Wavves
Auf den ersten Blick ist es schwer ersichtlich, warum ausgerechnet Nathan Williams das nächste Wunderkind des Indierock sein soll. Mit seinem Projekt Wavves hat der junge Mann aus San Diego, Kalifornien innerhalb von vier Monaten zwei Alben veröffentlicht, die so extrem lofi klingen, als wären sie in den 80er Jahren in den Garagen neben Sebadoh und Guided By Voices aufgenommen worden. Nur gab es damals für junge Bands eben keine finanziell erschwinglichen Aufnahmemöglichkeiten. Williams selbst gibt im Interview freimütig zu: "Die Alben klingen so schrottig, weil ich nicht weiß, was ich tue." Nicht genug des Dilettantentums: Auf den ersten Konzerten, die Wavves nach Europa bringen, muss er sich von seinem Tour-Drummer Ryan Ulsh auch noch ständig seine Gitarre nachstimmen lassen.
In Berlin etwa hat die Band nur zwei Drumsticks auf der Bühne dabei und muss ihr Konzert geschlagene 15 Minuten unterbrechen, weil eines der Hölzer flöten geht. In solchen Momenten merkt man vor allem dem Schulbubengesicht des Alleinunterhalters an, dass der rasante Aufstieg von Wavves ihn etwas arg unvorbereitet trifft. Auch die Songs klingen live weniger nach dem Surfpop-Zitat und der noisigen Klangforschung der Alben, sondern nach handelsüblichem Akkord-Punk.
Beim großen Branchentreffen der amerikanischen Indieszene, dem Primaverasound Festival in Barcelona, legt der Bandkopf gleich noch einen drauf, als er als Stage-Headliner unter Drogen- und Alkoholeinfluss einen dermaßen desaströsen Auftritt hinlegt, dass das Duo mit Flaschen beworfen wird und sich am Ende vollends auf der Bühne zerstreitet. Die anschließende Europatour wird kurzerhand abgesagt, weil Williams in seinem Blog auch sein gehöriges Alkoholproblem eingesteht.
Mancher, der da allzu früh Hype schreit, möchte in ihm vielleicht auch nur unbedingt ein schlampiges Genie sehen, den nächsten Doherty, den übernächsten Cobain. So oder so: Der amerikanische Indie-Primus Pitchfork rechnet Wavves neben Großkalibern wie Animal Collective und Antony Hegarty zu den angesagtesten Acts 2009.
Erstmals auf den Plan tritt man im Sommer 2008. Wavves treten im Szeneschuppen "The Smell" in Los Angeles auf, wo zur gleichen Zeit ähnliche Noise- oder Punk-Bands mit lärmendem, bewusst übersteuertem LoFi-Appeal abgefeiert werden: No Age, Jay Reatard, Times New Viking, Ponytail. Williams trägt also schnell den Stallgeruch der Westküste, die in den Staaten mit dem beachtlichen Erfolg auch in den Medien gepusht wird.
Das selbstbetitelte Debüt sowie der Nachfolger "King Of The Beach" heimsen jede Menge Kritiker-Lorbeeren ein, so vergibt beispielsweise Pitchfork zwei Mal in Folge die Auszeichnung "Best New Album". In den folgenden Jahren schraubt Williamson stetig am Bandsound und schlägt immer mehr einen Weg in Richtung Pop-Punk à la Weezer oder Green Day ein, wie man auch am 2021er "Hideaway" hört. Dabei kann die Band aber nur bedingt an den Erfolg der Anfangstage anknüpfen.
Der 1,99€-Sound von Wavves erscheint der Presse als Reminiszenz an die wichtigen Gründerjahre des Indierock und ist mit Songs gepaart, deren Melodieführung immer wieder Surfmusik zitiert. In seinem textlichen Nihilismus spricht der Act Teilen der amerikanischen Jugend offenbar aus der Seele: "I'm so bored", quäkt es im gleichnamigen Hit der Band immerfort, "Got no car, got no money, got no girlfriend", heißt es in "No Hope Kids". In einem Interview hat Nathan zudem bekannt, nicht schwimmen zu können. Zumindest das sollte er zur Sicherheit mal besser lernen.
© Laut
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