Masters In Bordeaux

Albumbeschreibung

Vermutlich ist es wie im wirklichen Leben, wenn Erinnerungen ausgetauscht werden: Im Lauf der Zeit klingen sie bei fantasiebegabten Erzählern immer eine Spur anders. Mitunter werden die Storys derart attraktiv ausgeschmückt, dass sie nur noch eine entfernte Ähnlichkeit mit dem ursprünglichen Geschehen haben. Das lässt sich auf die musikalische Begegnung des bereits neunzigjährigen französischen Pianisten Martial Solal mit dem zwanzig Jahre jüngeren amerikanischen Saxofonisten Dave Liebman übertragen. Die beiden trafen sich im Sommer 2016 „Live At Jazz & Wine Festival Bordeaux“ und einigten sich auf ein Programm, das sich – bis auf Miles Davis’ „Solar“ – aus Stücken vom Great American Songbook zusammensetzte. Das in der Blütezeit des Swing entstandene „All The Things You Are“ von Jerome Kern wurde bereits von vielen Bop-Musikern harmonisch derart raffiniert umgestaltet, dass die reizvolle Melodie kaum noch er- kennbar war. Bis das Thema in Solals und Liebmans Version auftaucht, kreiert das Duo eine wundervolle Camouflage. Sie wird durch ein dramatisches Piano-Intro und anschließende sprunghafte Saxofon-Chorusse gebildet, bis sich – zunächst erst phrasenhaft angedeutet – das Thema einstellt. Der Improvisationsverlauf weist schon auf die nachfolgenden Titel hin. In den meisten Stücken, wie auch in „Night And Day“, klingen Liebmans Beiträge extrovertierter als die eher in sich ruhenden Ausführungen des Pianisten. Jedoch in Solals Improvisationen schwingt das Feeling eines Künstlers mit, der sich bereits im Paris der frühen Fünfzigerjahre mit vielen amerikanischen Modern-Jazz-Interpreten austauschte, sich aber auch als Komponist von Soundtracks und Moderner Klassik einen Namen machte. Wie beseelt das Duo weitere Klassiker wie „On Green Dolphin Street“ und „Lover Man“ spielt, verrät, wie sehr sie sich mit dem melodischem Gehalt dieser unvergänglichen Melodien identifizieren.
© Filtgen, Gerd / www.fonoforum.de