Laibach
Seit ihrer Gründung 1980 im damals noch kommunistischen Jugoslawien haben Laibach immer wieder Konventionen gebrochen und Barrieren überschritten. Das Künstlerkollektiv "Neue Slowenische Kunst" (NSK), als Teil dessen sich Laibach verstehen, erhebt das Spiel mit der Ideologie zur höchsten Kunst und eckt dementsprechend oft an. Die einerseits affirmative, andererseits aber auch zutiefst ironische Ästhetik der NSK prägt das Künstlerkollektiv bis heute.
Laibach entstammen der Bergarbeiterstadt Trbovlje, wo sich 1980 erste Spuren ihres Treibens finden, als Tomaz Hostnik sich mit Gleichgesinnten zu einem losen Kollektiv zu formieren. Noch bevor Laibach mit ihrem ersten Fernsehauftritt 1983 zum landesweiten Gesprächsthema werden, begeht Hostnik im Alter von 21 Jahren Selbstmord. Kurz darauf stößt Sänger Milan Fras zur Band, der nun neben Ivan Novak, Dejan Knez, Ervin Markosek Laibach verkörpert. Laibach, der musikalische Teil der 1984 offiziell gegründeten NSK, wird dank ständiger Skandale zwar schnell am populärsten, es existieren jedoch auch Untergliederungen für Theater, Philosphie, Tanz, Malerei, Skulptur, Architektur ...
Die mit totalitären Symbolen überladene Ästhetik von Laibachkunst hat es freilich nicht leicht unter einer Diktatur, und so finden die meisten Austellungen/Konzerte ein vorschnelles Ende. Im Ausland hingegen bauen sich Laibach seit ihrer "Occupied Europe Tour" 1983 eine solide Fanschar auf. Releases auf dem belgischen Laylah-Label, wo auch Current 93 ihre Frühwerke veröffentlichen, und auf Brian Lustmords Side Effekts Label machen Laibach in der Industrialszene bekannt.
Die von militärischen Trommeln durchzogenen Lärmkollagen wie sie für die erste Phase bis zu "Slovenska Akropola" 1987 typisch sind, stoßen bei Fans von Throbbing Gristle, SPK oder Nurse With Wound auf offene Ohren. Die auf dem Hamburger Label Walter Ulbricht Schallfolien erschienene Box "Rekapitulacija 1980 - 1984" dokumentiert die ersten Jahre umfassend. 1985 werden Laibach nach Hamburg eingeladen, wo sie auf dem Neu Konservatiw-Festival auftreten.
Ab Mitte der 80er Jahre weicht die technische Industrieästhetik einem betont ironischen und poppigen Rückgriff auf Klassiker der Musikgeschichte, wie Queens "One Vision" oder "Get Back" von den Beatles. Doch spätestens mit dem Ende des Kommunismus in Osteuropa, rückt für Laibach, die inzwischen beim anerkannten Mute Label in London unter Vertrag sind, die Beschäftigung mit westlichen Ideologien in den Vordergrund, wie auf "Das Kapital" 1992 und "Nato" 1994, die sich musikalisch zugänglicher geben als ihre frühen Alben.
Angesichts der staatlichen Auflösungserscheinungen in Jugoslawien proklamiert die NSK im Juli 1992 ihren eigenen virtuellen Staat, der seither Reisepässe und Briefmarken ausgibt und auch seine eigene Währung besitzt. Musikalisch prägt das Jahrzehnt des Techno auch Laibach zunehmend und den strengen militärischen Gestus früherer Tage ersetzt eine tanzbare Leichtigkeit, die überrascht. Nach dem Album "Jesus Christ Superstat" 1996 stürzen sich die Laibach Mitglieder in eine Reihe von Nebenprojekten, so dass es zunächst zu keiner weiteren Laibach-Veröffentlichung kommt, von Re-Release des Backkataloges einmal abgesehen. Erst 2003 melden sich Laibach mit dem von Umek co-produzierten Album "WAT" wieder zurück.
Dann geht es aber auch wieder richtig los, schon 2004 stehen sie nach einer Europatour im April auch auf amerikanischen Bühnen. Nach der Best-Of "Anthems", treten sie im Sommer 2005 zum ersten Mal in Spanien und Portugal auf und auch das Buch "Interrogation Machine - Laibach And NSK" erscheint endlich zumindest auch in englisch, nachdem das Original auf slovenisch schon 2003 erschienen ist. Bevor sie sich an eine neue Veröffentlichung von Laibach machen, erscheint ein weiteres Album eines Nebenprojekts und auch die nächste DVD namens "Devided States Of America" ist soweit schon fertig.
Ende Oktober erscheint aber zunächst "Volk". Dabei handelt es sich um ein Album, auf dem insgesamt 14 Nationalhymnen von Laibach neu interpretiert werden. Dass von den Originalmelodien meist nichts übrige bleibt und manch sozialkritischer Unterton dabei aufkommt, ist keine Überraschung. Die nächste Europatour steht derweil schon für den Herbst an.
Die Besucher kommen 2007 in Scharen zur Volktour der Slowenen. Trotz der starken Resonanz lassen Laibach es danach erst einmal ruhiger angehen. Eine Hommage an JS Bach hier; ein paar Soloaktivitäten dort. Erst 2012 melden sie sich mit einem Knall zurück. Zur deutsch-finnischen Naziploitation Satire "Iron Sky" steuern sie ein gleichnamiges Album bei. Der Soundtrack zwischen Volkslied, Neoklassik und Industrial entfaltet ebenso viel skandalöses wie künstlerisches Potential. Die 'Rammstein für Erwachsene' sind damit wieder in aller Munde.
Von hier aus geht es mit einem Coup weiter, der ihnen für alle Zeiten einen Platz in den Geschichtsbüchern beschert. Denn 2015 spielen sie als erste westliche "Rock"-Band überhaupt im komplett abgeschotteten Pjöngjang. Vor den Augen des nordkoreanischen GröFaZ Kim spulen sie ihr NSK-Programm ohne nennenswerte Zensur ab und veralbern den anwesenden Diktator dermaßen subtil, dass er es nicht bemerkt. Nach ihrem schillernden Intermezzo hinter dem Reisvorhang haben sie scheinbar jede Nuance der sarkastischen Spiegelung totalitären Denkens von rechts bis links ausgeschöpft.
Aber eben nur scheinbar! Denn Laibach sind Weltmeister der Dialektik und finden immer neue Synthesen und Antithesen zum Weltgeschehen und eigenen Wirken. Bereits 2017 macht das Kollektiv weiter mit der Produktion einer erneuten Soundtrackarbeit. Diesmal geht es um Friedrich Nietzsches "Also Sprach Zarathustra". Die Platte ist der perfekte Schachzug zum optimalen Zeitpunkt. Denn wie kein anderer vereint der umstrittene deutsche Philosoph alle Widersprüchlichkeit in sich.
Für die einen ist "Zarathustra" die absolute Befreiung des Denkens und Handelns, für andere die Verkörperung einer soziopathischen, totalitären und bellizistischen Gesinnung. Für Laibach ist es ein gefundenes Fressen, dem eigenen Katalog ein weiteres Juwel hinzu zu fügen. Statt auf grellen Sound oder typisches Getöse setzen sie mit "Also Sprach Zarathustra" auf eine musikalische Umsetzung, die man für ihre Verhältnisse als nahezu fluffig beschreiben kann.
Im selben Jahr erscheint mit "Liberation Day" eine Filmdokumentation zu dem Konzert in Pjöngjang. 2018 melden sich Laibach dann mit "The Sound Of Music" auch auf Platte wieder zurück. Dabei handelt es sich um ihre Version des gleichnamigen Musicalfilms. Beim Konzert in Pjöngjang spielten die Slowenen mehrere Songs aus dem Soundtrack des Films von 1965, der auch zu einer der bekanntesten und beliebtesten Streifen in Nordkorea zählt. Mit "Party Songs" kommt 2019 eine ergänzende EP auf den Markt.
Am 8. Februar 2020 feiert die Theaterproduktion "Wir sind das Volk" im Hebbel im Ufer in Berlin ihre Uraufführung. Die basiert auf den Texten des DDR-Dramatikers Heiner Müller (1929-1995). Mit Müller haben Laibach schon 1984 zusammengearbeitet, als sie für das Slowenische Nationaltheater in Ljubljana Musik zu seinem zwei Jahre zuvor am Bochumer Schauspielhaus uraufgeführten Stück "Quartett" schrieben, das auf Pierre-Ambroise-François Choderlos de Laclos Briefroman "Gefährliche Liebschaften" aus dem Jahr 1782 basiert. Müller bot ihnen daraufhin im Folgejahr eine Zusammenarbeit für eine zukünftige Inszenierung an, die allerdings nie zu Stande kam, bis die Leiterin der Internationalen Heiner Müller-Gesellschaft, Anja Quickert, ihnen eine posthume Theaterproduktion vorschlug.
Musik aus der Produktion bündeln sie 2022 unter dem Zusatz "Ein Musical aus Deutschland" zu einem Album. Das beschwört mit abgründigen, von Tod, Verfall und Verderben durchzogenen Klängen und Worten die düsteren Geister der Geschichte herauf. Schon im Januar erscheint mit "Sketches Of The Red Districts" eine neue Platte. Die hat die konfliktreiche Entstehungsgeschichte des Kollektivs in der Industriestadt Trbovlje im Jahr 1980 zum Thema. Nur knapp drei Wochen später führen die Slowenen auf der EP "Love Is Still Alive" durch sämtliche "Weltraum"-Musikgenres der letzten Jahrzehnte. Für das Kurzformat haben sie den gleichnamigen Song aus dem Film "Iron Sky: The Coming Race" gleich achtmal bearbeitet. Die Musik, die sie für den Film selbst eingespielt haben, veröffentlichen sie zusammen mit einen eigens entwickelten Videospiel im Laufe des Jahres.
Laibach bleiben kontrovers und provokativ, aber auch experimentell und am Puls der Zeit.
© Laut
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