Richard Strauss: Enoch Arden

Albumbeschreibung

Viel ist nicht geblieben von der kurzen Nachblüte, die das Melodram in den Jahren um 1900 in Deutschland erlebte. Max von Schillings ̓ einst berühmtes „Hexenlied“ ist heute kaum noch bekannt. Und wenn die klavierbegleitete Rezitation von Lord Tennysons „Enoch Arden“ nicht ein ähnliches Schicksal erlitten hat, ist dies wohl vor allem der Tatsache geschuldet, dass der frühberühmte Richard Strauss sie komponiert hat – 1897, also nach dem „Till“, aber noch vor seinen Welterfolgen auf der Opernbühne. Das aktuell greifbare Halbdutzend mit deutschen oder englischen Aufnahmen der viktorianischen Robinsonade ergänzt jetzt Myrios Classics um eine Neuproduktion, die als wohl letzte Studioaufnahme mit dem damals 75-jährigen schweizerischen Schauspieler Bruno Ganz viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen dürfte. Und sie wird den hohen Erwartungen, die man an den Anfang 2019 verstorbenen Träger des Iffland-Ringes zu stellen gewohnt war, voll gerecht: Seine Diktion – im unverwechselbaren Ganz-Timbre – ist von vorbildlicher Klarheit und Differenzierung, sein Vortrag höchst strategisch angelegt. Er führt den Hörer in einem langen Crescendo zu einem mächtigen Höhepunkt und zurück – da fühlt man sich fast ein bisschen an den Vortragsstil der großen alten Barden erinnert. Glänzend auch Kirill Gerstein als „untermalender“ Pianist: schwungvoll, virtuos, großzügig. So weit, so gut. Allerdings scheint es mir um das intime Aufeinander-Eingehen, das quasi kammermusikalische Miteinander der beiden Akteure nicht ähnlich optimal zu stehen, jedenfalls wirkt das Klavierspiel gelegentlich ungerührt dominierend. Wobei nicht ausgeschlossen ist, dass dieser Eindruck primär durch die Aufnahmetechnik provoziert wird, die dem Instrument einen für meine Begriffe etwas vorlauten Platz zugebilligt hat.
© Harden, Ingo / www.fonoforum.de