Astor Piazzolla
Astor Piazzolla - so elegant wie der Name des großen Komponisten und Arrangeurs, so elegant ist auch seine musikalische Leidenschaft: der Tango! Wie kein Anderer steht der Argentinier für die komplette Erneuerung dieses Genres, die Erfindung des so genannten Tango Nuevo.
Als junger Mann bereits entwickelt er dieses Konzept der Weiterentwicklung des traditionellen Tango Argentinos, der in den 40er und frühen 50er Jahren in Primitivität stagniert und einen anrüchig missachteten Ruf innehat. Piazollas Tango Nuevo hingegen ist sowohl vom Jazz als auch der Klassik beeinflusst.
Der Visionär verabscheut die immer gleiche Wiederholung vorhersehbarer Rhythmen, den Rückgriff auf das vertraute harmonische Vokabular und die einfachen Formen des traditionellen Tangos. Piazzolla modernisiert die gesamte Richtung durch Rückgriff auf die europäische Kunstmusik, die argentinische Folklore und den Jazz.
Als passionierter Bach-Fan verwendet er den Kontrapunkt und die Fugenform, ab 1974 sogar Avantgarde Electronica. Zudem greift er auf harmonische Neuerungen und die Tonsprache von Bela Bartók, Sergei Prokofjew und Igor Strawinsky zurück.
Als Ergebnis serviert der Lateinamerikaner den erstaunten und teils recht überfordert reagierenden Massen eine Mischung aus Dissonanzen, Kantigkeit und Progressive Jazz. Dennoch verliert Piazzollas Tango Nuevo nie das Romantische und die Leidenschaft, Dramatik, Erotik und Heftigkeit des traditionellen Tangos.
Die charakteristisch tangoesken Klangfarben der Violine und des Bandoneons verleihen dem (zunächst etwas akademisch anmutenden) Cocktail die nötige Menge Verruchtheit und Bordell, Sehnsucht, Begierde, Rotwein-Taverne und die Verheißung ewig romantischer Liebe.
Letzteres bleibt eigenem Volk und Feuilleton zu Anfang leider verborgen. Piazzollas neuer Tango stößt bei Musikern, Tänzern, Presse und Publikum auf recht unverblümte und harsche Ablehnung. Offene Anfeindungen und sogar Handgreiflichkeiten auf der Straße führen schließlich dazu, dass der sprichwörtliche Prophet das eigene Land für einige Jahre verlassen muss.
Erst nach seiner triumphalen Rückkehr in den 60ern versteht seine Heimat, welch herausragendes Genie man in Piazzolla besitzt. Das Verbinden verschiedener Kunstgattungen und Stile, das Einreißen von trennenden Wänden bleibt sein Anliegen. Dabei arbeitet er mit Literaten zusammen, mit Schauspielern und Regisseuren und initiiert Genre überschreitende Projekte. Einige berühmte Weggefährten und Fans des Meisters sind beispielsweise das Kronos Quartet oder Jazzikone Gerry Mulligan.
Auch politisch lässt er keinen Zweifel an seiner freiheitsliebenden Gesinnung. Während der argentinischen Militärdiktatur von 1976 bis 1983 geht Piazzolla konsequenterweise nach Italien ins Exil. Nach seiner Rückkehr beginnt mit Mitte 50 - wenn andere den eigenen Zenit längst außer Sichtweite haben - der eigentliche Höhepunkt seines Schaffens. Die gleichzeitige Komplexität und emotionale Ausdruckskraft seiner Werke ist erstaunlich.
Als er mit 65 Jahren im Jahr 1986 das grandiose Spätwerk "Tango Zero Hour" veröffentlicht, gilt der Mann aus Buenos Aires längst als lebende Legende. Im August 1990 erleidet er in Paris einen Schlaganfall, der weiteres Komponieren unmöglich macht. Piazzolla stirbt zwei Jahre später in seiner Heimatstadt.
Post mortem geht derweil die Entwicklung der eigenen Musik weiter. Piazzolla würde sich freuen, wie junge Künstler wie Gotan Project oder Otros Aires seinen geliebten Tango ins 21. Jahrhundert führen und clubtauglich in den Tanztempeln etablieren.
© Laut
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