Akhenaton
Die französische Rap-Gruppe I AM belegt ohne Zweifel eine Ausnahmestellung in der gesamteuropäischen Hip Hop-Geschichte. Die Crew aus Marseille veröffentlicht mit "L'École Du Micro D'Argent" im Jahr 1997 das bis dato bestverkaufte europäische Rap-Album. Ein Erfolg, der nicht zuletzt auf die herausragende Produktionsarbeit auf dem Longplayer zurückzuführen ist. Der Klassiker gilt in Sachen Produktion als Meisterleistung diesseits des Atlantiks. Dafür verantwortlich: der musikalische Kopf von I AM - Akhenaton - der neben dem außergewöhnlichen Werdegang mit I AM auch auf eine beachtliche Solokarriere blickt.
Philippe Fragione, am 17. September 1968 im italienischen Kalabrien geboren, behauptet sich seit Anfang der Neunziger als Mastermind des französischsprachigen Raps aus Marseille, der sich abseits der musikalischen Produkte der Hauptstadt Paris einen Siegeszug durch Europa bahnt. 1985 entdeckt Philippe Fragione mit seinem Freund Eric Mazel das Hip Hop-Genre. Durch Verwandte in Brooklyn, New York kommt er während eines Besuchs mit der Rap-Kultur in seiner ureigensten Form in Kontakt. Erste Schritte ins Hip Hop-Biz macht Philippe als Autor eines Fanzines. Das Feuer brennt, Philippe veröffentlicht mit Eric Mazel das selbst produzierte Tape "Concepts". Voilà, die Geburtsstunde der erfolgreichsten Rap-Gruppe, die Frankreich hervorbringt: I AM. Diesen Namen legte sich die Truppe allerdings erst 1989 zu. Gegründet wurde sie als B.Boys Stance.
Neben Eric (Kheops) und Philippe (Akhenaton) komplettieren Malek Brahimi (Freeman), Pascal Perez (Imhotep), Geoffroy Mussard (Shurik'n) und François Mendy (Kephren) die Crew und sorgen mit Breakdance-Background und ägyptisch-mythologischen Texten für Furore im südfranzösischen Rap-Kosmos. Das erste Tape "Concepts" gerät in die Hände der Plattenfirma Virgin und von einem Tag auf den anderen landen I AM unter den Fittichen des einflussreichen Majorlabel.
Der kometenhafte Aufstieg von I AM beginnt mit Auftritten als Vorband für Madonna, Public Enemy und James Brown und erreicht ihren Höhepunkt 1997 mit der Veröffentlichung von besagtem Klassiker "L'École Du Micro D'Argent". Tausendfach verkaufte Platten, ausverkaufte Konzerte und diverse Soundtracks machen I AM, allen voran Akhenaton, über Frankreichs Grenzen hinaus bekannt. Der Produzent, dessen Alias auf einen ägyptischen Pharao zurückgeht, gilt neben seiner musikalischen Genialität, auch als herausragender Texter. Seine Lyrics bewegen sich zwischen sozialkritischen Conscious-Reimen und mit orientalischer Mystik angehauchten Geschichten.
1995 beginnt mit "Métèque Et Mat" die Solo-Karriere Akhenatons, der sich zusätzlich die Pseudonyme Chill und Sentenza zulegt. Noch unterscheidet sich sein Sound nicht sonderlich von den I AM-Produktionen, das ändert sich etwa sechs Jahr später, als Akhenaton den Hip Hop-Heads das Elektro/House/Rap-Album "Elektro Cypher" vor den Latz knallt. Offensichtlich haben die bisherigen I AM-Fans an der ungewöhnlichen Mischung zu knabbern. Nichtsdestotrotz unterstreicht die Platte die musikalische Offenheit die Akhenaton an den Tag legt.
Doch Musik ist nicht das Einzige, bei dem das Multitalent sein Können unter Beweis stellt. Im Jahr des Millenniums zeigt er sich neben dem Soundtrack, den er mit dem bekannten französischen Filmmusiker Bruno Coulais einspielt, auch für das Drehbuch des Films "Comme Un Aimant" verantwortlich. Darüber hinaus steht er als Darsteller vor der Kamera.
Die Folgealben "Sol Invictus" und "Black Album" führen Akhenaton zurück in Richtung des herkömmlichen I AM-Sounds: gewichtige Samples, treibende Beats, detailreiche Spielereien und tiefgehende Reime. Beide Longplayer reihen sich in die ellenlange Liste an Soloplatten ein, mit denen die Mitglieder von I AM Europa erfreuen. Mittlerweile stehen zwar andere an der Spitze des französischen Raps, trotzdem haben I AM nichts von ihrem Einfluss auf die Szene verloren. Trotzdem verlagern neue Namen den Fokus der Öffentlichkeit vom südlichen Marseille wieder auf Paris, wo Rapper der härteren Gangart wie Rohff, Booba oder 113 mit ihren Ghetto-Geschichten eher den Nerv der Zeit treffen.
Das bietet Akhenaton Zeit, abseits des Trubels um französischen Rap ein Best Of-Album herauszubringen. Während im November 2005 etliche Autos im Land brennen und es zu Unruhen kommt, können sich die aufmerksamen Fans von 36 Tracks auf "Double Chill Burger" in die Vergangenheit entführen lassen. Französische Parlamentarier setzen die aktuellen großen Namen Rap-Frankreichs auf eine Abschussliste und Akhenaton lässt die Herzen der Old und New School-Fanatiker mit Tracks wie "Rien A Perdre", "New York City Transit" oder "Bad Boys De Marseille" aufgehen. Wie nunmehr seit über 15 Jahren bewegt sich Akhenaton mit seiner Crew I AM erneut abseits der ausgetretenen Pfade der Konkurrenz.
Das wird in Zukunft wohl auch so bleiben - wie sein viertes Solo-Album zeigt. "Soldats De Fortune" erscheint 2006 auf Akhenatons eigenem Label 361. In den Produktionen steht Synthetisches neben organischen Klängen, das New York der 90er neben höchst aktuellen Sounds. Afrikanische und orientalische Einflüsse stellen erneut Akhenatons Aufgeschlossenheit unter Beweis. Die ungeheure musikalische Tiefe und Vielfalt der Beats wird von zahlreichen Gäste noch unterstrichen. Neben den Kollegen von I AM (das Album enthält gleich mehrere neue Tracks der Crew) gehen unter anderem Sako von Les Chiens De La Paille, Psy4 De La Rime, Veust Lyrics und Said an den Start. Was nicht bedeuten soll, Akhenaton könne nicht alleine bestehen. Das bezweifelt inzwischen ohnehin niemand mehr.
© Laut
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