Virginia Zeani
Von Opernliebhabern verehrt, der breiten Öffentlichkeit jedoch weniger bekannt, hat Virginia Zeani für unvergessliche Abende auf den großen Opernbühnen der Welt gesorgt, wo sie ihre Lieblingsrolle Violetta (La Traviata) 648 Mal gesungen hat… Ihre Dramatik, die Schönheit ihres Gesanges, die Vielseitigkeit und Anpassungsfähigkeit ihrer Stimme ermöglichten ihr, eine große Zahl von Werken aufzuführen, und man täte ihr Unrecht, wenn man sie nur mit dieser einzigen Rolle in Verbindung brächte. Das Repertoire der rumänischen Sängerin umfasst, von der Barockzeit bis zur Zwölftonmusik, 69 Rollen. Dass der Ruf dieser außergewöhnlichen Sängerin heute nicht größer ist, liegt daran, dass sich die Aufnahmestudios damals nur wenig für sie interessierten, weil sie das gleiche Repertoire hatte wie ihre Kolleginnen Maria Callas und Renate Tebaldi. Die 50er-Jahre waren für den Gesang zwar in gewisser Weise ein goldenes Zeitalter, jedoch gab es zu einer Zeit, in der man nicht beliebig viele Operneinspielungen vornahm, wenig Platz für Konkurrenz.
Virginia Zeani wurde in Rumänien, in einem Dorf in Transsilvanien geboren und sang von früh bis spät. Sie erzählte wie ihr beim Zuhören der Musik von fahrenden Zigeunern die Seele regelrecht „durchdrungen“ wurde. Später hat sie bei der Entdeckung von Madame Butterfly ihre Berufung zur Sängerin erkannt. Dank der Großzügigkeit einer Bewohnerin ihres Dorfes konnte sie in Bukarest studieren. Am Ende des Krieges reiste die junge Frau nach Italien, um ihre Gesangsstudien in Mailand fortzusetzen, wo sie mit Aurelio Pertile, einem berühmten Tenor der damaligen Zeit, zusammenarbeitete. In Italien feierte sie auch ihr Debüt, und zwar in Bologna in der Rolle der Violetta, als sie für eine überraschend ausgefallene Sängerin einsprang.
1952 lernte sie in Florenz ihren zukünftigen Ehemann, den berühmten italienischen Bass Nicola Rossi-Lemeni kennen, als sie Maria Callas in I Puritani (Donizetti) vertrat. Die beiden traten in 13 weiteren Opern gemeinsam auf. Eine weitere große rumänische Sängerin, Angela Gheorghiu, bildete später mit dem französisch-italienischen Tenor Roberto Alagna ein ähnlich berühmtes Paar. Die beiden Sängerinnen kennen sich übrigens gut und bewundern sich gegenseitig sehr.
Zu Beginn ihrer Karriere als Koloratursopran sang Virginia Zeani die Rollen der Lucia (Lucia di Lammermoor von Donizetti), Elvira (I Puritani von Bellini), Gilda (Rigoletto von Verdi) und Adele (Le Comte Ory von Rossini). 1960 sang sie die drei weiblichen Rollen Olympia (Koloratursopran), Antonia (lyrischer Sopran) und Giulietta (dramatischer Sopran) in Hoffmanns Erzählungen von Offenbach, während ihr Mann die vier „bösen“ Rollen übernahm. In den 60er-Jahren übernahm sie zunehmend schwerere Rollen wie Aida, Tosca, Manon Lescaut oder Fedora. 1982 trat sie an der Oper in San Francisco in der Rolle der Mutter Maria von der Menschwerdung in Dialogues des Carmélites von Francis Poulenc, mit dem sie gut befreundet war und dessen Oper La Voix humaine sie sowohl auf Französisch, wie auf Italienisch gesungen hat, zum letzten Mal auf einer Bühne auf.
Die „offizielle“ Diskografie von Virginia Zeani ist leider sehr lückenhaft: Alles in allem gibt es zwei Aufnahmen mit Liedern bei DECCA sowie zwei Opern-Gesamteinspielungen, nämlich La Traviata und Tosca, die beide in Rumänien realisiert wurden. Dafür existieren zum Glück illegale Live-Aufnahmen, wie z.B. der Welt-Uraufführung der Dialogues des Carmélites von Francis Poulenc – auf Italienisch, denn es war eine Auftragskomposition für die Mailänder Scala – bei der Zeani Blanche de la Force interpretierte. Es ist ebenfalls eine komplette Traviata erhalten, die 1962 in Covent Garden unter der Leitung von Nello Santi aufgenommen wurde. Daneben sind noch Otello und Zelmira von Rossini, Maria di Rohan von Donizetti, Manon Lescaut von Puccini und zwei Kuriositäten, The Consul von Menotti (beim Spoleto Festival aufgezeichnet) und Il piccolo Marat von Leoncavallo, zu nennen.
Nach ihrem Abschied von der Bühne haben Virginia Zeani und ihr Mann an der Universität von Indiana in den Vereinigten Staaten bis zum Tod von Nicola Rossi-Lemeni im Jahr 1991 Gesangsunterricht gegeben. Danach arbeitete Virginia Zeani alleine weiter und bildete zahlreiche Sängerinnen wie Vivica Genaux, Sylvia McNair oder Elisabeth Futral aus. 2010 wurde sie von der Musikzeitschrift Classical Singer zur Professorin des Jahres ernannt. Sie berät heute noch in ihrem Zuhause in Florida junge verheißungsvolle Sänger.
François Hudry/QOBUZ/November 2017
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