Squarepusher
Im Anfang war die Bassgitarre. Tom Jenkinson spielte mit seinem Leib- und Mageninstrument als Teenager in diversen Bands, graste von Blues bis hin zu Achtziger-Thrash-Metal so ziemlich alles ab. Irgendwie konsequent, dass seine musikalischen Interessen in dem Sound münden, mit dem er ab Mitte der Neunziger als Squarepusher Legendenstatus erreicht.
Erst einmal wächst Jenkinson aber in Chelmsford in der englischen Grafschaft Essex auf, wo er sich aufgrund des konservativen politischen Umfelds "wie ein Fisch auf dem Trockenen" fühlt, wie er der Groove im Sommer 2021 verrät.
Gemeinsam mit Gleichgesinnten verwandelt er seine aride Umgebung aber in ein humides Biotop: Jenkinson konsumiert mit Freund*innen, darunter Gitarrist Guthrie Govan oder Spymania-Gründer Hardy Finn, so viel Musik wie irgend möglich und ist versessen darauf, die verschiedenen Impressionen zu verstehen und nachzuahmen.
Die erwähnten Bekanntschaften illustrieren die musikalischen Pole, zwischen denen sich Squarepusher bewegt. Genauer gesagt, fasst er sie zu einer Klangsignatur zusammen, die zwischen traditionellen Instrumenten und elektronischen nicht unterscheidet, sondern diese mit Mehrwert symbiotisiert. Oder, um Jenkinsons Pragmatismus einfacher auszudrücken: "Wenn früher Musik im Radio lief, war es mir egal, ob da gerade ein richtiges Schlagzeug oder eine Drummachine zu hören war."
Er manipuliert Bassgitarre, Elektronik und die Verbindungsstellen zwischen beiden Welten, um zu erreichen, was ein vielzitierter amerikanischer Maler als "Happy Little Accidents" bezeichnen würde. Squarepusher-Tracks klingen nach traditionellem Verständnis nicht sauber, sondern experimentell, ruckartig, hibbelig – zu Neudeutsch: weird.
"Feed Me Weird Things" heißt passenderweise Jenkinsons erstes Album, das 1996 auf Aphex Twins und Grant Wilson-Claridges Label Rephlex erscheint. "Richard [D. James] ist für mich ein riesengroßer Einfluss gewesen. Die Stringenz, mit der er harmonische Elemente und schöne Melodien mit harschen Sounds kombinierte, waren für mich eine musikalische Offenbarung", schwärmt er im Groove-Interview und fasst damit auch seine eigene Musik relativ treffend zusammen.
Traumhafte, ambiente Passagen wechseln sich mit überfallartigen Breaks ab, die mal mehr Drum'n'Bass, mal mehr Jungle zu sein scheinen. Auch Jazz, am ehesten als seine erste musikalische Liebe zu bezeichnen, findet sich in Jenkinsons Klangdestillat wieder. "Feed Me Weird Things" alleine vereint so viele Einflüsse und Genres, dass sich das Album einfach nicht müde hören lässt.
In den folgenden Dekaden knüpft der Bassvirtuose daran an, veröffentlicht zahlreiche weitere EPs und Langspieler, spielt Liveshows auf der ganzen Welt und vermeidet mit natürlichem Selbstverständnis musikalisches Schubladendenken. Logisch, dass negative Kritiken zu seinem Erstlingswerk an ihm abprallten:
"Dass andere Musiker Spaß an dem Album hatten, bedeutete mir mehr als irgendwelche Reviews. Gerade in der britischen Presse gab es einige Kritiken, die sehr negativ waren. Da hieß es, die Platte sei prätentiös. (...) Mir ging es nicht um Expertenwissen oder darum, zu verstehen, was gut ist und was schlecht. Was mich angetrieben hatte, war einfach Enthusiasmus."
Der Husarenritt findet erst im Jahr 2020 mit "Be Up A Hello" und der fließend anknüpfenden EP "Lamental" ein vorläufiges Ende. Vier Jahre lang hört man vom Briten wenig, von vereinzelten Remixes abgesehen. Erst Anfang 2024 startet er ein verwirrendes PR-Spiel um sein neues Album, das dann am 01.03. zunächst nur zum Kauf, aber nicht zum Stream, erscheint: "Dostrotime". Darin steckt sehr viel Typisches und qualitativ Hochwertiges, trotzdem wird man das Gefühl nicht los, dass es Zeit wäre für den Künstler, mal wieder zu neuen Ufern aufzubrechen. Dass er das kann, bewies er schließlich bereits mehrfach.
© Laut
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