Thom Yorke
Als das Magazin Third Way Thom Yorke 2004 fragt, was für ihn Erfolg bedeute, sagt er: "Oh, nur bei Verstand bleiben. Das wäre schon ein Erfolg."
Yorke ist und bleibt das Gesicht von Radiohead, doch nach 20 Jahren in der Band wird es ihm offenbar langweilig. Er veröffentlicht sein Soloalbum "The Eraser". Nach Yorkes eigener Einschätzung handelt es sich bei dem Album um eine Ansammlung sehr skizzenhafter Ideen, die herumschwirrten, seit er lernte, den Computer richtig zu benutzen. Auf "The Eraser" gibt es daher monströse Klangwelten und diffuse Texte zu Elektro-Beats. Das Album widmet er seiner Tochter Agnes, die 2003 geboren ist. Zusammen mit ihr, seiner Frau und seinem Sohn Noah lebt Yorke in Oxfordshire.
Thom Yorke kommt 1968 im englischen Wellingborough zur Welt, zieht aber mit seiner Familie oft um, da sein Vater Vertreter für Chemie-Geräte ist. Das macht es ihm schwer, Freundschaften zu knüpfen, und führt zu einem Gefühl der Isolation. Außerdem ist bis zu seinem sechsten Lebensjahr sein linkes Auge verschlossen. Bei der fünften Operation zur Korrektur verliert er fast vollständig sein Augenlicht. Nicht die besten Voraussetzungen, um als Frontmann einer Rockband Karriere zu machen: Doch sein herabhängendes Augenlid soll in den 90er Jahren, dem Zeitalter des Videoclips, zu seinem Markenzeichen avancieren.
Als Zehnjähriger zieht er mit seinen Eltern nach Oxford. Dort lernt er in der Schule die späteren Radiohead-Bandmitglieder kennen. Nachdem er als Teenager John Castello, The Beatles und Queen, später dann R.E.M. und die Pixies hört, greift er selbst zur Gitarre.
Sein erstes eigenes Lied für On A Friday, wie sich die Band damals noch nennt, handelt von einer Atomexplosion. Auch später sind seine Texte, die er oft mit hoher Kopfstimme singt, kryptisch bis pessimistisch. Viele seiner Songs handeln etwa von Autounfällen, seit er 1991 mit seiner Freundin einen Crash hatte. Im Video zur Single "Black Swan" (2006) sieht man Autofracks umherfliegen, während Yorke singt: "This is fucked up. We are black swans ..."
Thom Yorke studiert Englisch und Kunst in Exeter. Er spielt bei verschiedenen lokalen Bands: den Headless Chicks und der Technoband Flickernoise. Aus seiner Collegezeit stammt auch der Kontakt zu Stanley Donwood, mit dem er das Artwork zu seinen Platten gestaltet. 2002 gewinnen die beiden den MTV Award für das beste Coverdesign. Neben Radiohead singt und schreibt er uunter anderem für PJ Harveys Album "Stories From The City, Stories From The Sea" sowie das Duett mit Björk "I've Seen It All" auf deren Album "Selma Songs - Dancer In The Dark" (2000).
Der politisch engagierte Yorke nimmt 2009 an der gescheiterten UNO-Klimakonferenz (im Rahmen des Kyoto-Protokolls) in Kopenhagen teil. Hauptsächlich taucht der Veganer seit den Nullerjahren aber in musikspezifischen Best Of-Irgendwas-Listen auf. So verwundert es wenig, dass er 2009 die Supergroup Atoms For Peace mit aus der Taufe hebt: Flea, Joey Waronker (Drummer bei Beck), Mauro Refosco (Forro In The Dark) und Radiohead-Producer Nigel Godrich heißen die anderen Mitglieder, die unter anderem beim Coachella 2010 auftreten. Ein Album folgt 2012.
2014 startet Yorke ein Experiment, das den Online-Handel mit Musik zurück zu den verantwortlichen Künstlern lenken könnte. Bei der Verbreitung seines zweiten Solo-Albums "Tomorrow's Modern Boxes" nutzt BitTorrent zum ersten Mal seine digitale Infrastruktur für den ausdrücklich legalen Vertrieb von Musik.
Doch Yorke treibt es weg von klassischen Alben, hin zum Komponieren von Soundtracks. 2015 steuert er die musikalische Untermalung zu einer Radiohead-Ausstellung bei, die hauptsächlich aus Field Recordings besteht. Noch im gleichen Jahr folgt Musik für Theaterstücke, Kurzfilme und Modeschauen.
All das diente aber nur als Aufwärmprogramm für ein viel ambitionierteres Projekt: 2018 bastelt Yorke den Soundtrack zu Luca Guadagninos Horrorfilm-Remake "Suspiria": ein 80-minütiger Koloss von Album, für den der Musiker Inspiration bei "Blade Runner", James Holden und altem Krautrock sucht.
Nur ein Jahr später erscheint mit "Anima" sein nächstes Soloalbum. Das entstand zusammen mit Stammproduzent Nigel Godrich unter Live-Bedingungen im Studio, der aus Skizzen kurze Samples bastelte. Die ziehen sich wie ein roter Faden durch das gesamte Werk. Dazu fungiert Yorkes Stimme als ein zusätzliches Instrument. Die Scheibe lebt vor allem durch eine melancholisch dunkle Grundstimmung, die sich oftmals ins Zuversichtliche verschiebt.
Begleitend läuft auf Netflix ein von Paul Thomas Anderson ("Magnolia", "Boogie Nights") gedrehter Kurzfilm zur Platte, der sowas wie eine Reflexion auf die unterbewussten Ängste des Sängers und Musikers darstellt.
Auch nach über 20 Millionen verkaufter Alben ist der Multi-Instrumentalist, der keine Noten lesen kann und den nicht wenige Promis als Misanthrop beschreiben, noch immer unsicher, ob die Leute ihn überhaupt mögen: "Als Pop- oder Rockstar denken immer alle, man müsse ein Super-Ego haben, aber das habe ich nicht."
Das vermeintliche Super-Ego gründet 2022 mit seinem Radiohead-Kollegen Greenwood und seinem Haus- und Hofproduzenten Godrich The Smile, eine selbstitulierte Supergroup mit dem Drummer von Sons Of Kemet. Auf einige Youtube-Live-Jams folgt im Mai "A Light For Attracting Attention", das gefällt, aber die Antwort schuldig bleibt, warum es kein Radiohead-Album sein konnte.
© Laut
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