Kiss
"You want the best? You got the best!" Wer diese Aussage in einer Konzerthalle um die Ohren gehauen bekommt, weiß, dass ihm gleich zwei Selbstdarsteller ersten Ranges (Gene Simmons und Paul Stanley) mit Begleitmusikern unter dem Banner Kiss einen musikalischen Abend bereiten werden. Diese Worte sind ein fester Bestandteil von Kiss wie die Schlabberzunge von Basser/Sänger Gene oder die gesungenen Ansagen von Gitarrist/Sänger Paul.
War die Band bis Anfang der 80er noch eine der größten Rockbands diese Planeten, so glänzen sie heutzutage hauptsächlich durch ihren Merchandise, der mitunter abnorme Formen annimmt. Wer sich mit einem Kiss-Kondom über der Nudel im eigenen Kiss-Sarg beerdigen lassen will, dem stehen ausschließlich finanzielle Probleme im Weg. Auf Lager haben die Knutschköpfe so ziemlich alles.
Eigentlicher Kopf und Initatior von Kiss ist Chaim Witz, der nach seiner Übersiedlung von Israel nach New York zu Gene Klein wird, bevor er mit dem Künstlernamen Gene Simmons und dem Alter Ego "The Demon" Karriere macht. 1967 greift Gene zum ersten Mal zur Gitarrre und spielt in unterschiedlichen Bands.
Erst über seinen Kumpel Stephen Coronel kommt er in Kontakt mit einem Gitarristen namens Stanley Harvey Eisen (später Paul Stanley), der auch eine richtige Ausbildung als Musiker hinter sich hat und noch später auf den Bühnennamen "Starchild" hören soll. Durch ein paar Werbejingles, welche die beiden einsingen, bekommen sie den Job als Backgroundsänger auf einem Album von Lyn Christopher, und dort taucht auch zum ersten Mal der Name Gene Simmons auf.
Während Gene nach seinem BA-Abschluss als Lehrer arbeitet, blickt Paul auf glorreiche Zeiten als Taxifahrer zurück. Auf George Peter Criscoula, der im Mai '72 bei Wicked Lester einsteigt, stoßen sie über eine Anzeige in einer Musikzeitung. Peter ist das älteste Mitglied der Band und kann auch auf die größte musikalische Erfahrung zurückgreifen.
Sein Künstlername lautet schließlich "The Cat", und mit seiner Schminke sieht der Kerl auch aus, wie gerade aus dem gleichnamigen Musical entlaufen. Im Januar 1973 stößt dann auch Paul Daniel Frehley zur Band, der anschließend auf Ace hört und auf der Bühne zum "Spaceman" wird. Mit dieser Besetzung tragen sie Wicked Lester zu Grabe und der Name Kiss ist geboren.
Von Anfang an hat der visuelle Aspekt bei Kiss einen mindestens ebenso wichtigen Rang wie der musikalische, und deshalb kommt Gene, der schon immer ein Faible für Comics und Horrorstreifen hatte, mit der Idee an, sich für die Auftritte zu maskieren und in entsprechenden Kostümen aufzutreten. Die Idee war zwar nicht mehr so neu, da schon Alice Cooper und auch Gary Glitter auf ähnliches Make Up zurückgegriffen hatten, aber der Werbeeffekt war erfolgreich. Nachdem sie sich voll auf das Proben und das Einstudieren ihrer Bühnencharakter konzentriert hatten, entern sie 1973 das Studio, um für Casablanca Records ihr Debüt "Kiss" aufzunehmen.
Ihr Starkult treibt zum Teil seltsame Blüten. So machen sie jahrelang ein Geheimnis um ihre wahren Gesichter, niemand sieht sie ohne Schmodder (außer die Groupies vielleicht) in der Öffentlichkeit. Wen wunderts, auf Firlefanz und Schnickschnack sind die Amis schon immer abgefahren. Mit dem Studioalbum "Destroyer" erreichen die Vier 1976 einen kreativen Höhepunkt, der einige ihrer größten Hits beinhaltet.
1984 zeigen sie sich zum ersten Mal mit ihren wahren Gesichtern. Frehley und Criss steigen aus, ersetzt durch Bruce Kulick und Eric Carr, dem Anfang der 90er Jahre Eric Singer folgt. Obwohl sie in den 80er Jahren nochmal zwei kommerziell erfolgreiche Platten veröffentlichen, schwindet das Interesse der Öffentlichkeit allmählich - bis Simmons und Stanley auf die Idee kommen, die Originalbesetzung wieder zusammen zu trommeln. Auf "Unplugged" (1996) folgt eine erste Comeback-Tour, die mit Schminke und Feuerwerk weltweit für ausverkaufte Hallen sorgt.
Als sie 1998 mit "Psycho-Circus" nach fast 20 Jahren ihr erstes Studioalbum in Originalbesetzung veröffentlichen, beginnt eine unerhörte Merchandising-Offensive, die bis zum Jahr 2004 etwa 2500 Artikel zur Verfügung stellt. Die Gunst der Stunde nutzend, schieben sie 1999 den Film Detroit Rock City nach.
Auch die anschließende Tournee hat es in sich. "So etwas habt ihr noch nicht gesehen. Wir bringen euch das allererste 3-D-Konzert der Welt", kündigt Ace Frehley an, der Leadgitarrist und Multimedia-Experte der Band. Mit 3D-Brillen werden die Fans vor der Bühne bestückt, um die Spezialeffekte der Konzerte voll auskosten zu können. Kiss sind eben absolute Vermarktungsprofis. Über 75 Millionen Platten haben die Rocker, die mit ihrem wildem schwarz-weißem Make-Up mittlerweile einige Falten kaschieren, seit Beginn ihrer Karriere verkauft. Trotzdem: "Jetzt geht es erst richtig los!", meint Gene Simmons.
In der Tat. Nachdem sie 2000/2001 auf ihrer "Farewell Tour" die Welt umrunden, sind sie im Februar 2003 wieder zu sehen - in Melbourne mit 60-köpfiger geschminkter Orchesterbegleitung. Das Jahr endet mit Konzerten in den USA und der Aufzeichnung des Melbourne-Auftritts auf CD und DVD.
Ihre Tätigkeiten gehen auch 2004 munter weiter. Nachdem Simmons im Mai mit "Asshole" sein zweites Soloalbum veröffentlicht, geht er mit der Band erneut auf Tour. Von der Originalformation sind allerdings nur noch der Bassist und Sänger Stanley übrig geblieben: Nach dem Auslaufen der Verträge mit Frehley und Criss nehmen Tommy Thayer und Eric Singer ihre Plätze ein. Natürlich in den selben Kostümen, was bei den Fans für Unruhe sorgt.
Anschließend ist der maskierte Spuk erst einmal vorbei, zumindest auf der Bühne. 2006 sind die Rocker aber immer noch aktiv wie eh und je. Während Simmons durch die USA reist und das Kiss-Parfüm "Fragrance" vorstellt, macht Stanley musikalisch von sich reden. "Live To Win" lautet der Titel seines zweiten Soloalbums, das er mit der Band der US-Reality Show "Rockstars" auch live promotet.
Wie es scheint, halten es die Kiss-Mitglieder aber nicht lange ohne einander aus. Anfang 2008 kündigt man eine erneute Comeback-Tour an, die anlässlich des 35-jährigen Bandbestehens "Kiss Alive/35" Tour betitelt ist. In ingesamt 17 Ländern will man Station machen und auf einigen der bekanntesten Festivals des Sommers auftreten. Zum ersten Mal in ihrer Karriere machen sie dabei in Moskau, St. Petersburg und Verona Station. Und siehe da, den Fans versprechen sie sogar ein nagelneues Album.
Bevor es so weit ist, erscheinen insgesamt vier DVD-Compilations. Den Anfang macht Ende Mai "Kissology Vol.1 1974-1977". Die nächsten Packages folgen bis Ende 2009. Zur Überraschung vieler liegt Anfang Oktober mit "Sonic Boom" jedoch zunächst tatsächlich das versprochene neue Album vor.
Im Anschluss begibt sich die Combo auf große Welttournee, ehe man sich Anfang 2012 - abermals unter der Regie von Starchild Paul Stanley - im Studio verschanzt, um das zwanzigste Studioschaffen in Angriff zu nehmen. Nachdem die Basics im Kasten sind, geht es im Sommer 2012 nochmals auf Nostalgie-Reisen mit Mötley Crüe, ehe es im Herbst 2012 in punkto Neuveröffentlichung Ernst wird. Das Album "Monster" erscheint am 05. Oktober 2012 und präsentiert den Vierer druckvoler denn je: "Dieses Album ist Rock pur. Es gibt keine Balladen, kein Füllmaterial und keine Kinderchöre", so Bassist Gene Simmons.
Steil auf die Siebzig zugehend lassen es die Herren Stanley und Simmons in den Folgejahren etwas ruhiger angehen. Die Aufnahme in die Rock and Roll Hall of Fame im Jahr 2014, eine Co-Headliner-Tour mit Def Leppard und eine mehrtägige Las Vegas-Live-Stippvisite - die Höhepunkte bis zum Beginn der Pandemie. Dann lassen es Kiss wieder richtig krachen: So rockt man sich zum Silvesterfest 2020/2021 mal eben in Dubai ins Guinessbuch der Rekorde.
Kurz zuvor startet die Band in Vancouver ihre finale "End Of The Road"-Tour, die sich aufgrund der Pandemie ungeplant in die Länge zieht. Irgendwann im Jahr 2023 soll dann wirklich der allerletzte Vorhang nach 50 Jahren Bandgeschichte und einer märchenhaft erfolgreichen Rockkarriere fallen.
© Laut
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