Early in the Mornin'

Albumbeschreibung

Mit Blick auf die Altvorderen Neues schaffen – für den schweizerischen Posaunisten Samuel Blaser hat dies schon zu schönen Resultaten geführt. Bei dem Projekt „Consort in Motion“, für das er auch Drummerlegende Paul Motian gewinnen konnte, nahm er sich Erneuerer der Alten Musik vor (Machaut, Monteverdi, Frescobaldi), ein anderes widmete er einem Erneuerer des Modern Jazz (Giuffre). Immer übersetzte er seine Vorlagen in aktuelle Improvisationsmusik im Geiste der Nach-Free-Zeit.
Diesmal wurde er an den Wurzeln der amerikanischen Populärmusik fündig: bei Feldaufnahmen vom legendären Leadbelly und anderen, die der Ethnologe Alan Lomax einst im Staatsgefängnis Parchman Farm sammelte; bei Worksongs und Blues, aber auch bei Folkballaden englisch-irischer Herkunft. Die Idee ist nicht neu, überraschten doch jüngst Drummer Adam Nussbaum mit einem „Leadbelly Project“ (s. FF 05/18) oder sein Kollege Jaimeo Brown mit Samples aus Lomax-Aufnahmen („Work Songs“, s. FF 04/16). Für einen europäischen Musiker ist derlei Interesse an „American folk roots“ nicht alltäglich. Der Schweizer nähert sich ihnen mit seinem New Yorker Quartett sowie Oliver Lake und Wallace Roney als illustren Gästen.
Das Titelstück eröffnet Lake mit einer Soloimprovisation aus Intervallspüngen und Überblaseffekten auf dem Alt, bevor die Band gemessenen Schrittes einsteigt. Es weht der Geist des Free Jazz, immer wieder eingefangen und gelenkt von Blasers Arrangements. Im Leadbelly-Klassiker „Black Betty“ legt der Posaunist geradezu Mangelsdorff'sche Growls und Multiphonics über geloopte Sounds, bis das Motiv, das schon Rock-Coverversionen hervorbrachte, wie ein Monolith vor Gerry Hemingways freiem Drumming steht. Blues und Roots sind bei Blaser kein zwölftaktiges oder sonstiges Schema, sondern archaische Vorlagen für Ausdruck, Groove und teils freies Spiel.

© Klostermann, Berthold / www.fonoforum.de