Kathleen Ferrier
Ihre Geschichte gleicht einem Märchen, aber auch einer Tragödie. Sie mutet jedoch paradox an, da die Musikliebhaber auch noch 65 Jahre nach ihrem Tod Kathleen Ferrier nicht vergessen haben, obwohl ihre Karriere äußerst kurz war - nicht mehr als sechs Jahre dauerte sie - und sie sehr wenig Platteneinspielungen gemacht hat. Aber der Werdegang der jungen, hübschen Postangestellten, die zur angehimmelten Sängerin avancierte, aber mitten in ihrer Laufbahn von der Krankheit dahingerafft wurde, ist nach wie vor ein klarer Beweis dafür, auf welch ungerechte Weise das Schicksal zuschlägt. Kathleen Ferrier ist in erster Linie das außergewöhnliche, warme, tiefe, mächtige und natürliche Timbre einer Altistin, das uns sofort in den Bann zieht. In der ersten Zeit tritt sie als Pianistin bei kleinen Abendveranstaltungen auf, und da sie regelmäßig Sänger und Sängerinnen begleitet, lernt sie selbst singen, nur so zum Spaß, ohne sich damit hervorzutun und mit der Bescheidenheit, die sie auch bei ihren größten Erfolgen an den Tag legt.
Mitten im Zweiten Weltkrieg beginnt Kathleen Ferrier sich einen Namen zu machen. Im Jahre 1943 singt sie in der Westminster Abbey zusammen mit Peter Pears in Händels Messias und ist daraufhin zum ersten Mal in aller Munde. Als sie dem berühmten Pianisten Gerald Moore vorstellt wird, macht sie mit ihm bei EMI ein paar Aufnahmeproben mit Brahms-Liedern, aber es gibt Meinungsverschiedenheiten zwischen Kathleen und Walter Legge, dem einflussreichen Produzenten der Firma. Anschließend wechselt sie zu DECCA über, wo sie dann die Einspielungen machen sollte, die heute den Stolz der Plattensammlungen ausmachen: Gustav Mahlers Kindertotenlieder und Lied von der Erde unter der Leitung des großen Freundes und Schülers des Komponisten, Bruno Walter.
Nach langem Zögern willigt sie im Jahre 1946 ein, beim Glyndebourne Festival anlässlich der Uraufführung von Benjamin Brittens The Rape of Lukretia unter der Leitung von Ernest Ansermet die Titelrolle zu singen. Im darauffolgenden Jahr erfährt Kathleen Ferriers Karriere bei eben diesem Festival einen Wendepunkt, als Bruno Walter nach anfänglichem Zögern sich damit einverstanden erklärt, sie für Das Lied von der Erde unter seiner Leitung zu engagieren. Zwischen den beiden entsteht eine sehr tiefe Freundschaft und Bruno Walter öffnet ihr Tür und Tor, um sie mit Mahlers Welt bekannt zu machen und ein Jahr später nach New York mitzunehmen. Dort trägt sie zum ersten Mal die Kindertotenlieder vor, und zwar auf so erschütternde Weise, als ob Mahler dabei an ihre Stimme gedacht hätte. Es gibt nur selten ein Werk, das Interpreten so nachhaltig prägen.
Daraufhin nimmt ihre Karriere in den Vereinigten Staaten sowie in Europa einen raschen Aufschwung. New York, London, Glyndebourne, Amsterdam, Paris, Wien, wo sie zusammen mit Elisabeth Schwarzkopf unter der Leitung von Karajan die h-Moll Messe singt. Sie macht ihre ersten Studioeinspielungen. Die Zukunft lacht ihr entgegen, aber ein damals noch unheilbarer Brustkrebs schneidet den Lebensfaden dieses jungen, kaum 41-jährigen Lebens ab. Der Rest ist Legende und ihre seltenen Plattenaufnahmen liefern heute den Beweis für die Kunst und Inbrunst ihrer Interpretationen. © François Hudry
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