Blueface
... und noch ein Rap-Meme: 2018 gehen auf Instagram Videos viral, in denen ein Dude mit blauen Klamotten und einer Benjamin Franklin-Kette neben Videos von Courage, the Cowardly Dog rappt. Ein hysterischer Flow, vorbei an jedem Takt, und eine Stimme, die alle drei Wörter bricht, während sie den Drums davonzurennen scheint.
Ein Rapper wie ein Cartoon-Charakter, und einen Namen hat er auch: Blueface. Wenn wir etwas vom "Final Boss of Soundloud Rappers" Tekashi 6ix9ine gelernt haben, dann wohl, dass Meme vom Star-Status nur einen heißen Song entfernt liegt.
Bis dieser heiße Song ins Land zieht, verstreicht gar nicht so viel Zeit. 2017 ist noch nicht einmal zuende, als Johnathan Porter zu rappen beginnt. Der in Mid City in Los Angeles aufwachsende Junge befasst sich eigentlich gerade mit einer semi-erfolgreichen College Football-Karriere, seiner Gang aus Schultagen und einem neugeborenen Sohn. Die Bitte, aus einem Studio ein Handyladekabel abzuholen, führt dazu, dass ihn Produzent Laudiano dazu überredet, selbst einmal ans Mic zu treten.
Die Ergebnise sind ... originell: 2017 veröffentlicht Blueface sein erstes Mixtape "Too Coccy", im Folgejahr legt er mit "Famous Cryp" nach. Im Gegensatz zu anderen Viralphänomenen bricht das aber nicht augenblicklich durch, sondern kocht erst ein wenig in der lokalen Szene.
Wenn man sich Aufnahmen von High School-Konzerten aus dieser Ära ansieht, merkt man: Los Angeles liebt Blueface. Noch bevor irgendjemand östlich von Kalifornien auch nur ein Wort von diesem Kerl gehört hat, brüllen in Mid City schon ganze Pausenhöfe seine Texte mit.
Irgendwann ist es aber doch soweit, dass "Famous Crypn" auch überregional die Runde macht. Für jemanden, der nicht zu vertraut mit LAs Rap-Tradition ist, dürfte der Kulturschock massiv ausfallen: Blueface rappt in der Tradition von DJ Quik, Suga Free, YG oder Snoop Dogg in einem eigenwilligen Gravitationsfeld um den Beat. Gerade in Zeiten, in denen Artists wie SOB X RBE, 1takejay oder Kalan.frfr diesen Stil in die Trap-Moderne überleiten, steht Blueface wie ein Ausrufezeichen am Ende einer Entwicklung.
Eine Entwicklung, die ohne Kontext komplett amateurhaft wirken mag. Das ist auch der Grund, warum die Memes um Blueface 2018 so viel Spaß machen. Es klingt komplett außerirdisch und für manch einen geradeheraus wirklich schlecht, wie er rappt. Aber dass da ein gewisser Unterhaltungsfaktor drinsteckt, der über pure Fremdscham hinausgeht, kann man nicht ganz leugnen. Blueface rockt, was er da tut.
Deshalb starten seine ersten Singles wirklich durch: Nummern wie "Next Big Thing", "Fucced Em" und "Deadlocs" haben nicht nur einen Sound, sondern sind auch gewollt verdammt witzig. Im Gegensatz zu einem Lil Pump, dessen Spaßfaktor eher ungewolltes Beiprodukt seiner Ignoranz ist, reißt Blueface Pointen herunter, die infolge seiner charismatische Delivery, dem absurden Timing und der albernen Kaltschnäuzigkeit ziemlich präzise zünden.
Der Durchbruch kommt nach "Respec My Crypn" mit dem Song "Thotiana". Der besitzt nämlich eine Hook, die gerade Mainstream-freundlich genug ist, um per Cash Money West-Boost ein bisschen Radio-Appeal abzubekommen. Parallel dazu startet auf Cole Bennetts Lyrical Lemonade-Kanal ein Musikvideo zu "Bleed It". Es folgen Remixes von YG und Cardi B zu "Thotiana", und Anfang 2019 steht die Nummer in den Top Ten der Billboard-Charts.
Dabei hat Blueface noch Einiges mehr im Köcher: Schon Ende 2018 hat Drake angeklopft und mitsamt Produzent Boi-1da um eine Kollaboration gebeten. Gleichzeitig springen Rapper wie Young M.A. auf seine Songs, und die Kontroverse um einen Offbeat-Rapper ist immer noch nicht ausgebrannt.
Es bleibt zwar fraglich, ob er nun die Türen für mehr LA-Stil im Mainstream öffnen wird oder als Gimmick auch recht bald wieder ausbrennt. Aber Blueface hinterlässt in seiner Zeit zweifelsohne seinen Fußabdruck in der Raplandschaft, und das, ohne bis dahin überhaupt ein offizielles Studioalbum veröffentlicht zu haben.
© Laut
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