Odetta
Rosa Parks bezeichnet ihre Lieder als größte Inspiration für ihr Sitzenbleiben gegen die Unterdrückung, Martin Luther King adelt sie zur 'Königin der amerikanischen Folkmusik', Joan Baez, Janis Joplin oder Pete Seeger zählen sie zu ihren größten musikalischen Einflüssen: Odetta Holmes ist die große und leider fast in Vergessenheit geratene Stimme der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung.
Geboren wird sie 1930 zum Höhepunkt der Großen Depression in Alabama als Tochter eines Industriearbeiters und eines Hausmädchens. Nach dem Tod des Vaters zieht die Familie nach Los Angeles weiter. Eher zufällig wird eine Lehrerin dort auf das große gesangliche Talent von Odetta aufmerksam, die daraufhin klassischen Gesangsunterricht erhält. Ihre Mutter hofft auf eine Karriere als Opernsängerin, aber Odetta fühlt sich weit stärker zu den traditionellen Folksongs hingezogen, die für sie "den ganzen Zorn und die Frustration bündeln" mit denen sie aufwächst.
Ab Mitte der Fünfziger Jahre macht sich die Sängerin in der Szene einen Namen, zunächst als Teil des kurzlebigen Duos Odetta & Larry. Bald darauf jedoch tourt sie alleine mit einer Gitarre durch die Nachtclubs des Landes. Frühe Alben wie "Odetta Sings Ballads And Blues" werden von der Folkszene und prominenten Mitmusikern teils begeistert aufgenommen. Bob Dylan behauptet sogar, dass erst Odetta ihn dazu gebracht habe, sich dem Folk zuzuwenden. Mit Elvis begann für ihn die Faszination für die Rockmusik, aber als er Ende der Fünfziger im Plattenladen auf ein Album von Odetta stößt, ist er so beeindruckt, dass er seine elektrische Gitarre auf der Stelle gegen eine akustische tauscht und sich alle Lieder der Platte beibringt.
Es muss eine große Ehre gewesen, als die Sängerin mit der markanten Zahnlücke einige Jahre später ein Album mit Protestsongs von ihm aufnimmt. Auch sonst tut sich Odetta weniger als Songschreiberin hervor, als vielmehr durch ihre beeindruckenden Adaptionen traditioneller Folkweisen, die sie sich ganz zu eigen macht. Wer nur ein Beispiel dafür haben möchte, wie stark sich die Sängerin in die Geschichte hinter ihren Songs hineinfühlt, dem sei ihre Aufnahme des Spirituals "Sometimes I feel like a motherless child" empfohlen, in den sie den ganzen Schmerz der Diasporaerfahrung der schwarzen amerikanischen Bevölkerung legt.
Ihre tiefe, kraftvolle Stimme und ihre emotionalen Interpretationen machen Odetta zu einer treibenden politischen Kraft in der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung. 1963 nimmt sie mit Martin Luther King und zahlreichen Mitmusiker:innen am Marsch auf Washington teil, wo sie den Song "Oh Freedom" anstimmt. Im kommenden Jahr untermauert sie mit ihrem Album "It's A Mighty World" ihren Status als wichtige emanzipatorische Stimme.
Als die Folkmusik zur Mitte des Jahrzehnts an Popularität verliert, sinkt auch Odettas Stern. Veröffentlichte sie Anfang der Sechziger noch mehrere Alben pro Jahr, werden die Veröffentlichungen nun bedeutend unregelmäßiger. Live tritt sie allerdings durchweg auf und bestreitet 2008 im Alter von 77 Jahren ihre letzte Tour. Gesundheitlich ist die Sängerin offensichtlich schwer angeschlagen und kann nur im Rollstuhl auftreten, ihre Stimme aber hat nichts von ihrer Power verloren.
Odetta stirbt im Dezember desselben Jahres, einen guten Monat, bevor sie bei der Vereidigung des ersten afroamerikanischen Präsidenten hätte auftreten sollen. Auch wenn es vielleicht zu viel gesagt wäre, dass die Sängerin mit einen Grundstein gelegt hätte, dass Barack Obama überhaupt gewählt werden konnte, so hat sie mit ihrer Musik doch einen nicht unerheblichen Teil zur Emanzipation der schwarzen Bevölkerung in den USA beigetragen.
Nicht nur wegen ihrer beeindruckenden Stimme also, auch wegen dieses historischen Erbes wäre es tragisch, würde Odetta aus der öffentlichen Erinnerung verschwinden. Die Sorge aber ist nicht gerade unbegründet, denn wie zu viele einstmals prominente schwarze Blues- und Folk-Sängerinnen droht auch Odetta langsam, still und heimlich aus dem Kanon geschrieben zu werden.
© Laut
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