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Bezeichnet man Flying Lotus als den großen Schmelzpunkt der gegenwärtigen Jazzmusik, löst man vermutlich keine Kontroversen aus. "You're Dead!" mauserte sich mit einer wilden, ekstatischen Meditation auf die Sterblichkeit zu einem der jüngsten Klassiker des Genres und verband vieles, das zwischen Hip Hop und Jazz in den 2010ern so fasziniert. Die Madlibsche Loop-Musik, den Jazz-Rap eines Kendrick Lamar oder Questloves, extravagante Kompositionsstrukturen wie bei Kamasi Washington oder James Francies und nicht zuletzt den Mut zum Sampling, der zwischen MF Doom und Earl Sweatshirt stets fantasievoller wurde.
"Flamagra" ist ein ebenso imposantes, überwältigendes Werk, das klar die musikalische Wildheit von Miles Davis' "Bitches Brew "oder sogar Sun Ras "The Night Of The Purple Moon" kanalisiert. Auf 27 Tracks übt sich Flying Lotus dieses Mal aber in Collage, weniger auf der Suche nach einem nächsten großen Epos über das Leben und Sterben, sondern eher von einer Balance aus Fernweh und Nostalgie getrieben.
Man könnte das Hauptthema des Albums als einen Prozess des vertagten Erinnerns beschreiben. So gern man schwarzen Künstlern auch die Einordnung in die schwarze Musikkultur zur einzig möglichen Verortung unterstellt, hört man diesem Album doch eine Hybridität an, die in der Schnittmenge von Soul-Chören und Arcade-OSTs stattfindet. Wie der Wu-Tang Clan das Shaolin, so findet Flying Lotus auf "Flamagra" eine musikalische Form, die deutlich an die Soundtracks japanischer Videospiele erinnert.
Nicht nur die Dominanz analoger Synthesizer und matter Keyboard-Riffs erstreckt sich immer wieder durch "Flamagra", auch die facettenreichen Ambient-Samples, die repetitiven, sich im Kreis drehenden Melodie-Läufe, die Kaskaden an Sound-Fragmenten fetzen immer wieder wie Projektile durchs Soundbild. Die Platte baut wieder und wieder Walls of Sound auf, die einzigartige Texturen ermöglichen. Im Herzen ein Loop, darauf wilde, analoge Synthesizer-Spiralen, die öfter als nur hier und da an 8bit oder Chiptune erinnern, und auf Schnipsel und Fragmente reduzierte Samples.
Wer schon einmal Spiele wie "The Secret Of Mana", "Tales Of Xillia" oder zumindest auch nur ein "The Legend Of Zelda" angefasst hat, versteht auf Anhieb, warum Songs wie der Opener "Heroes" wie ein Level klingen, das den Spieler durch einen Feuertempel führt. Der Loop gibt dem Fortschritt des Songs eine Linearität, die die brandenden Riffs, Improvisationen und Samples durchbrechen. "Heroes In A Half Shell" oder "Pilgrim Side Eye" klingen desorientierend, überwältigend und hektisch, als ob der Hörer jede Sekunde um die Kontrolle über die Soundkulisse ringt.
Noch deutlicher treten diese Bezüge zu nostalgischer Gaming-Ästhetik etwa in "All Spies" zutage, auf dem ein zielloser 8Bit-Synthesizer-Loop retrofuturistische Nostalgie beschwört. Eine Erinnerung an Parliaments Afrofuturismus, bezogen auf die Generation von Steven Ellison. "Andromedar" oder das wörtlich nach J-RPG "Final Fantasy 4" benannte "FF4" erweitern diese Assoziationskette, nirgends erscheint die Fernost-Imagination aber so konkret wie auf dem Herzstück des Albums, "Takashi". Das kanalisiert in einer fünfminütigen Synth-Ekstase nämlich fast wörtlich die Grooves von Yasuaki Shimizus ikonischem Funk Rock-Album "Kakashi", angereichert mit Melodien und Klängen, die man so auch auf "Solid State Survivor" vom Yellow Magic Orchestra finden könnte.
Diese Verweisstruktur hilft vielleicht, um "Flamagra" wirklich unter einen Hut zu bekommen. Damit werden einige der konträreren ästhetischen Ideen vereinbar. Die bedrohliche, psychedelische Klaustrophobie der Schallwände, die fernöstliche Exotik, die teils gemütliche, teils melancholische Nostalgie. Wenn "Flamagra" wirklich ein vertagtes Erinnern ist, lohnt es sich, die Welt dieses Albums in der Kindheit von Flying Lotus anzusiedeln.
Dann ergeben auch viele der Gastauftritte deutlich kohärenteren Sinn: David Lynch wird zu einem wortwörtlichen Erzähler einer bedrohten Idylle, ein Kind, das die Dimension der Bedrohungen seiner Eltern nicht nachvollziehen kann. Tierra Whack, die in einem surrealen Spoken Word-Piece über ihre ungebundenen Schuhe spricht, Denzel Curry, der auf "Black Baloons Reprise" in einen märchenhaften Erzählton verfällt.
"Flamgra" bannt die Hörer womöglich in die Ohren eines jungen Steven Ellison, der den Jazz-Fusion und den Soul seiner Angehörigen Alice Coltrane und derer musikalischen Umgebung auf dem einen, und die Soundtracks von entfernten Videospielen auf dem anderen hat. Der Geschichten über die Entstehung der Welt und über das am Horizont lodernde Feuer erzählt bekommt. Der sich die Ungerechtigkeit der Welt nur ausmalen und sie doch schon subversiv spüren kann.
Das Ergebnis ist eine Stunde fast körperlich überwältigender, emotional widersprüchlicher Loop- und Jazzmusik, die sich gleichermaßen surreal und desorientierend anfühlt. Die sich mal ausufernd hektisch ("Takashi"), mal verloren heimelig ("Find Your Own Way Home") anfühlt. Es ist die nostalgische Erinnerung an eine Zeit, in der die Zukunft noch ein unkonkreter, formloser, bedrohlicher und vielversprechender Traum war. Sieht man sich diese Perspektive als Erwachsener an, merkt man, dass das Gefühl einer überkomplexen und unverständlichen Welt, die vor der Haustür und hinter dem Bildschirm wartet, auch nach noch so vielen Jahren noch bedrückend nachvollziehbar erscheint.
© Laut
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Flying Lotus, MainArtist
2019 Warp Records 2019 Warp Records
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Flying Lotus, MainArtist - Anderson .Paak, FeaturedArtist
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George Clinton, FeaturedArtist - Flying Lotus, MainArtist
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Flying Lotus, MainArtist - Little Dragon, FeaturedArtist
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Flying Lotus, MainArtist - Tierra Whack, FeaturedArtist
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Flying Lotus, MainArtist - Denzel Curry, FeaturedArtist
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David Lynch, FeaturedArtist - Flying Lotus, MainArtist
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Flying Lotus, MainArtist - Shabazz Palaces, FeaturedArtist
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Flying Lotus, MainArtist - Thundercat, FeaturedArtist
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Flying Lotus, MainArtist - Toro Y Moi, FeaturedArtist
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Albumbeschreibung
Bezeichnet man Flying Lotus als den großen Schmelzpunkt der gegenwärtigen Jazzmusik, löst man vermutlich keine Kontroversen aus. "You're Dead!" mauserte sich mit einer wilden, ekstatischen Meditation auf die Sterblichkeit zu einem der jüngsten Klassiker des Genres und verband vieles, das zwischen Hip Hop und Jazz in den 2010ern so fasziniert. Die Madlibsche Loop-Musik, den Jazz-Rap eines Kendrick Lamar oder Questloves, extravagante Kompositionsstrukturen wie bei Kamasi Washington oder James Francies und nicht zuletzt den Mut zum Sampling, der zwischen MF Doom und Earl Sweatshirt stets fantasievoller wurde.
"Flamagra" ist ein ebenso imposantes, überwältigendes Werk, das klar die musikalische Wildheit von Miles Davis' "Bitches Brew "oder sogar Sun Ras "The Night Of The Purple Moon" kanalisiert. Auf 27 Tracks übt sich Flying Lotus dieses Mal aber in Collage, weniger auf der Suche nach einem nächsten großen Epos über das Leben und Sterben, sondern eher von einer Balance aus Fernweh und Nostalgie getrieben.
Man könnte das Hauptthema des Albums als einen Prozess des vertagten Erinnerns beschreiben. So gern man schwarzen Künstlern auch die Einordnung in die schwarze Musikkultur zur einzig möglichen Verortung unterstellt, hört man diesem Album doch eine Hybridität an, die in der Schnittmenge von Soul-Chören und Arcade-OSTs stattfindet. Wie der Wu-Tang Clan das Shaolin, so findet Flying Lotus auf "Flamagra" eine musikalische Form, die deutlich an die Soundtracks japanischer Videospiele erinnert.
Nicht nur die Dominanz analoger Synthesizer und matter Keyboard-Riffs erstreckt sich immer wieder durch "Flamagra", auch die facettenreichen Ambient-Samples, die repetitiven, sich im Kreis drehenden Melodie-Läufe, die Kaskaden an Sound-Fragmenten fetzen immer wieder wie Projektile durchs Soundbild. Die Platte baut wieder und wieder Walls of Sound auf, die einzigartige Texturen ermöglichen. Im Herzen ein Loop, darauf wilde, analoge Synthesizer-Spiralen, die öfter als nur hier und da an 8bit oder Chiptune erinnern, und auf Schnipsel und Fragmente reduzierte Samples.
Wer schon einmal Spiele wie "The Secret Of Mana", "Tales Of Xillia" oder zumindest auch nur ein "The Legend Of Zelda" angefasst hat, versteht auf Anhieb, warum Songs wie der Opener "Heroes" wie ein Level klingen, das den Spieler durch einen Feuertempel führt. Der Loop gibt dem Fortschritt des Songs eine Linearität, die die brandenden Riffs, Improvisationen und Samples durchbrechen. "Heroes In A Half Shell" oder "Pilgrim Side Eye" klingen desorientierend, überwältigend und hektisch, als ob der Hörer jede Sekunde um die Kontrolle über die Soundkulisse ringt.
Noch deutlicher treten diese Bezüge zu nostalgischer Gaming-Ästhetik etwa in "All Spies" zutage, auf dem ein zielloser 8Bit-Synthesizer-Loop retrofuturistische Nostalgie beschwört. Eine Erinnerung an Parliaments Afrofuturismus, bezogen auf die Generation von Steven Ellison. "Andromedar" oder das wörtlich nach J-RPG "Final Fantasy 4" benannte "FF4" erweitern diese Assoziationskette, nirgends erscheint die Fernost-Imagination aber so konkret wie auf dem Herzstück des Albums, "Takashi". Das kanalisiert in einer fünfminütigen Synth-Ekstase nämlich fast wörtlich die Grooves von Yasuaki Shimizus ikonischem Funk Rock-Album "Kakashi", angereichert mit Melodien und Klängen, die man so auch auf "Solid State Survivor" vom Yellow Magic Orchestra finden könnte.
Diese Verweisstruktur hilft vielleicht, um "Flamagra" wirklich unter einen Hut zu bekommen. Damit werden einige der konträreren ästhetischen Ideen vereinbar. Die bedrohliche, psychedelische Klaustrophobie der Schallwände, die fernöstliche Exotik, die teils gemütliche, teils melancholische Nostalgie. Wenn "Flamagra" wirklich ein vertagtes Erinnern ist, lohnt es sich, die Welt dieses Albums in der Kindheit von Flying Lotus anzusiedeln.
Dann ergeben auch viele der Gastauftritte deutlich kohärenteren Sinn: David Lynch wird zu einem wortwörtlichen Erzähler einer bedrohten Idylle, ein Kind, das die Dimension der Bedrohungen seiner Eltern nicht nachvollziehen kann. Tierra Whack, die in einem surrealen Spoken Word-Piece über ihre ungebundenen Schuhe spricht, Denzel Curry, der auf "Black Baloons Reprise" in einen märchenhaften Erzählton verfällt.
"Flamgra" bannt die Hörer womöglich in die Ohren eines jungen Steven Ellison, der den Jazz-Fusion und den Soul seiner Angehörigen Alice Coltrane und derer musikalischen Umgebung auf dem einen, und die Soundtracks von entfernten Videospielen auf dem anderen hat. Der Geschichten über die Entstehung der Welt und über das am Horizont lodernde Feuer erzählt bekommt. Der sich die Ungerechtigkeit der Welt nur ausmalen und sie doch schon subversiv spüren kann.
Das Ergebnis ist eine Stunde fast körperlich überwältigender, emotional widersprüchlicher Loop- und Jazzmusik, die sich gleichermaßen surreal und desorientierend anfühlt. Die sich mal ausufernd hektisch ("Takashi"), mal verloren heimelig ("Find Your Own Way Home") anfühlt. Es ist die nostalgische Erinnerung an eine Zeit, in der die Zukunft noch ein unkonkreter, formloser, bedrohlicher und vielversprechender Traum war. Sieht man sich diese Perspektive als Erwachsener an, merkt man, dass das Gefühl einer überkomplexen und unverständlichen Welt, die vor der Haustür und hinter dem Bildschirm wartet, auch nach noch so vielen Jahren noch bedrückend nachvollziehbar erscheint.
© Laut
Informationen zu dem Album
- 1 Disc(s) - 27 Track(s)
- Gesamte Laufzeit: 01:06:57
- Künstler: Flying Lotus
- Label: Warp Records
- Genre: Pop/Rock Rock Alternativ und Indie
2019 Warp Records 2019 Warp Records
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