Kano
Irgendjemand muss etwas in die East Londoner Wasserversorgung getan haben. Wirklich. Eine andere Erklärung gibt es nicht dafür, dass innerhalb kürzester Zeit mindestens drei musikalische Sensationen dem Bezirk der Themse-Metropole entspringen.
Im Herbst 2003 haut der zu diesem Zeitpunkt gerade 19-jährige Dizzee Rascal mit Electro-Beats und einem Mörder-Flow der Musikszene direkt in die Fresse. Mitte 2005 bezirzt die aus Sri Lanka stammende M.I.A. mit ihren Synthie-Granaten alle Herzen zwischen New York und Moskau. Ende 2005 taucht ein gewisser Kano auf, der dem neu erfundenen Genre Grime einen ganz frischen Stempel aufdrückt. Sein Stil: ein wenig mehr Hip Hop, etwas weniger Synthiewahn und ein Rap-Talent, das sogar den großartigen Dizzee Rascal in den Schatten stellt.
Es ist 2005, und East London hat in Kane "Kano" Robinson seinen neuen Star gefunden. Gerade 19 Jahre alt, hat der junge Rapper bereits drei Jahre im Geschäft auf dem Buckel. Dem Londoner Underground ist der unscheinbare Junge mit jamaikanischen Wurzeln seit dem Track "Boys Love Girls" ein Begriff. Ein Song, den Kano, gepusht von der Aufnahme in die N.A.S.T.Y.-Crew, mit gerade 16 Jahren schrieb.
Inhaltlich erklärt sich der Titel von selbst, es geht natürlich um Sex. Verständlich, dass man in diesem Fall den Worten eines 16-Jährigen besondere Aufmerksamkeit schenkt. Zumal Kano auf dem Track, getragen von einem genauso simplen wie genialen Flöten-Sample, einen so unverschämt vielversprechenden Flow an den Tag legt, dass den Garage/Rap-Veteranen Londons die Knie zittern.
London fragt also nach dem Wieso und Woher dieses großmäuligen Jungspunds und ist doppelt verwundert, dass Kane Robinson nicht nur am Mikrofon, sondern auch als Mittelstürmer im Chelsea-Nachwuchs und als Graphik-Student an der prestigeträchtigen Greenwich University eine verdammt gute Figur macht. Die Wahl zwischen den drei Optionen fällt dem Engländer angesichts der aufstrebenden East Londoner Musikszene leicht. Grime, eine Mischung aus synthetischen Garage-Beats und Rap-Lyrics, treibt seine ersten Knospen, und Kano verschreibt sich zu hundert Prozent der Musik.
Gute Entscheidung! Das beweisen bald darauf die immensen Erfolge der Kollegen Dizzee Rascal, Wiley und der gesamten Roll Deep-Crew, die den Grundstein für Kanos Aufstieg legen.
Den vorläufigen Höhepunkt markiert der Gewinn des Best Newcomer-Preises 2004 bei den britischen Urban Music Awards. Dort werden Kontakte geknüpft und bald darauf Verträge unterzeichnet. Kano gibt seine musikalische Zukunft in die Hände des Londoner Labels 679 Recordings, das seine Fähigkeiten schon bei der Arbeit für Mike Skinner aka The Streets unter Beweis stellte.
Entgegen etlicher Presse-Gerüchte, die Londoner Grime-Szene sei zerstritten, featuret man sich emsig untereinander und gibt dem weltweiten Grime-Phänomen weiteren Auftrieb. Allein für den "Run The Road"-Sampler kollaborieren von D Double E bis Lady Sovereign, Wiley, Dizzee Rascal und Kano selbst, alle, die in London Rang und Namen haben.
Ende 2005 stellt Kano sein Solo-Debüt der Öffentlichkeit vor. "Home Sweet Home" heißt das Meisterstück, das Kano prompt eine Nominierung bei den Brit- und ganze vier bei den MOBO-Awards beschert. Neben seinem außergewöhnlichen Talent als Emcee profiliert sich der Londoner zudem auf dem 16 Songs starken Longplayer als ideenreicher Produzent. Von Synthie-Intro bis Metallica-Sample ist alles dabei.
Das Album steigt respektabel auf Platz 36 der UK-Charts ein. Im Februar 2006 tourt Kano mit der Berliner Dancehall-Crew Seeed durch Deutschland. Mittlerweile sollten schließlich auch die Heads außerhalb Londons verstanden haben, dass der East London-Scheiß zum heißesten gehört, das die Insel zu bieten hat. Die Inselbewohner selbst sind sich dessen natürlich bewusst und bugsieren Kano auf die Nominierungslisten der heimischen Award-Shows von MOBO bis Brit Awards. Außerdem adelt Londons Bürgermeister Ken Livingstone den Rapper zu einem von Londons Helden des Jahres.
Kano bedankt sich artig bei seinen Fans und schenkt ihnen zwei Mixtapes: "Beats & Bars" und "Kano's Mixtape". Hätte er gar nicht müssen, denn kommerziell kommt "Home Sweet Home" nur bedingt an. Das Bitterste für Kano selbst: Trotz einiger Respektsbekundungen von Ami-Rappern wie Busta Rhymes, Nas und Jay-Z kommt es nie zu einer offiziellen Veröffentlichung in den Staaten.
Nicht das Einzige, das sich beim Release von Album Nummer zwei ändern soll. Im September 2007 steht "London Town" in europäischen wie auch amerikanischen Regalen. Im Gegensatz zum Debüt ist der Longplayer jedoch deutlich ruhiger geworden. Kollaborationen mit Damon Albarn, Kate Nash und Craig David schrauben das Tempo deutlich herunter. Eine Minimierung der Hip Hop-Lastigkeit und eine Maximierung der Charts-Kompatibilität, die im Zusammenspiel ein wenig an Kanos so lieb gewonnener Innovativität kratzt.
Der Wunsch, zu den Grime-Wurzeln zurückzukehren, wächst. Kano verlässt sein Label 679 Recordings und veröffentlicht via MySpace auf eigene Faust das Mixtape "MC No. 1". Die positiven Reaktgionen der Fans bleiben offenbar auch in Business-Kreisen nicht unbemerkt. Für sein drittes Album "140 Grime Street" kommt Kano bei Bigger Picture Musik unter.
"Method To The Maadness" erscheint 2010. In den Folgejahren beschränkt sich Kano musikalisch auf diverse Kollaborationen und Mixtapes. Erst 2016 bekommt seine Fangemeinde mit "Made In The Manor" wieder eine "richtige" Platte fürs Regal angeboten.
Die hat ihre Schatten allerdings lange voraus geworfen: "Flow Of The Year", ein Kollabo-Track mit JME, erscheint bereits im Frühjahr 2014. Im März und April des Folgejahres erscheinen "Hail" und "New Banger".
Warum es bis März 2016 dauert, bis das zugehörige Album erscheint, wissen vielleicht die hinter den Kulissen Beteiligten. Allzu nachteilig scheint sich die Reifezeit aber nicht auszuwirken: Mit Platz acht in den britischen Hitlisten verzeichnet Kano seine höchste Chartsplatzierung seit "London Town".
An seiner Grundintention hat sich über die Jahre wenig bis gar nichts geändert: Kano steht für "real east end theme music": "I rep east London with the realest quotes."
© Laut
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