Steve Reich
"Ich freue mich, wenn Leute sich mit meinen Werken auseinandersetzen. Musiker, die ich zum Teil gar nicht kenne und 40 Jahre jünger sind als ich interessieren sich für meine Arbeit. Jeder Mensch ist froh, wenn die Dinge, die er tut für andere nützlich sind und ich weiß, dass meine Musik Komponisten wie Michael Nyman, David Lang oder Phil Glass beeinflusst hat."
Und nicht nur diese namhaften Kollegen hat Steve Reich als Vater der Minimal Music beeinflusst. Auch Bowie, Lou Reed oder die Sonic Youth hätte es neben vielen anderen Künstlern so nicht gegeben.
Obwohl man Reich gern unter dem nichtssagenden Label 'Moderne Klassik' ablegt, ist sein Einfluss auf Entstehung und Entwicklung diverser populärmusikalischer Genres gar nicht hoch genug einzuschätzen. Ohne Reichs Werk wäre die gegenwärtige Musikwelt nicht nur eine andere, sondern eine ärmere. Egal ob Rock, Pop, Techno, Trance, Ambient oder Hiphop: Fast jeder moderne Stil zehrt bis heute von seinen Errungenschaften.
Seine Minimal Music (weitere Gründer: LaMonte Young oder Terry Riley) ist in weiten Teilen das prähistorische Urmodel all dessen, was man heute als Loops, Samplings etc. bezeichnet. Entsprechend zeichnet sie sich vor allem durch zwei Hauptmerkmale aus: Zum einen repetitive, dem Mantrischen entlehnte Strukturen, die durch ein Abfolgen in konstanter Wiederholung kleinster melodischer, rhythmischer oder harmonischer Teile entsteht. Und das sogenannte Phase-Shifting, eine Phasenverschiebung dieser Einzelteile in verschiedenen Stimmen, die einen wahrnehmbaren Klangteppich kreieren.
Spannungsaufbau und traditionelle Dramatik gibt es dabei bewusst nicht. Dennoch ist die Kontinuität der jeweiligen Komposition kein bloßes deckungsgleiches Kopieren, sondern ein Variieren. Vor allem in der Klassik und bei vielen Kritikern der ersten Stunde stieß diese ab Mitte der 60er Jahre geborene Richtung auf teils harsche Ablehnung. Besonders der Vorwurf mangelnder Innovation taucht wiederholt auf. Reich dazu: "Derartige Vorwürfe sind oberflächlich und kommen meist von Personen, die über diese Musik so gut wie gar nichts wissen. Jeder, der Minimal Music je gespielt hat, weiß genau, dass es bei dieser Musik nie um Wiederholungen, sondern immer um minimale Variationen geht."
Dieses vollkommen neue und befreiende Denken in der Musik musste sich Reich schwer erarbeiten. Bis zu seinem 14. Lebensjahr bekommt der 1936 geborene Stephen Michael Reich nämlich nahezu ausschließlich klassische Werke der Romantik zu hören. Den Klavierunterricht bricht er mit bereits zehn Jahren gelangweilt ab.
Das soll sich ab 1950 schlagartig ändern. Bach, Strawinskys "Le Sacre Du Printemps" und vor allem der Bebop verändern sein Weltbild von Grund auf. Besonders das feurige Zusammenspiel von Charlie Parker und Miles Davis beeindruckt den Teenager dermaßen, dass er sogar eine Jazzkapelle ins Leben ruft und das Schlagzeugspiel erlernt. Einige Jahre später tritt dann noch John Coltrane als wichtige Inspirationsquelle hinzu. Auch sein Trommelspiel sollte er später u.a. durch ein Studium in Ghana vervollkommnen. Dieser Leidenschaft für perkussive Klänge entspringt etwa eines seiner Hauptwerke, das viel beachtete "Drumming" (1971).
Reichs neuartiges Komponieren beginnt jedoch bereits ab ca. 1964. Die Phasentechnik setzt er dabei erstmals 1967 im Schlüsselwerk "Piano Phase" ein. In den folgenden fast fünfzig Jahren erarbeitet er zahllose, bahnbrechende Stücke, die sich mitunter höchst unkonventioneller Instrumente bedienen. So verwendet er als Klangkörper etwa menschliches Händeklatschen ("Clapping Music", 1972) oder Schlaghölzer ("Music For Pieces Of Wood", 1973).
In den 80ern wird seine Musik zunehmend düsterer und erhält eine beklemmend hypnotische Faszination. In dieser Dekade entstehen zwei weitere Hauptwerke, die weit über die Klassik- und Avantgardeszene eine immense popkulturelle Wirkung entfalten. Zum einen bringt er 1987 unter Mithilfe von Jazzrock-Gitarrero Pat Metheny den umjubelten "Electric Counterpoint" heraus, ein dreiteiliges Stück für nicht weniger als neun elektrische Saiteninstrumente.
Zum anderen erscheint im selben Jahr sein vielleicht wichtigstes und sehr biografisches Album "Different Trains". Reichs Wurzeln entstammen einer deutsch-jüdischen Familie. Die Eltern trennen sich bereits 1937, wobei er mit dem Vater in New York lebt und seine Mutter nach Los Angeles zieht. Um den Kontakt aufrecht zu erhalten, reist der kleine Steve samt Nanny bereits von Kindesbeinen an per Zug zwischen Eastcoast und Westcoast quer durch die Staaten.
Diese langen Fahrten mit ihren vielen Eindrücken prägen Reich dauerhaft. "Different Trains" verbindet die eigene Biografie mit den parallel durch Europa rollenden Vernichtungszügen der Nazis. "Als Jude, der in Europa geboren wäre, hätte ich zur gleichen Zeit wahrscheinlich nicht in gemütlichen Reisewagons gesessen, sondern in den Holocaust-Zügen." Diesem Gedanken folgt die Platte in einer verstörenden Mischung aus anmutiger Schönheit ("America-Before The War") und Grauen ("Europe-During The War"/"After The War").
Obgleich man das Album wahrlich nicht als kommerziell betrachten kann, schlägt es hohe Wellen. 1989 erhält Reich dafür sogar einen Grammy. Vier Jahre später veröffentlicht er "The Cave", eine ambitioniertes und mehrsprachiges Stück, das sich mit den Gemeinsamkeiten und der Aussöhnung von Christen, Juden und Moslems beschäftigt.
Auch in hohem Alter bleibt Reich produktiv und ruhelos. 2014 erscheint "Radio Rewrite", eine Neuinterpretation seines Rockansatzes von "Electric Counterpoint" und einiger früherer Stücke. Diesmal lässt er sich beim Komponieren von den beiden Radiohead-Tracks "Jigsaw Falling Into Place" und "Everything In Its Right Place" als Ausgangspunkt inspirieren. Die Band hat ihn live tief beeindruckt. Kein Wunder, dass deren Leadgitarrist Jonny Greenwood eine Einladung von Reich erhält und bei den Aufnahmen zeigen kann, was in ihm steckt.
Doch auch hiermit ist Reichs Tatendrang nicht gestillt. "Im Moment inspiriert mich die Technologie die uns umgibt, und die Frage, wo sie uns hinführt. Ich denke, ich werde zukünftig mehr Gebrauch von Video- und Sampletechnik machen. Das ist die Technologie unserer Zeit und es ergibt Sinn, sie zu gebrauchen."
© Laut
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