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Betty Davis

Selten traf der Ausspruch jemand sei seiner, respektive ihrer Zeit voraus gewesen, genauer zu als im Fall Betty Davis. Die Siebziger mögen wild gewesen sein, Betty Davis war wilder. "Absolut unbezähmbar", nennt es Carlos Santana. "Zu viel für mich", befindet Miles Davis, der in seiner Autobiografie über seine zweite Ehefrau zudem schreibt: "Sie war die erste. Sie war Madonna, lange vor Madonna. Sie war Prince, vor Prince." Wir dürfen annehmen, dass Betty Davis nicht allzu begeistert auf derlei Vergleiche reagiert hat. In einem ihrer raren Interviews, die überdauert haben, wehrt sie sich jedenfalls bereits 1974 gegen die unentwegt gezogenen Parallelen: "Ich bin ich und ich bin anders", nimmt sie gegenüber dem Black Music-Magazine der Frage, welchen Künstler*innen sie ähnele, jeden Wind aus den Segeln. "Meine Musik ist einfach das nächste Level von Funk. Ich liebe Tina, aber wir sind einfach zwei völlig verschiedene Personen. Das gilt genau so für Jimi Hendrix, Sly Stone, Larry Graham und Stevie Wonder. Wir alle bringen dich dazu, mit den Fingern zu schnippen, aber aus komplett verschiedenen Gründen. Also hört damit auf, mich zu vergleichen!" Es führt ohnehin zu nichts: Betty Davis ist unvergleichlich, eine Ausnahmeerscheinung in vielerlei Hinsicht: Sängerin, Songwriterin, Produzentin, Arrangeurin, eine Vollblut-Künstlerin, obendrein erfolgreiches Model, Trendsetterin, Übermensch-große Bühnenpersönlichkeit, ein Selfmade-Star, selbstbestimmt durch und durch, eine, die sagt, was sie will, sich das im Zweifel auch einfach nimmt, und das in einer Zeit, in der weibliche Selbstermächtigung und Sexposivity noch lange nicht in aller Munde sind. Die erste (zudem eine Schwarze) Frau, die nicht nur ihre Lieder selbst schreibt, sondern auch ihre Alben produziert und über ihr musikalisches Personal alleine entscheidet, das erste Schwarze Model in weißen Modeblättern: Betty Davis gehört in so vieler Hinsicht zu den Ersten, es liegt eigentlich auf der Hand, dass sich ihre Fortschrittlichkeit für sie kein Stück ausgezahlt hat. Wenngleich eine von Kolleg*innen respektierte Legende, fährt sie in ihrer kurzen aktiven Zeit doch nie den kommerziellen Erfolg ein, den sie verdient gehabt hätte. In Europa steht man ihr noch etwas aufgeschlossener gegenüber als in den prüden USA. Ihrer unzweideutigen Texte wegen boykottieren sie im angeblichen land of the free reihenweise die Radiostationen. Religiösen Eiferern sind ihre sexuell aufgeladenen, hemmungslosen Auftritte ein Dorn im Auge, die selbsternannten Sittenwächter laufen regelmäßig Sturm, mehrfach können Shows infolge der empörten Proteste gar nicht erst stattfinden. Ob ihre Großmutter geahnt hat, was sie da anrichtet, als sie ihrer Enkelin auf ihrer Farm ihre umfangreiche Blues-Platten-Sammlung vorspielt? Die Saat ist auf jeden Fall gelegt: Betty Grey Mabry ist ungefähr zehn, als sie den Stimmen von Muddy Waters, B.B. King oder John Lee Hooker verfällt. Ihren ersten eigenen Song schreibt sie mit zwölf. Als sie dann noch ihren Daddy zu einem Song von Elvis tanzen sieht, steht für sie fest: Sie will ins Showbusiness. Zunächst geht es aber erst einmal nur bis in die Peripherie von Pittsburgh: Weil ihr Vater im dortigen Stahlwerk Arbeit findet, zieht die Familie nach Homestead. Die Kleinstadt hält Betty, die zusammen mit einem Bruder aufwächst, aber gerade so lange, bis sie ihren Highschool-Abschluss in der Tasche hat. Mit knapp 17 kehrt sie ihrem Elternhaus den Rücken und zieht nach New York, wo sie sich am Fashion Institute of Technology ein Modedesign-Studium aufnimmt. Sie kommt bei ihrer Tante unter, ist jedoch bald ausgiebig im Nachtleben der Stadt unterwegs, die, so munkelt man, niemals schläft. Betty stürzt sich kopfüber in die hippe Szene. Um ihr Studium zu finanzieren, modelt sie und arbeitet in einem angesagten Club namens The Cellar. Dort geben sich Hipster, Künstler, Schauspieler, Designstudenten und Musiker jeglichen Geschlechts munter die Klinke in die Hand. Betty knüpft Kontakte. Sie freundet sich mit Jimi Hendrix und Sly Stone an, ist mit Hugh Masekela liiert und lernt, kurz nachdem diese Beziehung in die Brüche gegangen ist, den 18 Jahre älteren Miles Davis kennen. Nicht einmal ein Jahr später sind die beiden verheiratet. Klar, denkt sich da jetzt manche*r: Junges, ehrgeiziges Ding lässt sich von einem arrivierten Jazz-Musiker protegieren. De facto läuft der Hase genau in die entgegengesetzte Richtung: Davis hat offenbar nicht nur seine erste Ehefrau satt, er fühlt sich auch kreativ festgefahren. Es ist Betty, die ihrem Gemahl aktuelle Musik zeigt, sprich: psychedelischen Rock. Sie stellt ihm ihre Freunde vor und trägt dazu ganz maßgeblich zu Miles Davis' musikalischer Weiterentwicklung bei. Sein Album "Filles De Kilimanjaro" trägt ihr Gesicht auf dem Cover, der Song "Mademoiselle Mabry" ist namentlich ihr gewidmet, und ohne Betty, die nun Betty Davis heißt, hätte "Bitches Brew" nicht nur anders geklungen, als es klingt, es trüge auch einen anderen Titel: Miles wollte die Platte ursprünglich, viel konventioneller, "Witches Brew" nennen. Dass Betty mit ihrem Sinn für Mode obendrein seine Garderobe erheblich aufpeppt, verkommt da nahezu zur Randnotiz. Aller gegenseitigen Wertschätzung zum Trotz hält die Ehe gerade einmal ein Jahr. Betty sei "zu viel, zu wild, zu jung" für ihn gewesen, schreibt er in seiner Autobiografie und dichtet ihr eine Affäre mit Jimi Hendrix an. Wegen angeblicher Untreue reicht er 1969 die Scheidung ein, da hat Betty ihre Sachen jedoch längst gepackt: "Ich war stinkwütend, als ich das gelesen habe", echauffiert sie sich später, "es war respektlos, Jimi und mir gegenüber. Miles und ich haben uns wegen seiner Gewaltausbrüche getrennt." Seine Drogenabhängigkeit dürfte auch nicht gerade schuldlos am Scheitern dieser Ehe gewesen sein. Die gewesenen Ehepartner bleiben einander trotzdem verbunden. Betty, die unter ihrem Geburtsnamen bereits erste Singles veröffentlicht hat, firmiert weiterhin unter dem Namen Betty Davis. Ihr Ex-Ehemann versucht noch, ihr zu einem Plattendeal zu verhelfen, doch weder Columbia noch Atlantic zeigen irgendein Interesse an den vorgelegten Demoaufnahmen, die in den Jahren 1968 und '69 entstehen. Betty beschließt, sich erst einmal auf ihre Modelkarriere zu konzentrieren, die nämlich läuft wie am Schnürchen. Als erste Schwarze Frau ziert sie Magazine wie Glamour und Seventeen. Sie pendelt zwischen New York und Los Angeles, zieht Anfang der 1970er sogar für eine Weile nach London, dabei mag sie den Model-Job noch nicht einmal. Er langweilt sie viel mehr zu Tode: "Es gefiel mir nicht, weil man dafür kein bisschen Hirn braucht", kommentiert sie, sich obendrein der Flüchtigkeit der Angelegenheit bewusst: "Es klappt ohnehin nur so lange, wie du gut aussiehst." Noch lange bevor ihre strahlende Erscheinung dahinwelkt, kehrt Betty Davis deshalb dem Laufsteg den Rücken. Ihr Plan: zurück in die Staaten und zusammen mit Santana wieder an Musik arbeiten. Ehe es dazu kommt, scheint sich aber eine Erkenntnis breitzumachen: Hey, eigentlich ... braucht sie doch niemanden? Statt dessen nimmt Betty Davis mit den zahllosen versierten Musikern aus ihrem Bekanntenkreis ihr eigenes Material in Angriff. Die Liste der Beteiligten auf ihrem selbstbetitelten Debüt lässt glatt vergessen, dass hier eine Newcomerin am Werk ist, die Credits lesen sich wi das musikalische Who-is-who der frühen Siebziger Jahre: Musiker von Tower of Power, Santana, Journey, Sly & The Family Stone und Graham Central Station tummeln sich da, außerdem die Pointer Sisters. Alle Songs stammen aus Betty Davis' eigener Feder. "Betty Davis" erscheint 1973 bei Just Sunshine Records, dem Label von Woodstock-Veranstalter Michael Lang, ebenso ein Jahr später der noch wildere Nachfolger "They Say I'm Different", bei dem sie zudem die Produktion selbst verantwortet. Für ihr drittes Album kommt Betty Davis endlich bei einem Major-Label unter: "Nasty Gal" kommt 1975 über Island heraus. Der Wechsel hierhin entpuppt sich jedoch nicht als die beste Wahl: Noch während der Aufnahmen zu ihrem vierten Longplayer stört es offenbar doch, dass keiner der Vorgänger finanziellen Erfolg mit sich brachte. Bei Island wollen sie Betty Davis daraufhin gefälliger, leichter vermarktbar machen. Wie das ausgeht, lässt sich leicht erahnen, weiß man, dass sie schon 1964 auf ihrer Debüt-Single verlangt hatte: "Get Reday For Betty". Sich künstlerisch verbiegen lassen? Doch wohl nicht die Frau, die die Songs verantwortete, die den Commodores die Türen bei Motown öffneten, die den ihr angebotenen Songwriterdeal aber ablehnte, weil sie nicht bereit war, die Rechte an ihren Schöpfungen abzugeben. Sie zähmen, diese Betty Davis, die Eric Clapton zwar nicht, um ihn zu daten, wohl aber, um ihn ihr Album produzieren zu lassen, viel zu langweilig fand? Nie im Leben. Betty Davis' und die Wege von Island Records trennen sich, die Aufnahmen verschwinden im Archiv und ihre Urheberin, frustriert von den Machenschaften im Unterhaltungsgeschäft, die sie immerzu nur ausbremsen, verschwindet ebenfalls. Die letzten Aufnahmesessions datieren von 1979, danach zieht sich Betty Davis zurück. Etliche Monate lang lebt sie in einem japanischen Schweigekloster. Erst 1980 ruft sie die Nachricht vom Tod ihres Vaters wieder in die Heimat. Betty Davis zieht zurück nach Homestead zu ihrer Mutter, wo sie abseits von Rampenlicht, Glamour und Aufregungen ... was genau tut? "Nichts", beantwortet sie diese Frage. "Einfach nur leben." Ende der Geschichte. ... zumindest beinahe: Auch wenn Betty Davis keine kommerziellen Erfolge beschieden waren, weil sie einfach viel zu fortschrittlich für ihre Zeit war, verhindern die Qualität ihrer künstlerischen Vision und der schiere Wahnsinn ihrer exorbitanten Performances dennoch wirkungsvoll, dass ihr explosives Funk-Blues-Rock-Gebräu, wahrhaftig a bitches brew, vollends in Vergessenheit gerät. Mitte der 1990er Jahre kursieren plötzlich ihre nie veröffentlichten Aufnahmen aus den Sessions von 1979 auf zwei Bootleg-Alben, zudem eine Greatest-Hitst-Compilation. Das Label Light In The Attic macht seinem Namen 2007 alle Ehre, indem es zuerst Betty Davis erste beiden Alben neu veröffentlicht. Zwei Jahre später folgt die Re-Issue von "Nasty Gal", zudem erscheint erstmals das bisher verschollene vierte Album: "Is It Love Or Desire?" Auch "The Columbia Years 1968 - 1969" erfahren endlich doch noch eine ordentliche Veröffentlichung. Künstlerinnen wie Beyoncé oder Janelle Monáe nennen Betty Davis als Inspirationsquelle, Rapper von Ice Cube über Method Man bis zu Talib Kweli samplen ihre Songs, die auch Jahrzehnte nach ihrer Entstehung noch fetter, rebellischer, heißer und futuristischer klingen als das meiste zeitgenössische Zeug. 2017 rollt die Dokumentation "Betty: They Say I'm Different" das Leben der Künstlerin auf und ruft sie einer neuen Generation von Fans zurück ins Gedächtnis. Betty Davis nimmt im Fahrwasser der neu zurückgewonnenen Aufmerksamkeit 2019 zum ersten Mal seit Jahrzehnten wieder Musik auf: Zusammen mit Danielle Maggio entsteht die Single "A Little Bit Of Hot Tonight". Zu einem glorreichen Comeback kommt es trotzdem nicht mehr: Im Februar 2022 erliegt Betty Davis im Alter von 77 Jahren einem Krebsleiden. Da sie sich zu Lebzeiten Vergleiche energisch verbeten hat: Wie hätte Betty Davis ihre Musik wohl selbst beschrieben? Darüber müssen wir nicht mutmaßen, es ist in einem der wenigen für die Nachwelt festgehaltenen Audiointerviews dokumentiert. Sie braucht nur ein einziges Wort dafür, das sie sicherheitshalber gleich noch buchstabiert: "Raw", nennt Betty Davis ihren Sound, "r-a-w".
© Laut

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