Guarnieri: Chôros, Vol. 1 & Seresta

Albumbeschreibung

Der erste (auf dem Cover verschwiegene) Vorname des Brasilianers Camargo Guarnieri (1907-1993) lautet „Mozart“. Doch damit hängt es wohl nicht zusammen, dass Guarnieri die musikalische Avantgarde skeptisch sah: Die Atonalität sei wie Kaugummi – nur am Anfang schmackhaft. Und: Zwölftonmusik mache auch Nicht-Musiker zu Komponisten. Umso überraschender, dass er in einem Werk dieses Albums, dem Choro für Flöte und Kammerorchester, mit seriellen Techniken liebäugelt. Er erweitert seine neoklassizistische Sprache, die immer auch Elemente der Volksmusik miteinbezieht, hier in Richtung eines abstrakteren Stils. Aber er behandelt ihn nicht dogmatisch. Die „avantgardistischen“ Anklänge fügen sich in ein übergreifendes expressives Konzept ein.
In Guarnieris Sprachgebrauch sind „Choros“ kleine Konzerte für Soloinstrument und Orchester. Die für Fagott und Violine bleiben bei einer erweiterten Tonalität, streifen Pastorales und Verspieltes, haben Witz und Esprit. Besonders eindrücklich das Klavierkonzert „Seresta“, das nicht zu den Choros zählt, aber eine ähnliche Ästhetik vertritt: Nach dem kapriziös motorischen Kopfsatz überrascht Guarnieri mit einem versonnen sich in einer Traumwelt bewegenden Mittelstück. Das hört man sich gern öfter an.
Isaac Karabtchevsky, der bei Naxos einen beachtlichen Zyklus der Sinfonien von Heitor Villa-Lobos vorgelegt hat, beweist auch bei Guarnieri seine Kompetenz für alles Brasilianische. Er gibt den Werken eine Unbedingtheit, die sich auf die genau realisierten Strukturen wie auf die inhaltliche Ebene erstreckt. Die Solisten, allesamt Mitglieder des Sinfonieorchesters aus São Paulo, lassen in ihren teils anspruchsvollen Partien keine Wünsche offen.

© Friesenhagen, Andreas / www.fonoforum.de