yeule
Was wissen wir in Europa über die Musikkultur von Singapur? Ehrlich gesagt, fast gar nichts. Sich mit Yeule zu beschäftigen, bedeutet Einblick bekommen in einen Teil des asiatischen Kontinents, der neben der Prominenz von Südkorea und Japan kulturell eher Niemandsland zu sein scheint. Doch wo man wenig erwartet, gibt es oft viel zu entdecken.
Viel zu entdecken, gibt es dort besonders für einen Teenager, der von den Metropolen parallel die große weite Welt und die gähnende Einsamkeit geboten bekommt. Yeule ist fünfzehn Jahre, als sie das erste Mal einen Künstlernamen benutzt. Sie tummelt sich einem Outlaw gleich durch die Szene ihres Heimatlandes. Mit einem Bruder, der sich vor allem für Hardcore-Punk interessiert, klettert sie über Zäune und durch Backstagebereiche, um auf die Shows der brummenden Szene zu kommen. Es gibt viel New-Wave, es gibt Hardcore, aber in der Mitte der 2010er lässt die wahre neue Welle noch auf sich warten.
Da muss es um so schräger sein, dass Yeule, immer wenn sie von den Shows nach Hause kommt, eine ganz andere Realität vorfindet. Das soziale Leben findet online statt, die Außenwelt wird digital erkundet, wenn sie nicht den alten J-Pop über das Grammophon ihres Vaters hört. MySpace, ICQ, all die alten Messenger sind seit je her integrale Bestandteile und via Word Wide Web horcht Yeule überjene Ozeane, die sie ohnehin bald überqueren wird.
Ihre Eltern reisen viel, die Familie führt einen fragmentierten Lebensstil. Die junge Yeule entwickelt eine Faszination für eigenartige Musik und einen eigentümlichen Entdeckersinn. Wie jeder Space Cowboy, der durch das Cyberspace nach Musik forscht, stößt sie bald auf DIY-Pop, auf Electro, Vaporwave und Avant-Garde. Sie mag Merzbow, sie mag Aphex Twin. Blank Banshee, Velvet Underground und Grimes. Ein wilder Mix für ein Gender-non-konformen Teenager, der zu dieser Zeit anfängt, mit eigenen Synthesizern und DAWs zu experimentieren.
2017 veröffentlicht sie erste Musik: Mal einen Electro-Banger mit LLLL, mal immersiven Post-Pop. Es dauert seine Zeit, aber ein abstrakter, surrealer und psychedelischer Stil kondensiert sich als Markenzeichen heraus. 2019 erscheint nach ein paar Videosingles das Debütalbum "Serotonin II" via Bayonet Records. Die Aufmerksamkeit kommt stückweise, aber Danny L Harle und andere Electro-Weirdos zegien sich interessiert. Yeule lebt inzwischen interkulturell, studiert Fashion Design in London und lässt sich für Singles wie "Pixel Affection" oder "Pocky Boy" von der neuen Lebenswelt inspirieren.
Entsprechend bizarr fällt die eigene Beschreibung ihrer Musik aus: "Victorian classical style Cyberscape fourth generation Goth Cyborg from parallel Dimension (if AI existed in 1351) black Death Kawaii nyan nyan radioactive Motherboard Chernobyl Anime", beschreibt sie in einer Reddit-Fragerunde. Klingt nach etwas, das kurz vor dem Mainstream steht.
© Laut
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