Stephan Eicher
Am Anfang war das Keyboard. Zumindest für die Schweizer Brüder Martin und Stephan Eicher, die im Quartett Grauzone 1981 mit dem Lied "Eisbär" in den deutschen Charts für Furore sorgen. Ist bei vielen Neue Deutsche Welle-Bands damit der Höhepunkt der Karriere erreicht, beginnt die Stephan Eichers erst danach. 1960 in Bern geboren und an der Züricher Kunstschule F+F musikalisch ausgebildet, steigt er kurz nach dem Chartserfolg bei Grauzone aus und startet zwei Jahre später seine Solokarriere. Mit dem Debüt "Les Chansons Bleues" verlegt er sein Einzugsgebiet auf den französisch-sprachigen Raum, wo er auch in Zukunft die meisten Anhänger findet.
Eicher auf eine Sprache fest zu nageln, ist jedoch ebenso schwierig, wie seine musikalische Entwicklung schematisch darzustellen. Neben französisch und deutsch singt er auch auf englischn, italienisch und im heimatlichen Schwyzerdütsch. Setzt er auf seinen ersten Alben verstärkt Keyboards und elektronische Klänge ein, kommen bei "Engelberg" 1991 wie auch in folgenden Jahren fast auschließlich akustische Instrumente zum Einsatz. Ab 1996 versucht er, diese zwei Richtungen zu verschmelzen.
Pop-Rock, Folk, Blues und Chanson sind die Genres, denen er sich bedient und die er verbindet. Textuell greift er seit 1988 auf den französischen Erfolgsschriftsteller Philippe Djian zurück, lässt sich aber auch von Kollegen wie Herbert Grönemeyer und Max Gazzè (auf "Taxi Europa" 2003) unter die Arme greifen. Texte und Klang müssen zusammen passen, aber der Aufnahmeort ist ebenso ausschlaggebend. In den 90er Jahren vermeidet Eicher Studios und begibt sich in ruhige, abgeschiedene Orte. "Louanges" 1999 und "Engelberg" 1991 entstehen im Kursaal des gleichnamigen Schweizer Alpenortes, während "Carcassone" in einem Hotel der mittelalterlichen südfranzösischen Stadt das Licht der Welt erblickt. "Taxi Europa" nimmt er dagegen in Brüssel im traditionellen Studioambiente auf. Es stellt auch den Versuch dar, auf dem deutschen Markt Fuß zu fassen. Nach einer Reihe von Konzerten im Vorprogramm Grönemeyers kehrt er im November 2003 mit mehreren Auftritten unter eigenem Namen nach Deutschland und Schweiz zurück.
2012 zettelt Eicher einen Streit mit seiner Plattenfirma Universal Music an, die sich weigert, wie bisher große Summen in Aufnahmestudios und Album-Promotion zu investieren. Der Disput geht vor Gericht und zieht sich jahrelang hin. Das Kollabo-Album "Hüh!" mit Traktorkestar fällt 2017 in eine Art Burgfrieden, da Eicher bei Universal auf neue und nach seiner Ansicht aufgeschlossenere Mitarbeiter trifft. Doch 2019 ist das Band wieder zerschnitten: Laut Eicher habe ihm das Label Geld erneut vorenthalten, es geht um Geld für Tourneen und ein geplantes Live-Album. Auch dass seine Songs auf Streaming-Portalen auftauchen, wo sie gegebenenfalls durch Werbung unterbrochen werden, missfällt ihm. Dies würde sein Urheberrecht beschädigen, befindet der Sänger.
Nach Medienberichten fordert Eicher über eine Million Franken Schadensersatz. Kooperationen gegenüber zeigt er sich weiterhin offen. Mit dem Schriftsteller Martin Suter veröffentlicht der Berner 2017 das Album "Song Book". Es handelt sich um Suters Texte, die er reduziert und melancholisch vertont. Kurz vor seinem 60. Geburtstag am 17. August 2020 verrät er der Zeit in einem Interview, dass er seit einem seiner ersten Konzerte unter Panikattacken leide: "Es kann passieren, dass ich in der Migros vor den Willisauer Ringli stehe und spüre, dass mich Panik überkommt, obwohl weit und breit kein Säbelzahntiger zu sehen ist. Damit muss ich leben." Diese Angst hemme ihn auf der Bühne, und daher bilde er sich ein, dort "nie alles aus mir herauszuholen."
© Laut
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