New South American Discoveries

Albumbeschreibung

Ein Nischenprodukt? Wer so denkt, sollte zumindest erkennen, dass es sich um eine recht große Nische handelt, um einen ganzen Subkontinent, auf dem die Europäische Union gleich viermal unterzubringen wäre, mit Metropolen und menschenleeren Regionen, von deren Ausmaßen wir uns keine Vorstellung machen. Und nicht zuletzt mit einem jahrhundertealten ethno-kulturellen Mix aus indigenen, europäischen, kreolischen und afrikanischen Elementen.
Der Peruaner Harth-Bedoya hat schon verschiedentlich seiner Leidenschaft für lateinamerikanische Musik gehuldigt, wobei er die vier prägenden und diskografisch bestens erschlossenen Nationen gern umgeht; auch auf seiner neuer Scheibe glänzen die großen Komponisten aus Mexiko, Kuba, Brasilien und Argentinien durch Abwesenheit. Stattdessen Sebastián Vergara und Sebastián Errázuriz aus Chile, Jorge Villavicencio Grossmann und Antonio Gervasoni aus Peru, Victor Agudelo und Diego Vega aus Kolumbien, Diego Luzuriaga aus Ecuador und Augustín Fernández aus Bolivien.
Das stilistische Prisma reicht von folkloristisch inspirierten Andenklängen und minimalistischem Espressivo bis zu freitonalen sinfonischen Dichtungen auf den Spuren der europäischen Nationalromantik, alles versehen mit der latinotypischen DNA: orchestrale Farbigkeit, rhythmische Vitalität, extrovertierte Rhetorik. Warum gibt es davon hierzulande noch immer so verdammt wenig! Bei Agudelos geheimnisvoll schillerndem „El Sombrerón“ oder Vegas „Música Muisca“, einer Evokation jenes alt-kolumbianischen Volkes, das fatalerweise den Mythos von El Dorado in die Welt sandte, beschleicht den europäischen Hörer jedenfalls ein seltsamer Verdacht: Ob wir es vielleicht sind, die das Nischendasein fristen, während die wahre Gegenwartsmusik aus ganz anderen Weltteilen kommt?

© Tarnow, Volker / www.fonoforum.de