Y'Y

Albumbeschreibung

Es gibt einen ganz besonderen Moment auf Y'Y, dem atemberaubenden neuen Album des brasilianischen Jazzpianisten und Komponisten Amaro Freitas, bei dem es tief in den Ohren hallt und die Psyche in einen Schock versetzt wird - genau auf halber Strecke des achtminütigen Abenteuers Dança dos Martelos, nachdem Freitas bereits drei ausgezeichnet gespielte Versatzstücke auf dem Klavier und präpariertem Klavier dargeboten hat. Er beginnt mit dem frei schwebenden Miniaturstück Mapinguari (Encantado da Mata), geht dann über zu einer vierminütigen, hypnotischen und melodischen Erkundung mit dem Klavier, das auf Uiara (Encantada da Água) - Vida e Cura als Drums eingesetzt wird und dann zu Viva Naná, das mit Shakern, Pfeifen, Perkussion und Stimme Geräuschkulissen des Amazonasbeckens zum Erklingen bringt.

Nachdem er also sein Können am Klavier unter Beweis gestellt hat, lässt es Freitas vier Minuten nach dem sanft perkussiven Dança dos Martelos wirklich krachen und hämmert mit der Hand wie angewidert auf die Taste, sticht wie mit einem Klappmesser in Noten ein. Als hätte er völlig die Kontrolle verloren, gehen er und die Band in eine unerbittliche Melodienschleife über, die immer wieder von einem “Klavierwutanfall” Freitas' unterbrochen wird. Dieses furchtlose Piano-Jazz-Album ist herrlich dynamisch und charakterisiert sich vor allem durch seine rhythmischen Partien, die schrill und auffällig sind.

Freitas' drittes Album erscheint drei Jahre nach seinem hochgelobten Sankofa, das auf vielen Best-of-Listen des Jahres auftauchte. Bei diesem Werk arbeitete Freitas, der an der östlichen Spitze Brasiliens in der Stadt Recife geboren und aufgewachsen ist, mit einer Rhythmusgruppe zusammen und lieferte acht Oden an verschiedene brasilianische Musiker.

Auf Y'Y hat Freitas das Amazonasbecken und das indigene Volk der Sateré-Mawé thematisch in den Fokus gestellt. Diese Umgebung, die von Recife so weit entfernt ist wie Los Angeles von New York, inspirierte den Pianisten dazu, "ein neues Reich musikalischen Schaffens zu erleben, eines, das in Magie und Möglichkeiten verwurzelt ist und von einem Gefühl der Verantwortung für die Großzügigkeiten der Erde geprägt ist ...".

Freitas betrat das Studio mit einer Reihe von hochkarätigen Musikern und Musikerinnen, von denen er viele während der Tournee zur Unterstützung von Sankofa kennenlernte: Der Flötist und Saxophonist Shabaka Hutchings (Sons of Kemet, The Comet is Coming), die angesagte Harfenistin Brandee Younger (Makaya McCraven, Meshell Ndegeocello), der Gitarrist Jeff Parker (Tortoise, Isotope 217), der Schlagzeuger Hamid Drake (Don Cherry, Herbie Hancock) und der kubanische Kontrabassist Aniel Someillan.

Bei Uiara führt Freitas einen elektronischen Bogen über die Klaviersaiten, um "Geräusche zu erzeugen, die denen des rosanen Amazonasdelfins ähneln", wie es im Booklet heißt. An anderer Stelle verwendet Freitas Klebeband, um Klaviersaiten zu verzerren, "um den Klang von Synthesizern nachzuahmen" und spielt immer wieder mit der Mechanik seines Instruments. Mar de Cirandeiras klingt wie ein ECM-Ambient-Jazz-Stück aus der Mitte der 1970er-Jahre, gespickt mit unheimlichen Vokalisten à la Eberhard Weber. An manchen Stellen schlägt Freitas die Tasten so sanft an, dass man zwar die Berührung des Hammers, aber kaum die Reaktion der Saiten hört.

All dies sorgt für wahre Wunder, die sich aneinanderreihen und macht Y'Y zum Schmuckstück eines Piano-Jazz-Albums mit viel spontaner Energie, atemberaubenden Momenten und einem so einzigartigen Ansatz. Es ist ein Album, das so viele Achterbahnfahrten und Wendungen enthält wie ein Quentin Tarantino-Film, in dem man sich verlieren kann. Laut und bewusst hören! © Randall Roberts/Qobuz