Modest Mussorgsky / Claire Chevallier

Albumbeschreibung

Wenn ich recht sehe, ist dies die erste Einspielung von Mussorgskys „Bildern einer Ausstellung“ auf einem Klavier der Entstehungszeit. Die Französin Claire Chevallier, bei uns bekannt geworden durch ihre Aufnahmen als Solistin und Duopartnerin Jos van Immerseels, wählte sich für ihre neue Produktion einen Flügel des deutschen, nach Sankt Petersburg emigrierten Klavierbaumeisters Jacob Becker aus dem Jahre 1875.
Es ist vor allem diese Entscheidung, die der CD des belgischen Labels Cyprès Attraktivität verleiht. Denn durch den Klang des Instruments, das im Jahr nach der Vollendung der Komposition von Mussorgskys bedeutendstem Klavierwerk fabriziert wurde, gewinnt der Zyklus nach Werken seines Malerfreundes Viktor Hartmann eine deutlich andere klangliche Erscheinungsform als gewohnt. Seine transparenten, aber weniger vordergründig „brillanten“ Höhen und eine sonore Mittellage – Chevallier fühlt sich durch sie an den runden, fülligen Klang der Blechbläsergruppe eines Orchesters erinnert – lassen die Musik insgesamt rustikaler, weniger artifiziell erscheinen.
Und die Pianistin, eine engagierte Kennerin und Sammlerin historischer Tasteninstrumente, bringt diese Eigenarten in ihrem Spiel voll zur Geltung. Manche der bekannt heiklen Stellen in Mussorgskys Klaviersatz kommen in der Aufnahme nicht ganz so überlegen heraus, wie man es von Richter bis Paul Lewis zu hören gewohnt ist. Doch umgekehrt ist auch alles aufgeregt Hochgestochene konkurrierender „moderner“ Aufnahmen vermieden. Und es wird verständlich, dass und warum ein Komponist wie Debussy Mussorgsky als einen „neugierigen Wilden“ sah, dessen „absichtslose, (...) freie Kunst“ ihm einen gangbaren Weg in die Zukunft zu öffnen schien. – Eine CD als alternative Hörwahrheit.

© Harden, Ingo / www.fonoforum.de