Mylène Farmer
Fast so wie Mr. Davis in aller Munde nur Miles ist, denkt man beim Stichwort Mylene gleich an Madame Farmer. Die Verehrung kommt nicht von ungefähr. Seit ca. Mitte der 80er lotet die 1961 in Kanada geborene Französin die Grenzen zwischen klingendem Pop, berauschenden Bildern und sinnlich verpackter Botschaft aus.
Gemeinsam mit ihrem künstlerischen Partner Laurent Boutonnat - einem Komponisten und Filmemacher - entwirft sie ab 1984 ihre visionäre Musik. Während man in Resteuropa und den Staaten noch immer streng zwischen kaltem New Wave, Pop und dem Schmuddelkind Gothic trennt, fügt sich bei Farmer alles ganz selbstverständlich zu warmer, tanzbarer Musik, die sich nonchalant bei allen Genres bedient. Am Ende klingt alles nicht nach Schubladen, sondern nach Mylene.
Bahnbrechend gerät ihre Verschmelzung von Music, Texten und Video. Nahezu jeder Clip präsentiert sich mit ausgearbeiteter Story, Spielfilm-ähnlicher Handlung mit Dialogen, harschen Bildern und einem gehörigen Schuss eleganter Erotik. Bereits der erste Hit "Libertine" ("Cendres De Lune", 1986) - inspiriert von Stanley Kubricks "Barry Lyndon" und dem Marquis de Sade - präsentiert sich als kinotauglicher Abenteuerfilm im Miniformat.
Erstmalig gibt es damit ein Musikvideo mit einem kurzen Moment frontaler weiblicher Nacktheit. Der Aufreger taugt als künstlerisch perfekt eingebauter Moment sogar bei den eher unprüden Franzosen zum für Single und LP verkaufsträchtigen Miniskandal. Zwei Jahre später erscheint mit der Hitsingle "Pourvu Qu'elles Soient Douces" ( vom Album "Ainsi Soit Je...", 1988) eine knapp 20-minütige Fortsetzung der "Libertine"-Story. Lied und Album setzen einen regelrechten Kult in Gang. Ein Jahr lang hält sich die Langspielplatte in den Top 10.
Während ihr ebenso anspruchsvoller wie melodischer Synthiepop ganz eigener Prägung problemlos im Radio läuft, bleiben die lieblich gesungenen Lyrics stets ernsthaft, teils schockierend brutal. Mylene will mittels dunkler Zeilen aufrütteln und anprangern. Die Verrohung im Kampf mit der guten Seite des Menschen lauert in nahezu jedem Lied: Krieg, Depression, Tod, Trauer, Religion, Liebe, Sex oder Gewalt. Oder alles zusammen.
Als die rechtliche Gleichberechtigung Homosexueller noch in weiter Ferne ist, thematisiert sie bereits Probleme der sexuellen Identität. "Sans Contrefaçon" mutiert zum Superhit und Popstandard, den heute jedes Kind in Frankreich kennt. Farmer ist seitdem auch eine Ikone der Lesben- und Schwulenbewegung.
Sogar ihr Künstlername Farmer fungiert als bewusstes Statement der gebürtigen Mylène Jeanne Gautier. Den Nachnamen borgt sie sich in Erinnerung an die 30er Jahre Schauspielerin Frances Farmer, die unverschuldet und das Räderwerk der Psychiatrie geriet und dort jahrelang malträtiert wurde. Kein Wunder also, dass ihr größter Welthit "Désenchantée" ("L'Autre...", 1991) mit knallhartem Video, desillusionierten Zeilen und pessimistischem Ende aufwartet. Der Clou: Meleodie und Gesang sind dermaßen lieblich gestaltet, dass es zunächst kaum auffällt.
Auf "Désenchantée" und der zugehörigen Scheibe bauen Dancefloorepigonen wie Kate Ryan mit mehreren gecoverten Mylene-Tracks sogar eine eigene Karriere auf. Mylene unterstützt aktiv auch andere Künstler wie etwa Alizee, die den Farmer/Boutonnat-Song "Moi Lolita" zum weltweiten Hit macht. Mylene Farmer selbst bleibt stets im Hintergrund. Interviews und TV Auftritte bleiben selten. Pressetermine hasst sie regelrecht.
Auch Tourneen mag sie ebenfalls nicht besonders. Lieber tritt sie in Bercy auf. Nicht Mylene kommt zu den Fans. Nein, die Fans kommen zu Mylene. Dort gibt sie alle paar Jahre gigantische Shows und verkauft lässig den 20.000 Sitzplätze fassenden Showpalast meist einen ganzen Monat lang aus. Angesprochen auf ihre Vormachtstellung im Pop und ob sie sich mit Madonna und anderen Diven vergleiche, äußert sie lapidar: "Ich finde es ein wenig peinlich, wenn Kunst ein Wettbewerb wird. Das ist doch degradierend und würdelos."
© Laut
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