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Geständnis vorab: Ich habe in meinem ganzen Deutschrap-Leben noch kein einziges Marsimoto-Album gehört. Vielleicht, weil schon Marteria mir immer nur in kleinen Dosen getaugt und die Fantasie von einem Reggae-Marteria mit nerviger Gimmick-Stimme mich als Pitch echt nicht überzeugt hat. Ich habe also nachgearbeitet und stelle fest: Verdammt, das war die ganze Zeit so gut? Qualitätsmäßig nimmt das die OG-Marteria-Diskographie ziemlich auseinander, fürchte ich. Auch auf diesem neuen Album, "Keine Intelligenz": Marsimoto macht quasi einfach nur ein bisschen albernere Marteria-Tracks und sidesteppt damit dessen größte Schwäche: das Pathos.
Also, nicht, dass das nicht versucht, sich irgendwie über die Hintertür doch einen Weg auf dieses Album zu zwacken. Denn hört, hört: Das hier ist so etwas wie ein politisches Album. Es ist regelrecht climate fiction, wenn das kleine grüne Männchen künstliche Intelligenz und den Ökotod unseres Planetens moniert. Themen, die man durchaus in Musik verarbeiten sollte, aber Marsis 4/20-Weed-ist-jetzt-legal-Album wäre wahrscheinlich nicht die würdevollste Bühne, um all-out-politisch zu gehen.
Kleine Anekdote: An besagtem 4/20 kamen mein Cousin und ich tatsächlich aus Versehen am Abend am Brandenburger Tor vorbei, wo gerade eine Pro-Gras-Kundgebung stattfand. Zehn mäßig talentierte Ska-Atzen standen auf der Bühne und haben zu ihrer sehr weißen Darbietung von Blechbläser-Rock Sachen gesungen wie "ACAB! ACAB! Kiffen ist die Revolution! Kiffen ist die Revolution!" Zehn Bullen in Kampfmontur standen demonstrativ gelangweilt daneben und haben ihren Job mal so richtig gehasst. Augen auf bei der Berufswahl!
Ich erzähle das, weil: In diesem Album haben wir es mit zwei Gehirnen zu tun. Einmal ist da der nüchterne Marteria, der gern ein Konzeptalbum machen würde, mit Gesellschaftskritik, und ein bisschen überspitzt zieht dieses Gehirn zum Ska-Band-Pol. Und dann ist da aber zum Glück noch das Marsi-Gehirn, und das grüne Kraut zerfasert alle Ansätze von Storytelling einfach im Kein zu absurd komischem Blödsinn, so dass wir uns darauf konzentrieren können, was dieses Album stark macht: ein Haufen hysterischer Wortspiele, eng geführt am Draht der dreist-unterhaltsamsten Zweckreime der Welt. Und die besten Beats im Game.
Wir haben es außerdem auch mit "das Gehirn von Gucci Mane", "das Gehirn von Kurt Cobain" und "das Gehirn von meine Katze frisst nur Lachstartar" zu tun, aber das nur am Rande. "Keine Intelligenz" klingt umwerfend. Das jahrzehntealte deutsche Chanson-Sample auf Opener "Heile Welt" sinkt in die Bässe wie die letzten Eisbergkuppen ins Meer, so geht auditives Storytelling. Der BoomBap-Beat auf "Colors" macht den schepperndsten Rucksackträger-Rap seit Genetikk 2013. "Jacky" ringt sogar Sido mal wieder einen Part ab, der klingt, als sei Rap eine Sache, die er gerne macht. Es geschehen Zeichen und Wunder auf diesem Album!
Ich werde nun einfach durchgehen und zu guten Soundentscheidungen beglückwünschen: "KI (Keine Intelligenz)" reiht Lines über theoretisch tagesaktuelle Themen aneinander, vermeidet aber den Zeigefinger, indem man nie ganz sagen kann, was die Lines eigentlich genau sagen sollen. Erinnert mit dem irre coolen Jungle-Beat ein bisschen an die besten Facetten von Deichkind. Legende DJ Koze darf auf "Mushroom No. 5" Haywire auf seiner 808 gehen, "My Big Fett Green Edding" setzt das ... recht offensichtliche, aber wunderbare Trackkonzept übers Taggen als unwiderstehlichen Kopfnicker um. Nach 15 Tracks verzeihe ich ihm die zwei kitschigen Abschlusstracks dann auch im Gesamtkonzept. Aber das ist das Ding: Man baut auf zu einem Song wie "Greenstar". Man haut Leuten nicht gleich ein "Niemand Bringt Marten Um" auf den Kopf.
Wenn ich vor diesem Projekt etwas über Marsimoto wusste, dann nur den Diskurs, dass Leute ja nicht damit kommen sollen, er würde ja nur Madlibs Quasimoto rippen, weil das ja alles so total anders klingt. Überraschenderweise kam es mir tatsächlich so vor, als stecke sehr viel mehr von der künstlerischen DNA Madlibs in diesem Konzept als das Alter Ego und die hochgepitchte Stimme.
Marsi gibt Marteria den Raum, ein wenig mehr der dadaistische Spitter zu sein, der offensichtlich seit "Halloziehnation" in ihm gesteckt hat, und ich habe vor diesen Tapes noch nie so sehr gehört, was für ein MC eigentlich in Marteria steckt. "MC" meine ich nicht im rucksackträgerigen Sinn des Wortes. Genau wie, wenn Madlib auf DOOM-Tracks dazwischenfunkt, scheint auch die cartoonische Aura von Marsi ihm einen gewissen Druck von den Schultern zu nehmen. Was dann am Mic passiert, ist lockerer, lustiger und ironischerweise genau deswegen stimmungsvoller.
Gepaart mit dem wirklich irre guten Sound fügt sich "Keine Intelligenz" nahtlos in diese schockierend gute Marsimoto-Diskographie ein. Die hat zwar, zugegeben, nichts wahnsinnig Dringendes mitzuteilen, gehört aber locker zu den unterhaltsamsten Deutschrap-Arbeitsregistern, mit denen ich es bisher zu tun hatte. Wenn das, wie angekündigt, das Abschieds-Album ist, dann darf das Marsmännchen seinen Ruhestand erhobener Maske antreten.
© Laut
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Marsimoto, Writer, MainArtist
© 2024 MARMUSIC GmbH under exclusive license to BMG Rights Management GmbH ℗ 2024 MARMUSIC under exclusive license to BMG Rights Management GmbH
David Conen, Composer - Vincent von Schlippenbach, Composer - Dirk Berger, Composer, Guitar, Electric Bass - Andi Jung, Engineer - The Krauts, Producer - Marsimoto, Composer, Writer, MainArtist - Joana Emetz, Author - Yasha Conen, Author - Nobodys Face, Composer, Producer - Hajo Bötticher, Writer - Nils Rudolf Glashagen, Writer - Thomas Runkel, Writer
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Marsimoto, Writer, MainArtist
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Sido, FeaturedArtist - Marteria, FeaturedArtist - Marsimoto, Writer, MainArtist
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Sebastian Krajewski, Composer - Marsimoto, Writer, MainArtist
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DJ Koze, Vocals, FeaturedArtist - Marsimoto, Writer, MainArtist
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© 2024 MARMUSIC GmbH under exclusive license to BMG Rights Management GmbH ℗ 2024 MARMUSIC under exclusive license to BMG Rights Management GmbH
Albumbeschreibung
Geständnis vorab: Ich habe in meinem ganzen Deutschrap-Leben noch kein einziges Marsimoto-Album gehört. Vielleicht, weil schon Marteria mir immer nur in kleinen Dosen getaugt und die Fantasie von einem Reggae-Marteria mit nerviger Gimmick-Stimme mich als Pitch echt nicht überzeugt hat. Ich habe also nachgearbeitet und stelle fest: Verdammt, das war die ganze Zeit so gut? Qualitätsmäßig nimmt das die OG-Marteria-Diskographie ziemlich auseinander, fürchte ich. Auch auf diesem neuen Album, "Keine Intelligenz": Marsimoto macht quasi einfach nur ein bisschen albernere Marteria-Tracks und sidesteppt damit dessen größte Schwäche: das Pathos.
Also, nicht, dass das nicht versucht, sich irgendwie über die Hintertür doch einen Weg auf dieses Album zu zwacken. Denn hört, hört: Das hier ist so etwas wie ein politisches Album. Es ist regelrecht climate fiction, wenn das kleine grüne Männchen künstliche Intelligenz und den Ökotod unseres Planetens moniert. Themen, die man durchaus in Musik verarbeiten sollte, aber Marsis 4/20-Weed-ist-jetzt-legal-Album wäre wahrscheinlich nicht die würdevollste Bühne, um all-out-politisch zu gehen.
Kleine Anekdote: An besagtem 4/20 kamen mein Cousin und ich tatsächlich aus Versehen am Abend am Brandenburger Tor vorbei, wo gerade eine Pro-Gras-Kundgebung stattfand. Zehn mäßig talentierte Ska-Atzen standen auf der Bühne und haben zu ihrer sehr weißen Darbietung von Blechbläser-Rock Sachen gesungen wie "ACAB! ACAB! Kiffen ist die Revolution! Kiffen ist die Revolution!" Zehn Bullen in Kampfmontur standen demonstrativ gelangweilt daneben und haben ihren Job mal so richtig gehasst. Augen auf bei der Berufswahl!
Ich erzähle das, weil: In diesem Album haben wir es mit zwei Gehirnen zu tun. Einmal ist da der nüchterne Marteria, der gern ein Konzeptalbum machen würde, mit Gesellschaftskritik, und ein bisschen überspitzt zieht dieses Gehirn zum Ska-Band-Pol. Und dann ist da aber zum Glück noch das Marsi-Gehirn, und das grüne Kraut zerfasert alle Ansätze von Storytelling einfach im Kein zu absurd komischem Blödsinn, so dass wir uns darauf konzentrieren können, was dieses Album stark macht: ein Haufen hysterischer Wortspiele, eng geführt am Draht der dreist-unterhaltsamsten Zweckreime der Welt. Und die besten Beats im Game.
Wir haben es außerdem auch mit "das Gehirn von Gucci Mane", "das Gehirn von Kurt Cobain" und "das Gehirn von meine Katze frisst nur Lachstartar" zu tun, aber das nur am Rande. "Keine Intelligenz" klingt umwerfend. Das jahrzehntealte deutsche Chanson-Sample auf Opener "Heile Welt" sinkt in die Bässe wie die letzten Eisbergkuppen ins Meer, so geht auditives Storytelling. Der BoomBap-Beat auf "Colors" macht den schepperndsten Rucksackträger-Rap seit Genetikk 2013. "Jacky" ringt sogar Sido mal wieder einen Part ab, der klingt, als sei Rap eine Sache, die er gerne macht. Es geschehen Zeichen und Wunder auf diesem Album!
Ich werde nun einfach durchgehen und zu guten Soundentscheidungen beglückwünschen: "KI (Keine Intelligenz)" reiht Lines über theoretisch tagesaktuelle Themen aneinander, vermeidet aber den Zeigefinger, indem man nie ganz sagen kann, was die Lines eigentlich genau sagen sollen. Erinnert mit dem irre coolen Jungle-Beat ein bisschen an die besten Facetten von Deichkind. Legende DJ Koze darf auf "Mushroom No. 5" Haywire auf seiner 808 gehen, "My Big Fett Green Edding" setzt das ... recht offensichtliche, aber wunderbare Trackkonzept übers Taggen als unwiderstehlichen Kopfnicker um. Nach 15 Tracks verzeihe ich ihm die zwei kitschigen Abschlusstracks dann auch im Gesamtkonzept. Aber das ist das Ding: Man baut auf zu einem Song wie "Greenstar". Man haut Leuten nicht gleich ein "Niemand Bringt Marten Um" auf den Kopf.
Wenn ich vor diesem Projekt etwas über Marsimoto wusste, dann nur den Diskurs, dass Leute ja nicht damit kommen sollen, er würde ja nur Madlibs Quasimoto rippen, weil das ja alles so total anders klingt. Überraschenderweise kam es mir tatsächlich so vor, als stecke sehr viel mehr von der künstlerischen DNA Madlibs in diesem Konzept als das Alter Ego und die hochgepitchte Stimme.
Marsi gibt Marteria den Raum, ein wenig mehr der dadaistische Spitter zu sein, der offensichtlich seit "Halloziehnation" in ihm gesteckt hat, und ich habe vor diesen Tapes noch nie so sehr gehört, was für ein MC eigentlich in Marteria steckt. "MC" meine ich nicht im rucksackträgerigen Sinn des Wortes. Genau wie, wenn Madlib auf DOOM-Tracks dazwischenfunkt, scheint auch die cartoonische Aura von Marsi ihm einen gewissen Druck von den Schultern zu nehmen. Was dann am Mic passiert, ist lockerer, lustiger und ironischerweise genau deswegen stimmungsvoller.
Gepaart mit dem wirklich irre guten Sound fügt sich "Keine Intelligenz" nahtlos in diese schockierend gute Marsimoto-Diskographie ein. Die hat zwar, zugegeben, nichts wahnsinnig Dringendes mitzuteilen, gehört aber locker zu den unterhaltsamsten Deutschrap-Arbeitsregistern, mit denen ich es bisher zu tun hatte. Wenn das, wie angekündigt, das Abschieds-Album ist, dann darf das Marsmännchen seinen Ruhestand erhobener Maske antreten.
© Laut
Informationen zu dem Album
- 1 Disc(s) - 17 Track(s)
- Gesamte Laufzeit: 00:50:28
- Künstler: Marsimoto
- Komponist: Various Composers
- Label: BMG Rights Management GmbH
- Genre: Hip-Hop/Rap
© 2024 MARMUSIC GmbH under exclusive license to BMG Rights Management GmbH ℗ 2024 MARMUSIC GmbH under exclusive license to BMG Rights Management GmbH
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