufblühen, die jedoch schnell als „Barocksängerin“ abgestempelt wurde. Mit Christie, wie auch mit Christophe Rousset, Gérard Lesne, Philippe Herreweghe, Nikolaus Harnoncourt oder Gustav Leonhardt singt sie Purcell, Couperin, Vivaldi, Rameau und Monteverdi. Ihre CD „Le Triomphe de l’amour“ (NAÏVE 2012) ist vergessenen französischen Opern aus dem 17. und 18. Jahrhundert gewidmet.
Mit der Zeit wurde die leichte Sopranstimme von Sandrine Piau größer und kräftiger und ermöglichte ihr den Zugang zu einem anderen Repertoire. Ihre Begegnung mit der Musik von Händel ist entscheidend, denn sie entwickelte dadurch eine breite Palette an Ausdrucksmöglichkeiten. Sie ist eine ergreifende Pamina (Zauberflöte): aufgrund des Charakters zwischen Kindheit und dem Übergang zum Erwachsensein sowie der absoluten Trauer, die sie in dem Moment empfindet, als sie sich von Tamino verlassen glaubt („Ach, ich fühl’s, es ist verschwunden!“) ist sie ihre liebste Mozart-Rolle. Sandrine Piau setzt der Melancholie der Pamina gewissermaßen ein Denkmal, indem sie „desperate heroines“ von Mozart (NAÏVE 2014) ein ganzes Album widmet.
Das 19. Jh. inspiriert sie wenig, trotz einiger Versuche mit Berlioz, Massenet oder Verdi. Sandrine Piau - eine reine Barocksängerin? Nicht ausschließlich. Sie singt Ravel, Dutilleux, Britten (Sommernachtstraum) oder Poulenc (Dialogues des Carmélites) und entwickelt eine echte Leidenschaft für das 20. Jh. Sie brilliert in der Rolle der Mélisande (Débussy), in der sie „mühelos die feinsten stimmlichen Veränderungen und Nuancen der Rolle vermittelt“.
Sandrine Piau besitzt eine umfassende Diskografie von mehr als fünfundzwanzig Opern-Gesamtaufnahmen, aber auch von Rezitals mit Arien, Liedern, Melodien und viel geistlicher Musik. Weise und bescheiden wiederholt Sandrine Piau jedem, der es hören will, dass ihrer Meinung nach „die Stimme ein Ganzes ist und man mit seinen Partnern zusammen singen sollte und nicht nur für sich allein“. Ein Geständnis der Einsicht, die ihre gesamte Karriere bestimmt hat.
François Hudry/ Dezember 2017
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