In finstrer Mitternacht: Brahms, Op. 5 & Op. 79

Albumbeschreibung

Vorsicht, an dieser Aufnahme könnte man leicht achtlos vorbeigehen. Zum einen, weil der norwegische Pianist Nils Anders Mortensen hierzulande noch nicht zu den großen Namen zählt, zum anderen, weil er in das Eröffnungsstück seiner Brahms-Aufnahme, die erste Rhapsodie, nicht so hineinstürmt, dass mein gleich Großes erwarten würde. Ähnlich beim verhaltenen Einstieg in die g-Moll-Rhapsodie. Das soll „molto passionato“ sein? Es gibt auf dieser SACD manche Augenblicke, die Mortensens Spiel als durchschnittsverdächtig durchgehen lassen könnten. Doch das würde zu kurz greifen.
Man wähle nur das Andante aus der dritten Klaviersonate. Mortensen nimmt auch diesen Satz eher bedächtig, nein, er lässt ihn neu entstehen, als entwerfe er diese Musik gerade zum ersten Mal, aus einem suchenden poetischen Geist heraus. Das zweite Thema in diesem Satz erscheint wie aus einer anderen Welt, und ein kleines Rubato hier oder da mag zwar verwundern, nimmt aber nichts vom Zauber, den Mortensen entfaltet. Das ist ein ganz eigener Brahms-Stil, der sich nichts vorschreiben lässt. Gerade im ersten Teil dieses Andante führt uns Mortensen in eine andere Umlaufbahn: Er tastet, er kostet, er träumt. Und das anschließende Scherzo, so kurz pointiert, wirkt wie eine schroffe Antwort, als müsse dieser Traum nun sofort weggewischt werden. Doch die glitzernden Läufe lassen, ebenso wie das Trio, erahnen: So leicht lässt sich hier nichts wegwischen. Allenfalls transformieren. In andere Welten. So wie das Finale. Mortensen entpuppt sich als sensibler Geschichtenerzähler, der nicht ein gleichmäßiges Metronom-Pochen im Hinterkopf hat, sondern die wechselnden Charaktere, die in Brahms ̓ Erzählungen auftreten. Und die sind nie einseitig. Sie sind nur eines: empfindsam. Mortensen zwingt uns, zum Teil unkonventionell, zum Hineinhören in diese Musik. Mehr davon, bitte!

© Vratz, Christoph / www.fonoforum.de