M
Spricht man vom Buchstaben "M" in Verbindung mit Musik, fällt einigen Superhirnen wohl höchstens der Song "Pop Muzik" einer Formation M von 1979 ein. Die alte Disco-Nummer stammt aus der Feder des Briten Robin Scott, der während der Fertigstellung seines Single-Covers damals in Paris weilte und durch die unzähligen, mit einem "M" markierten Metro-Schilder der Seine-Metropole auf die Idee des simplen Künstlernamens kam. Überall Gratiswerbung für mich, mag sich der Schelm vielleicht gedacht haben.
Zufällig stammt aus Frankreich auch der neue Inhaber dieses prägnanten Kürzels: Ob sich Matthieu Chédid ebenfalls von Pariser U-Bahnen inspirieren ließ, oder den Buchstaben rechtlich von Scott abtrotzen musste, wissen wir nicht. In Belgien, der Schweiz und natürlich in seiner Heimat Frankreich ist Chédid dafür schon weitaus bekannter als Scott und längst kein One-Hit-Wonder mehr. Im Oktober 2004 schafft er sogar einen unglaublichen Rekord: M spielt an drei Abenden hintereinander in der riesigen Pariser Halle Bercy, die ansonsten für Superstars wie U2 oder die Red Hot Chili Peppers reserviert ist. 45.000 Zuschauer jubeln ihm insgesamt zu.
Nicht einmal die auch hierzulande ständig Feuilleton-Lob einheimsenden Musikerkollegen Benjamin Biolay oder Dominique A schaffen derartiges. Mit der von jenen Herren angestoßenen Nouvelle Chanson-Bewegung hat M allerdings auch wenig zu tun. Der Comic-Fan ist zwar waschechter Musiker, aber er ist vor allem Entertainer. Er kultiviert sein Image als Paradiesvogel und kleidet sich dementsprechend. Halb Clown, halb Jimi Hendrix, halb Mickey Mouse, halb Elvis; ohne Gegensätze geht es nicht.
Zu seinem Markenzeichen hat er die M-Frisur erkoren, eine mit Gel nach vorne frisierte Spitze, die von zwei seitlichen, flügelartigen Auswürfen flankiert wird. Live kreiert der Sänger seine ganz persönliche Rocky Horror Picture Show und gestaltet sie um zu seinem M-Universum, das optisch einem Appartment gleich kommt, fertig möbliert mit Teppich, Fernseher und Kühlschrank. Seine Konzerte sind wie Prozac-Pillen, schrieb einst ein Kritiker, und meinte damit wohl auch den Farben-Overkill, den der gerne in rosa gekleidete Musiker seinem Publikum zumutet. Andere sehen in ihm eines der größten Songwriting-Talente seit Serge Gainsbourg.
Matthieu Chédid ist der Spross einer Künstlerfamilie und kommt am 21. Dezember 1971 in Boulogne-Billancourt zur Welt. Sein Vater Louis ist ein bekannter Sänger, der Anfang der 70er Erfolge feierte, seine Großmutter Andrée erhielt für ihre Bücher und Gedichte zahlreiche Literaturpreise. Später schreibt sie auch einige Texte für ihren Enkel, die auf Ms Alben gelangen. "Ich bin mit Platten von Elvis und Hendrix aufgewachsen, mit den Gehröcken der Sgt. Peppers-Beatles und mit den Verwandlungen von Ziggy Stardust", blickt der Sänger auf diese Zeit zurück.
1978 steht er erstmals im Studio und singt den Background für "T'a beau pas être beau", einen Song seines Vaters. Trotz zahlreicher musikalischer Anzeichen schlägt Matthieu später eine grafische Ausbildung ein und studiert Design, was man bald an seinen Bühnenoutfits ablesen kann. Dennoch spielt er nebenbei Gitarre in einigen Bands und arbeitet als Studiomusiker und Arrangeur. Sein Debütalbum erscheint 1997 und birgt die später für ihn typische Kombination aus Rock, 60s-Melodien, Variété und Funk nur im Ansatz. Mit "Je dis aime" holt er zwei Jahre später dann zum Rundumschlag aus: seine sympathischen Anekdoten sind noch treffender formuliert, das Songwriting noch versierter; 400.000 Käufer sehen das genauso. Mit den Singles "Machistador" und "Le Complexe du Corn Flakes" ("Der Minderwertigkeitskomplex der Conflakes") vergrößert er seine Fangemeinde.
Dennoch erlaubt er sich weiterhin Späßchen, nimmt zum Beispiel mit "Lado M" ein reines Instrumentalalbum auf, dessen Titel auf Ms Studionamen rekurriert. Zu tun hat er jetzt ohnehin reichlich: Kollegen wie Vanessa Paradis, Brigitte Fontaine, Cassius oder Charlotte Gainsbourg bitten den Man in Pink als Autor oder Komponist in ihr Studio. Auch für die französischen Filme "Les Triplettes De Belleville" und "Peau d'Ange" schreibt er Songs. In "Peut-être", einem Film von Cédric Klapisch, wird M sogar erstmals parodiert: für eine futuristische Sequenz schlüpft der Comedian Vincent Elbaz in die Rolle des Verwandlungskünstlers.
Am berühmtesten machen ihn jedoch seine Konzerte, auf denen ihn mit Vincent Segal (Bass, Cello) und Cyril Atlef (drums) zwei Musiker unterstützen. Dort fegt M wie ein junger Ziggy über die Bühne, leckt über seinen Gitarrenhals, feuert Gags ab, und nimmt sich dabei selbst auf die Schippe. Die Doppel-Livescheibe "Le Tour de M" (2001), die sein umjubeltes Konzert aus dem Pariser Olympia dokumentiert, legt (besonders auf DVD) Zeugnis der absonderlichen Fantasie und des Talents des Künstlers ab. 2003 erscheint mit "Qui de nous deux" sein drittes reguläres Studioalbum und steht drei Wochen an der Spitze der französischen Charts.
Nicht ohne Grund: Erneut hat M haarsträubende Ohrwürmer komponiert ("Sous Ta Peau", "Je me demasque"), gnadenlose Fuzz-Rocker ("Mon Ego"), eine Prise Prince-Funk ("Gimmick") und mit "Quand je vais chez elle" eine haarsträubend coole Trip Hop-Acid-Rock-Nummer. Engelsgesänge und Streicher sind ebenfalls wieder reichlich vorhanden. Im Herbst 2004 ist es auch hierzulande so weit: Ms rosane Gitarre erobert deutsche Plattenläden, ihr Besitzer reist sogar für einen Auftritt nach Berlin.
Derweil trifft M wieder zahlreiche Kollegen für Kollaborationen: Mit Jacques Dutroncs Sohn Thomas arbeitet er für den Song "Toutes les filles sont folles" zusammen, er spielt Gitarre für Cali, komponiert mit Vanessa Paradis für deren Album "Divinidylle" (2007) und nimmt mit Sean Lennon die Single "L'Éclipse" auf.
© Laut
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