Thurston Moore
Kaum ein Musiker steht derart stellvertretend für die Entwicklung der alternativen Rockmusik der vergangenen Dekaden wie Thurston Joseph Moore. Niemandem, der sich seit den Achtzigern in Rock- und Indiediskotheken aufgehalten oder MTV eingeschaltet hat, ist der Sänger, Songwriter und Gitarrist der stilbildenden Sonic Youth ein Unbekannter.
Schon zu Lebzeiten eine Ikone in den Genres No Wave, Noise- und Experimentalrock, beschränkt sich der Wahl-New Yorker jedoch schon seit langer Zeit keineswegs nur auf die legendären Sonic Youth.
Als Labelinhaber von Ecstatic Peace! verbreitet er schon in den frühen 1980ern den Output von No Wave-HeldInnen wie Lydia Lunch oder Swans-Bandleader Michael Gira. In New York besucht Thurston Moore Performances von Beat Generation-Autor William S. Burroughs und lässt sich von britischen Acts wie Wire, The Pop Group oder den Slits inspirieren.
Gemeinsam mit weiteren Sonic Youth-Mitgliedern bringt der Jahrgang 1958 das Musikmagazin Sonic Death auf den Markt. In Büchern setzt er sich mit der Musikkassettenkultur und No Wave auseinander. Später erhält er eine regelmäßige Kolumne als Musikkritiker im Arthur Magazine. Als Komponist tritt er seit 1994 auch in Sachen Filmmusik auf den Plan.
Bei den Bookern ist der geekige Songwriter dafür bekannt, für Liveauftritte bis zu 50 verschiedene Gitarren mitzubringen, um für jeden Song das perfekt passende Instrument zur Hand zu haben. Für so viel Leidenschaft zollt irgendwann auch der Gitarrenhersteller Fender Tribut: Seither steht der Thurston Moore-Jazzmaster-Sechssaiter zum Erwerb.
Früh startet er, der vom Rolling Stone- und Spin-Magazin zu einem der besten Gitarristen aller Zeiten gekürt wird, diverse Nebenprojekte. Auf die Hardcore Punk-Formation Even Worse folgen unzählige Bands und gemeinsame Unternehmen. Dabei zählen die Alt.Rock-Supergroup Dim Stars in den frühen 1990ern, das Sonic Youth-Ensemble Ciccone Youth oder das ebenfalls sehr kurzlebige Projekt YOKOKIMTHURSTON mit Bandkollegin/Ehefrau Kim Gordon und Yoko Ono zu den relevantesten.
1995 veröffentlicht Moore auf dem Hauslabel Geffen Records außerdem sein erstes Soloalbum "Psychic Hearts". Seither erscheinen in unregelmäßigen Abständen weitere Solounterfangen, insbesondere nach der schlagzeilenträchtigen Trennung von Bassistin Kim Gordon und der damit verbundenen De facto-Auflösung der Hauptband Sonic Youth in 2011.
Als Einzelkünstler schlägt der Gitarrenvirtuose mitunter gemäßigtere, weniger verzerrte, eher akustische Töne an. Anstelle der Noise-Kaskaden demonstriert er etwa auf "Demolished Thoughts" gemeinsam mit Beck sein Singer-Songwriter-Gespür. Daneben zählen J Mascis, John Zorn und Michael Gira zu seinen regelmäßigsten Kollaborateuren.
2013 veröffentlicht der Avantgardist das Debütalbum seiner neuen Gruppe Chelsea Light Moving, zuvor kommt mit der amerikanischen Black Metal-Supergroup Twilight ebenfalls ein Album heraus. Im selben Jahr lassen sich Moore und Kim Gordon, die eine gemeinsame Tochter haben, endgültig scheiden. Der Grund ist Moores Affäre mit der Britin Eva Prinz. 2014 verkündet Moore mit der Band Caught On Tape erneut ein Black Metal-Unterfangen und veröffentlicht quasi nebenher noch ein Soloalbum ("The Best Day").
Über den eigenen Output hinaus betätigt Thurston Moore sich über die Jahre unter anderem als Videoregisseur für Pavement. Seit 2008 ist er zudem Autor für den Dokumentarfilmkanal von National Geographic. Als Kurator von Musikfestivals wie den All Tomorrow's Parties oder dem Noise Against Facism-Konzert positioniert sich Moore immer wieder auch politisch. So ist z.B. die letztgenannte Veranstaltung als Symbol des Protests gegen die Amtseinführung des US-Präsidenten George W. Bush zu verstehen. Aus Protest gegen die US-Politik im Nahen Osten agiert er als Manager der Webseite Protest Records. Ab 2015 unterrichtet er auch sporadisch am Kopenhagener Rhythmic Music Conservatory.
2016 ist Moore wie so viele Beobachter geschockt, dass als 45. Präsident der Vereingten Staaten von Amerika tatsächlich der Immobilienmogul Donald Trump triumphiert und ins Weiße Haus einzieht, sein Kandidat wäre Bernie Sanders gewesen. Von da an ist Moore nicht mehr zu stoppen. Er unterschreibt wie viele andere Künstler Petitionen ("We Refuse to Accept a Fascist America") gegen Trump und postet in den Sozialen Medien haufenweise Links zu linkspolitischen oder anti-populistischen Artikeln. Dass er damit in den Kommentaren auch wüste Beschimpfungen seiner Fans erntet, lässt den Musiker kalt. Wie der alte Kämpfer Jello Biafra scheint auch Moore der Meinung zu sein, dass ernste Zeiten auch wieder verstärkte Aktivität zur Folge haben müssen. In seinen Texten spiegelt sich die politische Wut nur bedingt wider: 2017 veröffentlicht er "Rock N Roll Consciousness", das an seine bekannten Sound-Trademarks anknüpft. Zudem siedelt er nach Großbritannien über und zieht mit Prinz zusammen.
Zwei Jahre später erscheint das sechste Studioalbum "Spirit Counsel" (2019), für das Moore zusätzlich den Elektronikmusiker Jon Leidecker ins Boot holt. Bereits 2020 bejubelt die Musikpresse dann Album Nummer sieben ("By The Fire"). Und noch während Corona veröffentlicht schon das nächste Werk: Im Februar 2021 erscheint überraschend das reine Instrumentalalbum "Screen Time". Politisch bleibt der Musiker seiner Linie in all den Jahren treu: So unterstützt er den britischen Labour-Mann Jeremy Corbyn genauso wie 2022 den linken brasilianischen Präsidenschaftskandidaten Lula.
© Laut
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