Dillon
Do-it-yourself währt vielleicht doch am längsten. Denn wo der (talentierte) Künstler überall und jederzeit drinsteckt, sich frei entfalten kann, kommt nicht selten authentische Kunst raus. Wenn anschließend noch der Fame-Feenstab namens MySpace das Ventil ins Remote-Indie-Netzwerk öffnet, Blogs vor Begeisterung reihenweise kapitulieren, ist der Plattendeal zu Beginn des neuen Jahrtausends schon recht nah. Man muss tatsächlich dankbar sein für Virulenz und Versifizierungspotenzial der Social-Community-Riesen.
Auch Dominique Dillon de Byington weiß sicher, wem sie ihren ersten Plattendeal mit dem Berliner Indie Kitty-Yo (Chikinki, Raz Ohara) - neben ihrer natürlichen Begabung – ebenfalls zu verdanken hat. Nicht einmal ein Jahr, nachdem der 1988er-Jahrgang einen ersten schlichten Clip auf YouTube platziert hat, steht die Unterschrift bei besagtem Label.
Gerade erst die Hochschulreife in der Tasche, filmt sie sich Anfang 2007 im Video zu "The Rate Of Yesterday" selbst: am elterlichen Piano, an das sie sich "einfach mal so" gesetzt hat. Sie spielt drauflos, weil sie eben kann. DIY as can be, und so zu spielen und zu singen, das lernt Mensch in keiner Ausbildung der Welt. Nicht nur in den Worten von DJ Koze besitzt Dillon "eine sehr schöne Stimme und singt angenehm unperfekt und wahrhaftig. Sie hat Charakter".
Diese Einzigartigkeit weiß Dillon auch live zu transportieren. Über ihr kompaktes Keyboard gebeugt, trägt sie Zeilen voller Post-Adoleszenz vor. Der Laptop spuckt Drumbeats, Bleeps und diverse Samples in akustische Zwischenräume, die der intime Gesang gerne freilässt. Flächen zur Entfaltung, Momente zum Verstehen.
Doch dann steht Dominique auf von ihrem angestammten Platz, greift zum Megaphon und weist in einer erfrischenden Mischung aus shouting Bootybass, Electroclash und hedonistischen Club-Insignien den Weg aus jenem Irrgarten, in den sich das Publikum vielleicht verlaufen hatte. Nein, ihr Output passt eben nicht ins "Frau am Klavier, Marke Tori Amos"-Fach. Wer sich selber erschafft, sieht sich nicht zwingend mit festen Genregrenzen konfrontiert. Nennen wir es doch Underground Pop.
Ihre Mutter allerdings, die seinerzeit mit der vierjährigen Dillon und deren Bruder von Brasilien nach Köln gezogen war, weil sie sich dort schwer verliebt hatte, zeigt sich anfänglich nicht uneingeschränkt begeistert vom Tun des Schösslings. "Du willst ein Rockstar sein? Geh und sei irgendwo anders ein Rockstar."
Die zu jener Zeit Neunzehnjährige packt tatsächlich ihre Sachen und zieht, nach reiflicher Überlegung, von Köln in eine WG in Berlin. Nicht jedoch wegen etwaiger Bedenken der Eltern, denn die untersützen sie nach vollen Kräften. Dillon möchte vielmehr dort studieren, eines Tages. Zunächst steht aber im weltstädtischen Schmelztiegel der Popverheißungen die Musikkarriere auf dem Stundenplan.
Seither tauchen in Dominiques YouTube-Channel neben neuen Soundclips kurze Skizzen aus dem WG-Alltag auf - Neukölln gefällt offensichtlich. Wenn allerdings die Szene-Hipster vom Vice Magazin mit dem Rampenlicht winken oder Jolly Goods und Jeans Team den Toursupport-Slot feilbieten, verlässt sie ihre Heimat bestimmt durchaus ganz gern.
2011 hat nicht nur MySpace seine Marktführerschaft fürs Entdecken neuer Musik an Soundcloud abgetreten, auch das Label Kitty Yo ist mittlerweile Geschichte. So erscheint Dillons Debütalbum "This Silence Kills" auf BPitch Control, dem Label einer anderen Alleskönnerin: Ellen Allien.
Die Arbeit am zweiten Album ist mühsam-Dillon leidet an einer Schreibblockade. Nur maximale Selbstdisziplin lässt sie "The Unknown" 2014 fertigstellen, was sie im Nachhinein aber als Qual empfindet: "Schreiben ist für mich eine wahnsinnige Herausforderung. Es ist befriedigend, ein Gedicht fertig zu bekommen, aber der Weg dahin kann extrem anstrengend sein".
Beim dritten Album läuft es besser: Schon vor der Produktion hat sie viele Ideen. "Zum ersten Mal seit einer langen Zeit war ich wieder in der Lage mit einer gewissen Leichtigkeit an Musik zu arbeiten.". Sie muss nicht krampfhaft schreiben, sondern die vielen Textzeilen, die sie bereits hat, nur noch ordnen. Auf "Kind" geht es um die Liebe und das Genesen von ihr. Der Opener "Kind" und der letzte Titel "2. Kind" umrahmen das Album-der gleiche Song, am Anfang nüchtern und fragend, am Ende im Exzess, versichernd.
© Laut
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