Kagel: The 8 Pieces of the Wind Rose

Albumbeschreibung

Musikalische Authentizität war für Mauricio Kagel stets eine fragwürdige Kategorie. Wo hört das Original auf, wo beginnt die Fälschung? Kagels hintersinniges Spiel mit Imitation und Simulation, mit dem Fremden und Verfremdeten fand in den „Stücken der Windrose“ (1989-94) eine besonders poetische Ausformung. Die kompositorische Weltreise in acht Himmelsrichtungen, die nicht von ungefähr von einem leicht angestaubten Unterhaltungs-Format der Kolonialzeit, dem Salonorchester, geleitet wird, ist ein sprudelnder Quell musikalischer Allusionen und Anekdoten. Eine multikulturelle Phantasmagorie mit imaginierter Folklore und falschen Exotismen, in der die Grenze zwischen Melancholie und Burleske zerfließt.
Wie am Fenster einer Zugfahrt rauschen die polyglotten Klangsprachen im „Osten“ vorbei, mal rhythmisch markant mit Tango-Versatzstücken, mal als scheinbar sentimentale melodische „Erinnerung“. Wunderbar schräge Formen kann das im „Süden“ annehmen, mit schiefen Flöten und Geigen und kaputten, wie zerschlissen wirkenden Volksmusik-Valeurs. Die Einflüsse auf Kagels märchenhaft unwirkliche Polystilistik sind höchst unterschiedlich: Während der „Nordosten“ rhythmisch von brasilianischer und kubanischer Musik beeinflusst ist, stattet der „Nordwesten“ den Völkern der Anden einen Besuch ab – minimalistisches Getrommel, wilde Tänze, archaische Riten, alles schön erfunden und immer mit einer Prise Kagel-typischen Humors versehen.
Kagels komplexe Filterungen und Doppelbödigkeiten werden vom Ensemble Aleph mit viel Sinn fürs Gebrochene und Spielerische nachempfunden. Hinzu kommt eine beachtliche Palette an Klangfarben und Artikulationen, deren Erfindungs- und Nuancenreichtum die geläufigen Vorstellungen eines Salonorchesters selbstredend weit hinter sich lässt. So bleibt diese Reise in jedem Moment spannend, unvorhersehbar, unerklärlich.

© Wieschollek, Dirk / www.fonoforum.de