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Wir schreiben das Jahr 2019, Die Ärzte sind fette, geldgeile, alte Säcke geworden. Vor kurzem aber wurden bei Abrissarbeiten im ehemaligen Vielklang-Studio einige alte Originalaufnahmen der damals noch so jungen und sympathischen Band gefunden, die bisher noch nicht veröffentlicht wurden. So in etwa lautete die ironische Erklärung für die erste Schippe Resteverwertung auf der Rückseite des Albums "Die Ärzte Früher". Man schrieb allerdings das Jahr 1989. Die Ärzte hatten sich gerade getrennt.
2019 fühlt sich vieles ähnlich an. Die Ärzte haben ewig nichts mehr veröffentlicht, sind jetzt ganz unironisch alte Säcke geworden und haben weitere Demos - wenn auch in ihren eigenen Kellern - der damals noch so jungen und sympathischen Band gefunden. Der monetäre Aspekt mag eine Rolle gespielt haben, aber fett ist hier in erster Linie die vorliegende Deluxe-Box. "They've Given Me Schrott" richtet sich an jene Fans, denen 333 Euro für die karriereumspannende 33-CD-Box "Seitenhirsch" neulich bei aller Liebe 'nen Tacken zu teuer war. Also an mich. Jetze: drei CDs oder fünf LPs feinster Problemmüll zum Nice-Price. 60 Demos, qualitativ mitunter angemessen fragwürdig (aber trotzdem nicht im Streaming).
Geschichtsunterricht für die Generation Selfie, beginnend mit der frühesten Aufnahme überhaupt: Farin Urlaubs Kassettenrekorder-Demo von "Der lustige Astronaut" von 1978. Damals war er 15. Aus der Zeit vor den Ärzten kommt noch die kurzlebige Phase der Band Soilent Grün zu Gehör, die die Punkkarte respektloser Texte schon gut absteckt: "Erwin hat keine / Arme und Beine", grölt etwa Bela B., bevor Farin in "FDJ Punx" mit Ost-Akzent losholpert: "Wir sind die Punks aus der DDR / Unser Leder ist schwarz, unsere Stiefel sind schwer / Wir tanzen, dass die Erde bebt, denn Sid Vicious ist tot und Honecker lebt."
Apropos respektlos: Der nie offiziell erschienene Song über "die schönste aller Frau'n", nämlich "Eva Braun", Fans vor allem als Liveversion bekannt, ist hier als (rumpelige) Studioversion vertreten. Die spielten BelaFarinSahnie extra für die TV-Sendung "The Tube" ein, da Großbritannien (aus unerfindlichen Gründen ...) gerade an diesem Song immenses Interesse zeigte.
Was auf die deutsche Musikwelt zukam, die sich nichtsahnend in Öko-Rock und NDW suhlte, belegt das allererste Interview 1983 beim SFB. Jugendliche blödeln sich um den Verstand, Bela stellt Farin als Milchtrinker bloß, der glaubwürdige, weil saufende und ins Publikum spuckende Punkrocker wie ihn einfach gebraucht habe. Der Kollege wiederum schwadroniert ungerührt von einer Prophezeiung, Die Ärzte seien ähnlich der drei Weisen aus dem Morgenland gekommen, "um die Welt zu missionieren." True story.
Es liegt in der Natur der Sache, dass manch unveröffentlichter Song sein Schicksal nicht ohne Grund erduldete. Womit wir bei "Füße vom Tisch" sind, der SFB-Auftragsarbeit "Gib mir nichts" oder Skurrilitäten wie die extra für das "Debil"-Album aufgenommenen Schwachsinns-Jingles. Andererseits: Hat jemand hier die Dialektik der Aufklärung erwartet?
Brachial banal, im Kern aber wahr, so könnte man Zeilen wie "Ein Mann mit Gipsbein ist ein einsamer Mann / weil man mit Gipsbein nicht mal duschen kann" kommentieren. Nicht umsonst schimpfte man diese Typen Bravo-Punks. Schon in den 80ern gab es übrigens einen englischsprachigen Song: "Du Willst Mich Küssen" wurde in der Erinnerung seiner Schöpfer in der vagen Hoffnung übersetzt, auch einmal vom Goethe-Institut nach China oder Israel kutschiert zu werden.
Voll Elan stellt man sich der neuen Aufgabe: Da wird die Zeile "Ich war gerade auf dem Weg / in die Stadtbibliothek" zu "I was on my way you see / to the public library". Das ist rückblickend natürlich nicht frei von Komik, legt aber auch schon nahe, dass der englischsprachige Weg, den Bela und Farin später mit Depp Jones und King Kong einschlugen, ein steiniger werden würde.
Ganz groß ist "Wie am ersten Tag" ohne Drumcomputer, nur mehrstimmig mit Gitarre. "Rennen, nicht laufen" kommt ohne die Halleffekte der Albumversion knackiger rüber und Belas schöner Loser-Song "Verlierer müssen leiden" blieb 1984 nur unveröffentlicht, weil mit "Mr. Sexpistols" plötzlich noch ein schönerer Verlierersong da war, wie Farin im Booklet erklärt. In den selbst verfassten Anekdoten der Protagonisten liegt (wieder einmal) ein Großteil des ganzen Schrott-Vergnügens.
Cool auch die Frühversion von "Ich bin reich" mit stark verändertem Text. Farin reimt "Angelika" auf "Kaviar". Das Ende des Songs fährt Nettigkeiten auf wie "Halt's Maul, du Schwachkopf" oder "Schauze, da hinten". "Monsterparty" kommt nicht an die Unplugged-Version ran, "Helgoland" ist als Demo schon frappierend nah an "Westerland" und "Buddy Holly's Brille" hatte in einer missglückten Autogrammstunde seinen Ursprung: Da aufgrund von fehlender Popularität kein einziger Fan auftauchte, durfte sich jedes Bandmitglied einen Tonträger aussuchen. Farins Wahl fiel auf eine Buddy-Holly-Box, die auch Bela wochenlang genießen durfte, da die beiden damals noch in einer gemeinsamen WG lebten.
"Norma Jean" wurde 1986 nicht für "Die Ärzte" berücksichtigt, was eher am Thema als an der zumindest B-Seiten-würdigen Popnummer gelegen haben muss. Die bessere Marilyn-Monroe-Hommage sei "Für Immer" gewesen. Der "Schunder-Song" ist auch von 1986? Natürlich nicht, aber "Peter Parker" legt beredtes Zeugnis davon ab, wie man aus schwächlichen Songexperimenten das Beste herausholt, um später die Gitarrenline für einen waschechten Hit zweitzuverwerten. Nur nix verkommen lassen.
Eine Jugendsünde nannte der früh geschasste Bassist Sahnie vor wenigen Jahren seine Zeit bei Die Ärzte in einem Interview. Da macht sich ein Titel wie "Sahnie (Ein bisschen schwierig so)" natürlich gut in der Tracklist. Ein kurzes Gag-Demo von Rod Gonzalez, dem 1997 zufällig ein Interview-Tape seines Vorvorgängers in die Hände fiel: "Die Quintessenz des Interviews war für mich: Sahnie wollte zum Tina-Turner-Konzert gehen, war aber verhindert. Warum? Ist ein bisschen schwierig so", kommentiert Rod süffisant. Seine eigenen (ernst gemeinten?) Demos "Bingo Lady 2.0", "Angriff der Fett-Teenager" oder das Big Beat-Geballer in "Bang Bang (Instrumental)" dagegen, nun, ist ein bisschen schwierig so. Das gemeinsam mit Farin entstandene "Techno ist die Hölle, mein Sohn" entschädigt zumindest etwas.
Ebenfalls kommen (einzig zu Belas Freude) hier erstmals die englischsprachigen Ärzte-Songs aus den 90er Jahren ans Tageslicht, als die Band ganz kurz ganz ernsthaft darüber nachdachte, ähnlich den Toten Hosen das Ausland mit einem Album zu missionieren. Das zu "Cry For Love" umfunktionierte "Schrei nach Liebe" enthalten sie uns hier zwar vor, man kann sich den Rest aber denken, wenn man etwa "Close Your Eyes Again" (im Original: "Mach die Augen zu") hört.
Auch aus Belas unveröffentlichten Social Distortion-Fansongs "No Secrets" und "Love & Pain" hört man vor allem die Bemühungen der Gruppe heraus, Sprache und Musik in bekannter Manier zusammen zu bringen. "German Punks" und "Let's Go Too Far" kommen in diesem Outtakes-Umfeld trotzdem gut. "Schrott" liefert somit für Fans aller Ärzte-Schaffensphasen (bis 2003) Hoch- und Tiefpunkte am laufenden Band. Have fun or fa-fa-fa-fuck you!
© Laut
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Farin Urlaub, Composer, Lyricist - Die Ärzte, MainArtist - Pms Musikverlag, MusicPublisher
2019 Hot Action Records GmbH 2019 Hot Action Records GmbH
Farin Urlaub, Composer, Lyricist - Die Ärzte, MainArtist - Pms Musikverlag, MusicPublisher
2019 Hot Action Records GmbH 2019 Hot Action Records GmbH
Albumbeschreibung
Wir schreiben das Jahr 2019, Die Ärzte sind fette, geldgeile, alte Säcke geworden. Vor kurzem aber wurden bei Abrissarbeiten im ehemaligen Vielklang-Studio einige alte Originalaufnahmen der damals noch so jungen und sympathischen Band gefunden, die bisher noch nicht veröffentlicht wurden. So in etwa lautete die ironische Erklärung für die erste Schippe Resteverwertung auf der Rückseite des Albums "Die Ärzte Früher". Man schrieb allerdings das Jahr 1989. Die Ärzte hatten sich gerade getrennt.
2019 fühlt sich vieles ähnlich an. Die Ärzte haben ewig nichts mehr veröffentlicht, sind jetzt ganz unironisch alte Säcke geworden und haben weitere Demos - wenn auch in ihren eigenen Kellern - der damals noch so jungen und sympathischen Band gefunden. Der monetäre Aspekt mag eine Rolle gespielt haben, aber fett ist hier in erster Linie die vorliegende Deluxe-Box. "They've Given Me Schrott" richtet sich an jene Fans, denen 333 Euro für die karriereumspannende 33-CD-Box "Seitenhirsch" neulich bei aller Liebe 'nen Tacken zu teuer war. Also an mich. Jetze: drei CDs oder fünf LPs feinster Problemmüll zum Nice-Price. 60 Demos, qualitativ mitunter angemessen fragwürdig (aber trotzdem nicht im Streaming).
Geschichtsunterricht für die Generation Selfie, beginnend mit der frühesten Aufnahme überhaupt: Farin Urlaubs Kassettenrekorder-Demo von "Der lustige Astronaut" von 1978. Damals war er 15. Aus der Zeit vor den Ärzten kommt noch die kurzlebige Phase der Band Soilent Grün zu Gehör, die die Punkkarte respektloser Texte schon gut absteckt: "Erwin hat keine / Arme und Beine", grölt etwa Bela B., bevor Farin in "FDJ Punx" mit Ost-Akzent losholpert: "Wir sind die Punks aus der DDR / Unser Leder ist schwarz, unsere Stiefel sind schwer / Wir tanzen, dass die Erde bebt, denn Sid Vicious ist tot und Honecker lebt."
Apropos respektlos: Der nie offiziell erschienene Song über "die schönste aller Frau'n", nämlich "Eva Braun", Fans vor allem als Liveversion bekannt, ist hier als (rumpelige) Studioversion vertreten. Die spielten BelaFarinSahnie extra für die TV-Sendung "The Tube" ein, da Großbritannien (aus unerfindlichen Gründen ...) gerade an diesem Song immenses Interesse zeigte.
Was auf die deutsche Musikwelt zukam, die sich nichtsahnend in Öko-Rock und NDW suhlte, belegt das allererste Interview 1983 beim SFB. Jugendliche blödeln sich um den Verstand, Bela stellt Farin als Milchtrinker bloß, der glaubwürdige, weil saufende und ins Publikum spuckende Punkrocker wie ihn einfach gebraucht habe. Der Kollege wiederum schwadroniert ungerührt von einer Prophezeiung, Die Ärzte seien ähnlich der drei Weisen aus dem Morgenland gekommen, "um die Welt zu missionieren." True story.
Es liegt in der Natur der Sache, dass manch unveröffentlichter Song sein Schicksal nicht ohne Grund erduldete. Womit wir bei "Füße vom Tisch" sind, der SFB-Auftragsarbeit "Gib mir nichts" oder Skurrilitäten wie die extra für das "Debil"-Album aufgenommenen Schwachsinns-Jingles. Andererseits: Hat jemand hier die Dialektik der Aufklärung erwartet?
Brachial banal, im Kern aber wahr, so könnte man Zeilen wie "Ein Mann mit Gipsbein ist ein einsamer Mann / weil man mit Gipsbein nicht mal duschen kann" kommentieren. Nicht umsonst schimpfte man diese Typen Bravo-Punks. Schon in den 80ern gab es übrigens einen englischsprachigen Song: "Du Willst Mich Küssen" wurde in der Erinnerung seiner Schöpfer in der vagen Hoffnung übersetzt, auch einmal vom Goethe-Institut nach China oder Israel kutschiert zu werden.
Voll Elan stellt man sich der neuen Aufgabe: Da wird die Zeile "Ich war gerade auf dem Weg / in die Stadtbibliothek" zu "I was on my way you see / to the public library". Das ist rückblickend natürlich nicht frei von Komik, legt aber auch schon nahe, dass der englischsprachige Weg, den Bela und Farin später mit Depp Jones und King Kong einschlugen, ein steiniger werden würde.
Ganz groß ist "Wie am ersten Tag" ohne Drumcomputer, nur mehrstimmig mit Gitarre. "Rennen, nicht laufen" kommt ohne die Halleffekte der Albumversion knackiger rüber und Belas schöner Loser-Song "Verlierer müssen leiden" blieb 1984 nur unveröffentlicht, weil mit "Mr. Sexpistols" plötzlich noch ein schönerer Verlierersong da war, wie Farin im Booklet erklärt. In den selbst verfassten Anekdoten der Protagonisten liegt (wieder einmal) ein Großteil des ganzen Schrott-Vergnügens.
Cool auch die Frühversion von "Ich bin reich" mit stark verändertem Text. Farin reimt "Angelika" auf "Kaviar". Das Ende des Songs fährt Nettigkeiten auf wie "Halt's Maul, du Schwachkopf" oder "Schauze, da hinten". "Monsterparty" kommt nicht an die Unplugged-Version ran, "Helgoland" ist als Demo schon frappierend nah an "Westerland" und "Buddy Holly's Brille" hatte in einer missglückten Autogrammstunde seinen Ursprung: Da aufgrund von fehlender Popularität kein einziger Fan auftauchte, durfte sich jedes Bandmitglied einen Tonträger aussuchen. Farins Wahl fiel auf eine Buddy-Holly-Box, die auch Bela wochenlang genießen durfte, da die beiden damals noch in einer gemeinsamen WG lebten.
"Norma Jean" wurde 1986 nicht für "Die Ärzte" berücksichtigt, was eher am Thema als an der zumindest B-Seiten-würdigen Popnummer gelegen haben muss. Die bessere Marilyn-Monroe-Hommage sei "Für Immer" gewesen. Der "Schunder-Song" ist auch von 1986? Natürlich nicht, aber "Peter Parker" legt beredtes Zeugnis davon ab, wie man aus schwächlichen Songexperimenten das Beste herausholt, um später die Gitarrenline für einen waschechten Hit zweitzuverwerten. Nur nix verkommen lassen.
Eine Jugendsünde nannte der früh geschasste Bassist Sahnie vor wenigen Jahren seine Zeit bei Die Ärzte in einem Interview. Da macht sich ein Titel wie "Sahnie (Ein bisschen schwierig so)" natürlich gut in der Tracklist. Ein kurzes Gag-Demo von Rod Gonzalez, dem 1997 zufällig ein Interview-Tape seines Vorvorgängers in die Hände fiel: "Die Quintessenz des Interviews war für mich: Sahnie wollte zum Tina-Turner-Konzert gehen, war aber verhindert. Warum? Ist ein bisschen schwierig so", kommentiert Rod süffisant. Seine eigenen (ernst gemeinten?) Demos "Bingo Lady 2.0", "Angriff der Fett-Teenager" oder das Big Beat-Geballer in "Bang Bang (Instrumental)" dagegen, nun, ist ein bisschen schwierig so. Das gemeinsam mit Farin entstandene "Techno ist die Hölle, mein Sohn" entschädigt zumindest etwas.
Ebenfalls kommen (einzig zu Belas Freude) hier erstmals die englischsprachigen Ärzte-Songs aus den 90er Jahren ans Tageslicht, als die Band ganz kurz ganz ernsthaft darüber nachdachte, ähnlich den Toten Hosen das Ausland mit einem Album zu missionieren. Das zu "Cry For Love" umfunktionierte "Schrei nach Liebe" enthalten sie uns hier zwar vor, man kann sich den Rest aber denken, wenn man etwa "Close Your Eyes Again" (im Original: "Mach die Augen zu") hört.
Auch aus Belas unveröffentlichten Social Distortion-Fansongs "No Secrets" und "Love & Pain" hört man vor allem die Bemühungen der Gruppe heraus, Sprache und Musik in bekannter Manier zusammen zu bringen. "German Punks" und "Let's Go Too Far" kommen in diesem Outtakes-Umfeld trotzdem gut. "Schrott" liefert somit für Fans aller Ärzte-Schaffensphasen (bis 2003) Hoch- und Tiefpunkte am laufenden Band. Have fun or fa-fa-fa-fuck you!
© Laut
Informationen zu dem Album
- 1 Disc(s) - 2 Track(s)
- Gesamte Laufzeit: 00:06:11
- Künstler: die ärzte
- Komponist: Farin Urlaub
- Label: Hot Action Records
- Genre: Pop/Rock Rock
2019 Hot Action Records GmbH 2019 Hot Action Records GmbH
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