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La Dispute|Wildlife

Wildlife

La Dispute

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Musik ist so ein wunderbares Medium, weil es ungefähr jede erdenkliche Emotion von jedem erdenklichen Typ Mensch authentisch wiedergeben kann. Schließlich fühlt man sich doch unweigerlich der Musik, oder universeller gesprochen dem Medium verbunden, das die eigene Persönlichkeit oder Stimmung in gewisser Weise widerspiegelt oder ergänzt.

Aber wieso hören wir dann eigentlich gerne traurige Musik? Um uns noch schlechter zu fühlen? Elend, Melancholie und Traurigkeit halten sich seit jeher hartnäckig in jeder Form der Kunst, dabei fühlt man sich ja nicht gerne schlecht, geschweige denn lässt man sich gerne freiwillig die gute Laune versauen. Studien belegen zwar, dass traurige Musik die eigene Stimmung durchaus verschlimmern kann, sie attestieren ihr aber ebenso sehr einen therapeutischen Effekt. Geteiltes Leid ist eben halbes Leid, auch wenn man es mit Menschen teilt, die man nur im Audioformat kennt.

La Disputes "Wildlife" ist dieses Konzept in seiner radikalsten Ausführung. Wo andere Alben, oder Filme den therapeutischen Zweck erfüllen, die Tränendrüsen mal wieder zu entleeren oder einem in seiner eigenen Niedergeschlagenheit Gesellschaft leisten, da fängt der emotionale Abgrund, in den die fünf aus Michigan mit ihrem zweiten Studio-Album abtauchen, gerade erst an. Die Tränendrüsen treten sie mit Stahlkappenschuhen kaputt, und Gesellschaft leisten sie höchstens in Form von Schocktherapie. La Disputes gemarterter Post-Hardcore ist keine stille und leise Anklage, sondern ein ohnmächtiger, verzweifelnder Schrei, eine Bestandsaufnahme einer kaputten Adoleszenz in einer Welt, die in den Köpfen unterzugehen droht.

"Wildlife" ist ein schwarzes Loch aus Elend und Leid, das einen verschlingt, verkrüppelt und (fast) ohne Katharsis wieder ausspuckt. Dieses Album zieht nicht spurlos an einem vorbei, denn dieses Album traut sich an Orte, die eigentlich tabu sind, über die man einfach keine Musik macht, weil sie so vernichtend und tragisch sind, dass sich daraus eigentlich kein unterhaltsamer Mehrwert ziehen lässt. Das klaustrophobische, in sich implodierende Finale von "King Park", die vor Wehmut triefende Gitarre auf "Safer In The Forest", die simple Ausschrei eines Datums auf "I See Everything": Einzelne Momente sind so unfassbar potent in ihrer emotionalen Durchschlagskraft, dass sie fast schon spürbare seelische Narben hinterlassen.

Also erneut die Frage: Wieso hört man sich sowas freiwillig an? Muss man nicht ein wenig masochistisch veranlagt sein, um solch eine auditive Tortur über sich ergehen zu lassen? Vielleicht. Andererseits ist es eben genau diese Radikalität, die "Wildlife" so einzigartig und effektiv macht. Das Erlebnis, dieses Album zum ersten Mal in Gänze zu hören, ist eines, an das ich mich wohl ewig erinnern werde. Nicht nur weil es eine der wohl heftigsten Reaktionen in mir auslöste, zu der je ein Medium fähig war, auch weil es nachhaltig etwas in mir veränderte.

In einer Zeit, in der meine eigenen Gedanken meine größten Feinde und die Zukunft ein zähnefletschendes Monster war, gierig darauf über mich herzufallen, tat es unfassbar gut, von Jordan Dreyer ungeschönt ins Gesicht gebrüllt zu bekommen, dass ich mit diesem Gefühl verdammt nochmal nicht alleine bin. Inmitten all der Wunden, in die die Band ihre Finger legt, findet sich eine verletzliche und gleichmachende Menschlichkeit, die einen vielleicht nicht aus dem Loch heraus zieht, in dem man sich gerade befindet, die aber Halt und Perspektive gibt, die Hoffnung macht.

Die Geschichten die Sänger Jordan Dreyer erzählt sind zwar alle wahr, aber er selbst ist nicht immer Teil davon. Das Album ist vielmehr eine Art Tagebuch, mittels dessen er menschliches Leiden in all seinen Facetten erforscht, um sein eigenes zu verarbeiten. Er tut dies in vier Kapiteln, die er im öffnenden Song "A Departure" benennt: "First the feeling of abandonment, then trying to cope. Then death and hope and the thing itself waiting for me. It's all in the pages ahead of me."

Abandonment

Das erste Viertel des Album legt den tonalen und inhaltlichen Grundstein. Dreyer steckt den Rahmen dessen ab, was ihn beschäftigt, was für Ängste ihn heimsuchen und welche Geister der Vergangenheit auch heute noch ihre Spuren hinterlassen. "Harder Harmonies" erzählt zum Beispiel von dem Gefühl, sozial von der Gesellschaft ausgeschlossen zu sein, unfähig in die Harmonie, die die Welt so fröhlich und einstimmig um einen herum summt, mit einstimmen zu können.

Auf "St. Paul Missionary Baptist Church Blues" vergleicht er seine schwindende mentale Stabilität mit dem Zerfall einer Kirche in seiner Heimatstadt, die früher ein Anker in der Community war, heute aber nur noch langsam und unbeachtet verrottet ("Have I gone the same sad way?"). Jene Heimatstadt ist auch Thema von "Edit Your Hometown". Wie eine Geisel hält sie Dreyer gefangen, der voller Reue darüber reminisziert, sie als einziger seiner Freunde ("Are we still friends at all?") nicht hinter sich gelassen zu haben und nun einer trostlosen Zukunft entgegen sieht. ("I still believe I might get left here.")."Don't make the same mistake as me", schreit Dreyer am Ende mahnend, sichtlich ergriffen.

Schnell wird deutlich, dass die Musik von La Dispute oftmals Spoken-Word Poesie nahe kommt. Es finden sich keine Refrains, keine catchy Melodien, keine mitreißenden Riffs, nur ein unaufhaltsamer Mahlstrom an Emotionen, der einen zu zermalmen droht. Und Dreyers Stimme, die ständig so klingt, als sei er eine schlechte Nachricht davon entfernt in Tränen auszubrechen, ist das perfekte Vehikel dafür. Nicht nur weil er mühelos den perfekten Mittelweg zwischen Aggression und Verständlichkeit findet, auch das was er sagt, ist so wunderschön bildlich und unmissverständlich direkt, dass mit jedem neuen Verse das ohnehin bis obenhin mit emotionalen Zündstoff vollgestopfte Songwriting zu explodieren droht.

Darin, in Kombination mit dem zur Schau gestellten handwerklichen Talent und der instrumentalen Dynamik, liegt die Einzigartigkeit von La Dispute, die sie aus der Fülle des sentimentalen Post-Hardcore Einheitspreis herausstechen lässt. Sie sind die Virtuosen unter den Schwarzmalern. Die, die eben nicht nur einen pechschwarzen Farbtopf auf die Leinwand kleistern, sondern ihrer Seelenlandschaft in allen Facetten der dunklen Seite des Farbspektrums Ausdruck verleihen. Detailverliebt und akribisch pinseln die Jungs aus Michigan Szenerien der Tristesse, die sie nach und nach zu einem kohärenten Gesamtkunstwerk verweben.

Cope

Selbst wenn La Dispute davon singen, wie sie ihre Dämonen konfrontieren, tun sie das vollkommen frei von Optimismus "A Letter" ist so unglaublich persönlich und intim, aber eben auch allgemeingültig, dass wohl tausende Menschen auf der ganzen Welt das Gefühl haben müssen, Dreyer bringe das zum Ausdruck, wofür sie nicht die richtigen Worte finden. Er singt vom Unglücklichsein, von Depressionen, von der damit einhergehenden Isolierung und vom Gefühl, selbst die Schuld an all dem zu tragen. "Looking back I maybe never tried hard enough. Maybe I never tried at all", resümiert er über den Kampf sich von all dem loszusagen.

Im anschließenden "Safer In The Forest/Love Song For Poor Michigan" erfolgt dann zum ersten Mal eine Art Stimmungswechsel. Dreyer lässt die Stadt hinter sich und findet geborgen in den Händen der Natur, abseits des Lärms, tatsächlich so etwas wie Ruhe und, für einen kurzen Moment, inneren Frieden. Das schlägt sich auch in der bittersüßen Instrumentierung wieder, die hin und wieder mehr süß als bitter tönt und einem wirklich das Gefühl gibt, vor Ort zu sein, wenn Dreyer vorbei an Baumreihen schreitet und dem befreienden Chorus der Blätter beiwohnt. "We will rise again from ashes one day!": Abschließend erlaubt er sich sogar ein wenig Lebensmut. Es ist der vielleicht strahlendste Lichtblick den sich La Dispute auf "Wildlife" erlauben.

Dessen gedimmte Strahlen finden vereinzelt auch noch ihren Weg in "The Most Beautiful Bitter Fruit", einer fast schon medizinisch-distanzierten Auseinandersetzung mit der eigenen Sexualität. Dreyer beschreibt den flüchtigen, erkalteten Kontakt zweier Körper als biologischen Prozess, als animalischen Instinkt, der keinerlei langfristige Befriedigung mit sich bringt ("No love, no life, no history.Just touch, just chemistry"). Dennoch begrüßt er ihn mit offenen Armen, gerade weil da eben doch mehr sein kann, wenn zwischen zwei Körpern nicht nur Funken, sondern ein loderndes Feuer entfacht. "A body that makes sense" müsse man dafür nur finden. "I've felt it!" schreit er voller Schmerz und plötzlich erlischen auch die allerletzten Lichtstrahlen.

Death

Ein Großteil des Rufs, der diesem Album vorauseilt, und der niederschmetternde Superlativ aus der Einleitung beziehen sich auf diesen Teil. "A Poem" legt den Grundstein und zeichnet Dreyer am absoluten Nullpunkt, an dem Moment, in dem er das erste Mal darüber sinniert, dass früher oder später der Tod "worry and wonder" seinem Leben ein Ende setzen wird. Als er die Worte ausspricht, schwingt in ihnen eine leichte Sehnsucht mit.

Die anschließenden drei Geschichten bauen auf dieser Thematik auf, mit dem Unterschied, dass in ihnen der Tod nichts Erlösendes mehr mit sich bringt, sonder in seiner vollen Tragweite und grausamen Finalität in Erscheinung tritt. "But there cannot be a reason, not for death. Not like this, not like this", stellt er resignierend fest.

"King Park" ist vielleicht das Kronjuwel der Diskographie von La Dispute. Diese sechs Minuten sind eine Tour de Force der Gefühle, eine Meisterleistung im Storytelling und gehören womöglich zu den emotional auslaugendsten der Musikgeschichte. Die Grundlage liefert die wahre Geschichte eines misslungen Drive-By-Shootings in Dreyers Heimatstadt bei dem ein unschuldiges Kind ums Leben kam. La Dispute machen daraus eine in jeder Faser des Körpers spürbare Erfahrung. Sie führen die Kamera, nehmen uns mit an den Tatort, ins Haus der verbliebenen Eltern, zurück in die glückliche Vergangenheit, auf die Beerdigung und zuletzt in den Kopf des von Reue zerfressenen Schützen.

Die Instrumentation ist das Spiegelbild der Gefühle, die in Dreyer aufkochen, als er dieses erschütternde Ereignis nacherzählt. Donnernde Riffs, als er zum ersten Mal von der Nachricht hört, melancholisches Gezupfe, wenn die Realität langsam einsickert, und ein filmreifes anschwellendes Crescendo, wenn die Polizei den Schützen in einem Hotelzimmer einkesselt. Unnachgiebig dringt die Band in das Seelenleben aller Beteiligten ein, und wenn sich die Knöchel der geballten Fäuste schon vor Anspannung weiß färben, setzten La Dispute nochmals einen drauf, bohren den Finger noch tiefer in die Wunde. "Felt the world was collapsing", dann Stille und ein Aufschrei das Blut in den Adern gefrieren lässt: "Can I still get into heaven if I kill myself. Can I ever be forgiven cause I killed that kid? It was an accident I swear it wasn't meant for him." schreit der Täter ehe er die Waffe gegen sich selbst richtet. Es ist schwer in Worte zu fassen, was diese wenigen Minuten mit einem machen. Mit der Intensität eines Lastzug durchbrechen sie jegliche seelischen Barrieren der Unschuld und reißen einen hinab in den Höllenschlund der Ungerechtigkeit und der Willkür.

"Edward Benz, 27 Times" und "I See Everything" stehen dieser Intensität jedoch in nichts nach. Erstgenannter Song erzählt die Geschichte eines Mannes, der von seinem schizophrenen Sohn mit einem Messer attackiert und beinahe tot gestochen wurde, letzterer rekapituliert in Tagebuchform die Erlebnisse einer religiösen Familie, die ihren siebenjährigen Sohn an Krebs verliert. Harter Tobak wäre eine Untertreibung für die emotionale Tragweite dieser Erzählungen. Besonders weil Dreyer dahin geht, wo es wirklich weh tut. Seine Worte sind rasiermesserscharfe Klingen, die wieder und wieder mitten ins Herz treffen.

Beeindruckend ist, mit welch feinem Gespür für Stimmung die Band sich diesen Schicksalen widmet. Die organische Instrumentation selbst ist würdevoll, ja beinahe empathisch. Sie atmet die Gefühle, die zwischen den Zeilen lebendig werden. Dreyer selbst, dessen Poesie auch hier wieder glänzt, setzt währenddessen genau die richtigen Akzente, um nicht in eine Voyeur-Rolle zu geraten, der diese Tragödien als Außenstehender begafft.

Sein eigenes Narrativ spinnt er am Ende der Songs weiter, überfordert, unwissend wie er mit all dem umgehen soll. "And I sit in my apartment. I'm getting no answers. I'm finding no peace, no release from the anger. I leave it at arms length. I'm keeping my distance from hotels and Jesus and blood on the carpet. I'm stomaching nothing. I'm reaching for no one. I'm leaving this city and I'm headed out to nowhere"

Hope

Diese Flucht ins Nichts führt ihn am Ende wieder zurück zu sich selbst. "A Broken Jar" ist der letzte der vier Briefe, die die einzelnen Kapitel der LP einleiten. Ein finales Schreiben, begleitet von reduziertem Blues, adressiert an wen auch immer ("Who have I been writing to? I'm not sure anymore"). Das titelgebende kaputte Glas, Dreyes zerbrochene Gefühlswelt lässt sich nicht länger reparieren. Also fasst er einen Entschluss: "Now I am throwing all the shards away". Anstelle weiter nach Antworten zu suchen, oder im Selbstmitleid zu ertrinken, erkennt er, dass er der Wahrheit ins Gesicht sehen muss, um aktiv etwas an seinem Zustand zu verändern.

Die Hoffnung, die darin mitschwingt, manifestiert sich anschließend jedoch nicht wirklich als solche. "All Our Bruised Bodies And The Whole Heart Shrinks" ist die kumulative Reflektion all dessen, was uns La Dispute in der vergangen 40 Minuten um die Ohren hauten. Es ist das Herzstück der gesamten LP. Eine offene Wunde, voller Unsicherheiten, Schmerz und vor allem: Angst. Einer wahnsinnig großen Angst nicht mit dem klar zu kommen, was das Leben für einen bereit hält. "Am I better off just bursting or breaking? Cause I don't see my heart getting strong", fragt sich Dreyer.

All die Geschichten von schizophrenen Söhnen, verstorbenen Kindern und trauernden Familien sollen jedoch Hoffnung geben. Wenn Menschen wie sie, die wahrlich durch die Hölle auf Erden gingen, die Stärke hatten, nicht aufzugeben, dann kann es jeder. Egal ob Religion oder Liebe, etwas überdauert, etwas sorgt dafür, dass man mit diesem Mühlstein, den man um den Hals durchs Leben trägt nicht alleine da steht. Nur glaubt Dreyer, dieses etwas noch nicht gefunden, respektive schon verloren zu haben. "Everyone is out searching for someone or something, I wonder what I'll find", singt er und leitet damit in die finale Bewältigung seiner persönlichen Tragödie über.

"You And I In Unison" ist ein ein Liebeslied. Was sich mehrmals andeutete, wird nun konkret. Dreyers Tragödie, "the thing itself", wie er es im Opener nennt, ist ein gebrochenes Herz. Das mag angesichts der an Tragik nicht mehr zu überbietenden Schicksale, derer er sich zuvor widmete, fast schon lachhaft banal wirken, aber wenn La Dispute mit "Wildlife" eines verdeutlichen, dann ist es, dass Schmerz unglaublich subjektiv ist und sich eine Wertung darüber, wer das pechschwärzere Los gezogen hat, grundsätzlich verbietet.

Wer jetzt allerdings erwartet, dass La Dispute dieses Konzept versöhnlich zu Ende führen, der irrt. Statt einem Glitter-behafteten Gute-Laune-Paukenschlag servieren sie lediglich ein Gewissheit schaffendes, verblassendes Seufzen. Auf "You And I In Unison" reminisziert Dreyer in wunderschönen Worten über eine verflossene Liebe und kommt zwar unweigerlich an dem Punkt an, an dem er erkennt, das loszulassen seine einzige Chance ist, doch er sträubt sich dagegen. "But if I still hear you singing in every city I meet. After I blur it all out, our every memory, if you never fade with the days, your shape still haunting me then, Should I not just sing along?" fragt er sich.

Die Antwort folgt prompt: "I'll sing your name in every line. Just like I did throughout this. Just like I've always done. In every gun, the empty church, and every tortured son. In all those giving up. In all those giving in. Until I die I will sing our names in unison". Was auf den ersten Blick romantisch klingt, ist in Wahrheit nur ein Eingeständnis, weiter mit diesem Schmerz leben zu müssen. Es ist bezeichnend, dass Dreyer fast eine Stunde damit verbringt, aus seinem eigenen Teufelskreis auszubrechen, um am Ende genau da zu stehen, wo er anfing. Reicher an Erfahrungen, die ihm in der Praxis absolut nichts nützen.

"Everbody in the world comes at some point to suffering"

"Wildlife" versucht gar nicht erst, uns etwas vorzumachen. In Form einer auditiven Selbsthilfegruppe legt das Album einem nach und nach die düstersten und tragischsten Ecken und Kanten der menschlichen Existenz offen, reißt die tiefsten Wunden auf, ohne Anleitung, wie man irgendetwas dagegen tun kann, ohne allzu große Hoffnung auf Besserung, ohne Happy End. La Disputes Zweitling ist kein Album, für das man in der richtigen Stimmung sein muss (sofern es die denn überhaupt gibt), denn es hämmert einem diese Stimmung ohnehin mit dem Vorschlaghammer ein. Wenn alle Dämme aber erst einmal gebrochen sind, erkennt man den Wert darin.

Denn wie in einer echten Selbsthilfegruppe findet man nach und nach ein wenig Trost in diesen Geschichten, zieht durch das fast schon mantra-artige Wiederholen persönliche Entschlüsse daraus und fühlt sich geborgen in dem Fakt, dass man, mit was auch immer man auch gerade durchmacht, nicht allein ist und es niemals sein wird.

Everbody in the world comes at some point to suffering", singt Dreyer und hat damit wohl Recht. Das Leben ist nicht immer schön, nein, das Leben ist sogar ziemlich oft unglaublich furchteinflößend, niederschmetternd und verdammt unfair. Aber wie man es auch dreht und wendet, ist es am Ende immer noch dein Leben. Dein einziges. Also lebe es!

© Laut

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Wildlife

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1
a Departure
00:03:32

Jordan Dreyer, Composer - Brad Vander Lugt, Composer - Adam Vass, Composer - Kevin Whittemore, Composer - Chad Sterenberg, Composer - La Dispute, MainArtist

2011 La Dispute and Many Hats Distribution 2011 La Dispute and Many Hats Distribution

2
Harder Harmonies
00:03:35

Jordan Dreyer, Composer - Brad Vander Lugt, Composer - Adam Vass, Composer - Kevin Whittemore, Composer - Chad Sterenberg, Composer - La Dispute, MainArtist

2011 La Dispute and Many Hats Distribution 2011 La Dispute and Many Hats Distribution

3
St. Paul Missionary Baptist Church Blues
00:03:46

Jordan Dreyer, Composer - Brad Vander Lugt, Composer - Adam Vass, Composer - Kevin Whittemore, Composer - Chad Sterenberg, Composer - La Dispute, MainArtist

2011 La Dispute and Many Hats Distribution 2011 La Dispute and Many Hats Distribution

4
Edit Your Hometown
00:02:55

Jordan Dreyer, Composer - Brad Vander Lugt, Composer - Adam Vass, Composer - Kevin Whittemore, Composer - Chad Sterenberg, Composer - La Dispute, MainArtist

2011 La Dispute and Many Hats Distribution 2011 La Dispute and Many Hats Distribution

5
a Letter
00:03:49

Jordan Dreyer, Composer - Brad Vander Lugt, Composer - Adam Vass, Composer - Kevin Whittemore, Composer - Chad Sterenberg, Composer - La Dispute, MainArtist

2011 La Dispute and Many Hats Distribution 2011 La Dispute and Many Hats Distribution

6
Safer in the Forest/Love Song for Poor Michigan
00:04:36

Jordan Dreyer, Composer - Brad Vander Lugt, Composer - Adam Vass, Composer - Kevin Whittemore, Composer - Chad Sterenberg, Composer - La Dispute, MainArtist

2011 La Dispute and Many Hats Distribution 2011 La Dispute and Many Hats Distribution

7
The Most Beautiful Bitter Fruit
00:03:55

Jordan Dreyer, Composer - Brad Vander Lugt, Composer - Adam Vass, Composer - Kevin Whittemore, Composer - Chad Sterenberg, Composer - La Dispute, MainArtist

2011 La Dispute and Many Hats Distribution 2011 La Dispute and Many Hats Distribution

8
a Poem
00:02:59

Jordan Dreyer, Composer - Brad Vander Lugt, Composer - Adam Vass, Composer - Kevin Whittemore, Composer - Chad Sterenberg, Composer - La Dispute, MainArtist

2011 La Dispute and Many Hats Distribution 2011 La Dispute and Many Hats Distribution

9
King Park
00:06:54

Jordan Dreyer, Composer - Brad Vander Lugt, Composer - Adam Vass, Composer - Kevin Whittemore, Composer - Chad Sterenberg, Composer - La Dispute, MainArtist

2011 La Dispute and Many Hats Distribution 2011 La Dispute and Many Hats Distribution

10
Edward Benz, 27 Times
00:05:44

Jordan Dreyer, Composer - Brad Vander Lugt, Composer - Adam Vass, Composer - Kevin Whittemore, Composer - Chad Sterenberg, Composer - La Dispute, MainArtist

2011 La Dispute and Many Hats Distribution 2011 La Dispute and Many Hats Distribution

11
I See Everything
00:03:37

Jordan Dreyer, Composer - Brad Vander Lugt, Composer - Adam Vass, Composer - Kevin Whittemore, Composer - Chad Sterenberg, Composer - La Dispute, MainArtist

2011 La Dispute and Many Hats Distribution 2011 La Dispute and Many Hats Distribution

12
a Broken Jar
00:02:19

Jordan Dreyer, Composer - Brad Vander Lugt, Composer - Adam Vass, Composer - Kevin Whittemore, Composer - Chad Sterenberg, Composer - La Dispute, MainArtist

2011 La Dispute and Many Hats Distribution 2011 La Dispute and Many Hats Distribution

13
all our bruised bodies and the whole heart shrinks
00:05:04

Jordan Dreyer, Composer - Brad Vander Lugt, Composer - Adam Vass, Composer - Kevin Whittemore, Composer - Chad Sterenberg, Composer - La Dispute, MainArtist

2011 La Dispute and Many Hats Distribution 2011 La Dispute and Many Hats Distribution

14
You and I in Unison
00:04:56

Jordan Dreyer, Composer - Brad Vander Lugt, Composer - Adam Vass, Composer - Kevin Whittemore, Composer - Chad Sterenberg, Composer - La Dispute, MainArtist

2011 La Dispute and Many Hats Distribution 2011 La Dispute and Many Hats Distribution

Albumbeschreibung

Musik ist so ein wunderbares Medium, weil es ungefähr jede erdenkliche Emotion von jedem erdenklichen Typ Mensch authentisch wiedergeben kann. Schließlich fühlt man sich doch unweigerlich der Musik, oder universeller gesprochen dem Medium verbunden, das die eigene Persönlichkeit oder Stimmung in gewisser Weise widerspiegelt oder ergänzt.

Aber wieso hören wir dann eigentlich gerne traurige Musik? Um uns noch schlechter zu fühlen? Elend, Melancholie und Traurigkeit halten sich seit jeher hartnäckig in jeder Form der Kunst, dabei fühlt man sich ja nicht gerne schlecht, geschweige denn lässt man sich gerne freiwillig die gute Laune versauen. Studien belegen zwar, dass traurige Musik die eigene Stimmung durchaus verschlimmern kann, sie attestieren ihr aber ebenso sehr einen therapeutischen Effekt. Geteiltes Leid ist eben halbes Leid, auch wenn man es mit Menschen teilt, die man nur im Audioformat kennt.

La Disputes "Wildlife" ist dieses Konzept in seiner radikalsten Ausführung. Wo andere Alben, oder Filme den therapeutischen Zweck erfüllen, die Tränendrüsen mal wieder zu entleeren oder einem in seiner eigenen Niedergeschlagenheit Gesellschaft leisten, da fängt der emotionale Abgrund, in den die fünf aus Michigan mit ihrem zweiten Studio-Album abtauchen, gerade erst an. Die Tränendrüsen treten sie mit Stahlkappenschuhen kaputt, und Gesellschaft leisten sie höchstens in Form von Schocktherapie. La Disputes gemarterter Post-Hardcore ist keine stille und leise Anklage, sondern ein ohnmächtiger, verzweifelnder Schrei, eine Bestandsaufnahme einer kaputten Adoleszenz in einer Welt, die in den Köpfen unterzugehen droht.

"Wildlife" ist ein schwarzes Loch aus Elend und Leid, das einen verschlingt, verkrüppelt und (fast) ohne Katharsis wieder ausspuckt. Dieses Album zieht nicht spurlos an einem vorbei, denn dieses Album traut sich an Orte, die eigentlich tabu sind, über die man einfach keine Musik macht, weil sie so vernichtend und tragisch sind, dass sich daraus eigentlich kein unterhaltsamer Mehrwert ziehen lässt. Das klaustrophobische, in sich implodierende Finale von "King Park", die vor Wehmut triefende Gitarre auf "Safer In The Forest", die simple Ausschrei eines Datums auf "I See Everything": Einzelne Momente sind so unfassbar potent in ihrer emotionalen Durchschlagskraft, dass sie fast schon spürbare seelische Narben hinterlassen.

Also erneut die Frage: Wieso hört man sich sowas freiwillig an? Muss man nicht ein wenig masochistisch veranlagt sein, um solch eine auditive Tortur über sich ergehen zu lassen? Vielleicht. Andererseits ist es eben genau diese Radikalität, die "Wildlife" so einzigartig und effektiv macht. Das Erlebnis, dieses Album zum ersten Mal in Gänze zu hören, ist eines, an das ich mich wohl ewig erinnern werde. Nicht nur weil es eine der wohl heftigsten Reaktionen in mir auslöste, zu der je ein Medium fähig war, auch weil es nachhaltig etwas in mir veränderte.

In einer Zeit, in der meine eigenen Gedanken meine größten Feinde und die Zukunft ein zähnefletschendes Monster war, gierig darauf über mich herzufallen, tat es unfassbar gut, von Jordan Dreyer ungeschönt ins Gesicht gebrüllt zu bekommen, dass ich mit diesem Gefühl verdammt nochmal nicht alleine bin. Inmitten all der Wunden, in die die Band ihre Finger legt, findet sich eine verletzliche und gleichmachende Menschlichkeit, die einen vielleicht nicht aus dem Loch heraus zieht, in dem man sich gerade befindet, die aber Halt und Perspektive gibt, die Hoffnung macht.

Die Geschichten die Sänger Jordan Dreyer erzählt sind zwar alle wahr, aber er selbst ist nicht immer Teil davon. Das Album ist vielmehr eine Art Tagebuch, mittels dessen er menschliches Leiden in all seinen Facetten erforscht, um sein eigenes zu verarbeiten. Er tut dies in vier Kapiteln, die er im öffnenden Song "A Departure" benennt: "First the feeling of abandonment, then trying to cope. Then death and hope and the thing itself waiting for me. It's all in the pages ahead of me."

Abandonment

Das erste Viertel des Album legt den tonalen und inhaltlichen Grundstein. Dreyer steckt den Rahmen dessen ab, was ihn beschäftigt, was für Ängste ihn heimsuchen und welche Geister der Vergangenheit auch heute noch ihre Spuren hinterlassen. "Harder Harmonies" erzählt zum Beispiel von dem Gefühl, sozial von der Gesellschaft ausgeschlossen zu sein, unfähig in die Harmonie, die die Welt so fröhlich und einstimmig um einen herum summt, mit einstimmen zu können.

Auf "St. Paul Missionary Baptist Church Blues" vergleicht er seine schwindende mentale Stabilität mit dem Zerfall einer Kirche in seiner Heimatstadt, die früher ein Anker in der Community war, heute aber nur noch langsam und unbeachtet verrottet ("Have I gone the same sad way?"). Jene Heimatstadt ist auch Thema von "Edit Your Hometown". Wie eine Geisel hält sie Dreyer gefangen, der voller Reue darüber reminisziert, sie als einziger seiner Freunde ("Are we still friends at all?") nicht hinter sich gelassen zu haben und nun einer trostlosen Zukunft entgegen sieht. ("I still believe I might get left here.")."Don't make the same mistake as me", schreit Dreyer am Ende mahnend, sichtlich ergriffen.

Schnell wird deutlich, dass die Musik von La Dispute oftmals Spoken-Word Poesie nahe kommt. Es finden sich keine Refrains, keine catchy Melodien, keine mitreißenden Riffs, nur ein unaufhaltsamer Mahlstrom an Emotionen, der einen zu zermalmen droht. Und Dreyers Stimme, die ständig so klingt, als sei er eine schlechte Nachricht davon entfernt in Tränen auszubrechen, ist das perfekte Vehikel dafür. Nicht nur weil er mühelos den perfekten Mittelweg zwischen Aggression und Verständlichkeit findet, auch das was er sagt, ist so wunderschön bildlich und unmissverständlich direkt, dass mit jedem neuen Verse das ohnehin bis obenhin mit emotionalen Zündstoff vollgestopfte Songwriting zu explodieren droht.

Darin, in Kombination mit dem zur Schau gestellten handwerklichen Talent und der instrumentalen Dynamik, liegt die Einzigartigkeit von La Dispute, die sie aus der Fülle des sentimentalen Post-Hardcore Einheitspreis herausstechen lässt. Sie sind die Virtuosen unter den Schwarzmalern. Die, die eben nicht nur einen pechschwarzen Farbtopf auf die Leinwand kleistern, sondern ihrer Seelenlandschaft in allen Facetten der dunklen Seite des Farbspektrums Ausdruck verleihen. Detailverliebt und akribisch pinseln die Jungs aus Michigan Szenerien der Tristesse, die sie nach und nach zu einem kohärenten Gesamtkunstwerk verweben.

Cope

Selbst wenn La Dispute davon singen, wie sie ihre Dämonen konfrontieren, tun sie das vollkommen frei von Optimismus "A Letter" ist so unglaublich persönlich und intim, aber eben auch allgemeingültig, dass wohl tausende Menschen auf der ganzen Welt das Gefühl haben müssen, Dreyer bringe das zum Ausdruck, wofür sie nicht die richtigen Worte finden. Er singt vom Unglücklichsein, von Depressionen, von der damit einhergehenden Isolierung und vom Gefühl, selbst die Schuld an all dem zu tragen. "Looking back I maybe never tried hard enough. Maybe I never tried at all", resümiert er über den Kampf sich von all dem loszusagen.

Im anschließenden "Safer In The Forest/Love Song For Poor Michigan" erfolgt dann zum ersten Mal eine Art Stimmungswechsel. Dreyer lässt die Stadt hinter sich und findet geborgen in den Händen der Natur, abseits des Lärms, tatsächlich so etwas wie Ruhe und, für einen kurzen Moment, inneren Frieden. Das schlägt sich auch in der bittersüßen Instrumentierung wieder, die hin und wieder mehr süß als bitter tönt und einem wirklich das Gefühl gibt, vor Ort zu sein, wenn Dreyer vorbei an Baumreihen schreitet und dem befreienden Chorus der Blätter beiwohnt. "We will rise again from ashes one day!": Abschließend erlaubt er sich sogar ein wenig Lebensmut. Es ist der vielleicht strahlendste Lichtblick den sich La Dispute auf "Wildlife" erlauben.

Dessen gedimmte Strahlen finden vereinzelt auch noch ihren Weg in "The Most Beautiful Bitter Fruit", einer fast schon medizinisch-distanzierten Auseinandersetzung mit der eigenen Sexualität. Dreyer beschreibt den flüchtigen, erkalteten Kontakt zweier Körper als biologischen Prozess, als animalischen Instinkt, der keinerlei langfristige Befriedigung mit sich bringt ("No love, no life, no history.Just touch, just chemistry"). Dennoch begrüßt er ihn mit offenen Armen, gerade weil da eben doch mehr sein kann, wenn zwischen zwei Körpern nicht nur Funken, sondern ein loderndes Feuer entfacht. "A body that makes sense" müsse man dafür nur finden. "I've felt it!" schreit er voller Schmerz und plötzlich erlischen auch die allerletzten Lichtstrahlen.

Death

Ein Großteil des Rufs, der diesem Album vorauseilt, und der niederschmetternde Superlativ aus der Einleitung beziehen sich auf diesen Teil. "A Poem" legt den Grundstein und zeichnet Dreyer am absoluten Nullpunkt, an dem Moment, in dem er das erste Mal darüber sinniert, dass früher oder später der Tod "worry and wonder" seinem Leben ein Ende setzen wird. Als er die Worte ausspricht, schwingt in ihnen eine leichte Sehnsucht mit.

Die anschließenden drei Geschichten bauen auf dieser Thematik auf, mit dem Unterschied, dass in ihnen der Tod nichts Erlösendes mehr mit sich bringt, sonder in seiner vollen Tragweite und grausamen Finalität in Erscheinung tritt. "But there cannot be a reason, not for death. Not like this, not like this", stellt er resignierend fest.

"King Park" ist vielleicht das Kronjuwel der Diskographie von La Dispute. Diese sechs Minuten sind eine Tour de Force der Gefühle, eine Meisterleistung im Storytelling und gehören womöglich zu den emotional auslaugendsten der Musikgeschichte. Die Grundlage liefert die wahre Geschichte eines misslungen Drive-By-Shootings in Dreyers Heimatstadt bei dem ein unschuldiges Kind ums Leben kam. La Dispute machen daraus eine in jeder Faser des Körpers spürbare Erfahrung. Sie führen die Kamera, nehmen uns mit an den Tatort, ins Haus der verbliebenen Eltern, zurück in die glückliche Vergangenheit, auf die Beerdigung und zuletzt in den Kopf des von Reue zerfressenen Schützen.

Die Instrumentation ist das Spiegelbild der Gefühle, die in Dreyer aufkochen, als er dieses erschütternde Ereignis nacherzählt. Donnernde Riffs, als er zum ersten Mal von der Nachricht hört, melancholisches Gezupfe, wenn die Realität langsam einsickert, und ein filmreifes anschwellendes Crescendo, wenn die Polizei den Schützen in einem Hotelzimmer einkesselt. Unnachgiebig dringt die Band in das Seelenleben aller Beteiligten ein, und wenn sich die Knöchel der geballten Fäuste schon vor Anspannung weiß färben, setzten La Dispute nochmals einen drauf, bohren den Finger noch tiefer in die Wunde. "Felt the world was collapsing", dann Stille und ein Aufschrei das Blut in den Adern gefrieren lässt: "Can I still get into heaven if I kill myself. Can I ever be forgiven cause I killed that kid? It was an accident I swear it wasn't meant for him." schreit der Täter ehe er die Waffe gegen sich selbst richtet. Es ist schwer in Worte zu fassen, was diese wenigen Minuten mit einem machen. Mit der Intensität eines Lastzug durchbrechen sie jegliche seelischen Barrieren der Unschuld und reißen einen hinab in den Höllenschlund der Ungerechtigkeit und der Willkür.

"Edward Benz, 27 Times" und "I See Everything" stehen dieser Intensität jedoch in nichts nach. Erstgenannter Song erzählt die Geschichte eines Mannes, der von seinem schizophrenen Sohn mit einem Messer attackiert und beinahe tot gestochen wurde, letzterer rekapituliert in Tagebuchform die Erlebnisse einer religiösen Familie, die ihren siebenjährigen Sohn an Krebs verliert. Harter Tobak wäre eine Untertreibung für die emotionale Tragweite dieser Erzählungen. Besonders weil Dreyer dahin geht, wo es wirklich weh tut. Seine Worte sind rasiermesserscharfe Klingen, die wieder und wieder mitten ins Herz treffen.

Beeindruckend ist, mit welch feinem Gespür für Stimmung die Band sich diesen Schicksalen widmet. Die organische Instrumentation selbst ist würdevoll, ja beinahe empathisch. Sie atmet die Gefühle, die zwischen den Zeilen lebendig werden. Dreyer selbst, dessen Poesie auch hier wieder glänzt, setzt währenddessen genau die richtigen Akzente, um nicht in eine Voyeur-Rolle zu geraten, der diese Tragödien als Außenstehender begafft.

Sein eigenes Narrativ spinnt er am Ende der Songs weiter, überfordert, unwissend wie er mit all dem umgehen soll. "And I sit in my apartment. I'm getting no answers. I'm finding no peace, no release from the anger. I leave it at arms length. I'm keeping my distance from hotels and Jesus and blood on the carpet. I'm stomaching nothing. I'm reaching for no one. I'm leaving this city and I'm headed out to nowhere"

Hope

Diese Flucht ins Nichts führt ihn am Ende wieder zurück zu sich selbst. "A Broken Jar" ist der letzte der vier Briefe, die die einzelnen Kapitel der LP einleiten. Ein finales Schreiben, begleitet von reduziertem Blues, adressiert an wen auch immer ("Who have I been writing to? I'm not sure anymore"). Das titelgebende kaputte Glas, Dreyes zerbrochene Gefühlswelt lässt sich nicht länger reparieren. Also fasst er einen Entschluss: "Now I am throwing all the shards away". Anstelle weiter nach Antworten zu suchen, oder im Selbstmitleid zu ertrinken, erkennt er, dass er der Wahrheit ins Gesicht sehen muss, um aktiv etwas an seinem Zustand zu verändern.

Die Hoffnung, die darin mitschwingt, manifestiert sich anschließend jedoch nicht wirklich als solche. "All Our Bruised Bodies And The Whole Heart Shrinks" ist die kumulative Reflektion all dessen, was uns La Dispute in der vergangen 40 Minuten um die Ohren hauten. Es ist das Herzstück der gesamten LP. Eine offene Wunde, voller Unsicherheiten, Schmerz und vor allem: Angst. Einer wahnsinnig großen Angst nicht mit dem klar zu kommen, was das Leben für einen bereit hält. "Am I better off just bursting or breaking? Cause I don't see my heart getting strong", fragt sich Dreyer.

All die Geschichten von schizophrenen Söhnen, verstorbenen Kindern und trauernden Familien sollen jedoch Hoffnung geben. Wenn Menschen wie sie, die wahrlich durch die Hölle auf Erden gingen, die Stärke hatten, nicht aufzugeben, dann kann es jeder. Egal ob Religion oder Liebe, etwas überdauert, etwas sorgt dafür, dass man mit diesem Mühlstein, den man um den Hals durchs Leben trägt nicht alleine da steht. Nur glaubt Dreyer, dieses etwas noch nicht gefunden, respektive schon verloren zu haben. "Everyone is out searching for someone or something, I wonder what I'll find", singt er und leitet damit in die finale Bewältigung seiner persönlichen Tragödie über.

"You And I In Unison" ist ein ein Liebeslied. Was sich mehrmals andeutete, wird nun konkret. Dreyers Tragödie, "the thing itself", wie er es im Opener nennt, ist ein gebrochenes Herz. Das mag angesichts der an Tragik nicht mehr zu überbietenden Schicksale, derer er sich zuvor widmete, fast schon lachhaft banal wirken, aber wenn La Dispute mit "Wildlife" eines verdeutlichen, dann ist es, dass Schmerz unglaublich subjektiv ist und sich eine Wertung darüber, wer das pechschwärzere Los gezogen hat, grundsätzlich verbietet.

Wer jetzt allerdings erwartet, dass La Dispute dieses Konzept versöhnlich zu Ende führen, der irrt. Statt einem Glitter-behafteten Gute-Laune-Paukenschlag servieren sie lediglich ein Gewissheit schaffendes, verblassendes Seufzen. Auf "You And I In Unison" reminisziert Dreyer in wunderschönen Worten über eine verflossene Liebe und kommt zwar unweigerlich an dem Punkt an, an dem er erkennt, das loszulassen seine einzige Chance ist, doch er sträubt sich dagegen. "But if I still hear you singing in every city I meet. After I blur it all out, our every memory, if you never fade with the days, your shape still haunting me then, Should I not just sing along?" fragt er sich.

Die Antwort folgt prompt: "I'll sing your name in every line. Just like I did throughout this. Just like I've always done. In every gun, the empty church, and every tortured son. In all those giving up. In all those giving in. Until I die I will sing our names in unison". Was auf den ersten Blick romantisch klingt, ist in Wahrheit nur ein Eingeständnis, weiter mit diesem Schmerz leben zu müssen. Es ist bezeichnend, dass Dreyer fast eine Stunde damit verbringt, aus seinem eigenen Teufelskreis auszubrechen, um am Ende genau da zu stehen, wo er anfing. Reicher an Erfahrungen, die ihm in der Praxis absolut nichts nützen.

"Everbody in the world comes at some point to suffering"

"Wildlife" versucht gar nicht erst, uns etwas vorzumachen. In Form einer auditiven Selbsthilfegruppe legt das Album einem nach und nach die düstersten und tragischsten Ecken und Kanten der menschlichen Existenz offen, reißt die tiefsten Wunden auf, ohne Anleitung, wie man irgendetwas dagegen tun kann, ohne allzu große Hoffnung auf Besserung, ohne Happy End. La Disputes Zweitling ist kein Album, für das man in der richtigen Stimmung sein muss (sofern es die denn überhaupt gibt), denn es hämmert einem diese Stimmung ohnehin mit dem Vorschlaghammer ein. Wenn alle Dämme aber erst einmal gebrochen sind, erkennt man den Wert darin.

Denn wie in einer echten Selbsthilfegruppe findet man nach und nach ein wenig Trost in diesen Geschichten, zieht durch das fast schon mantra-artige Wiederholen persönliche Entschlüsse daraus und fühlt sich geborgen in dem Fakt, dass man, mit was auch immer man auch gerade durchmacht, nicht allein ist und es niemals sein wird.

Everbody in the world comes at some point to suffering", singt Dreyer und hat damit wohl Recht. Das Leben ist nicht immer schön, nein, das Leben ist sogar ziemlich oft unglaublich furchteinflößend, niederschmetternd und verdammt unfair. Aber wie man es auch dreht und wendet, ist es am Ende immer noch dein Leben. Dein einziges. Also lebe es!

© Laut

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