Sylvan Esso
"Was war das größte Risiko, das ihr in eurem Leben eingegangen seid?", lautet eine Frage im Interview mit Sylvan Esso, kurz bevor sie ihr zweites Album auf den Markt bringen. Einstimmig antworten die beiden: "Der Umzug nach North Carolina". Der Rückzug, wenn man so will. Denn sowohl Sängerin Amelia Meath als auch Produzent Nick Sanborn stammen zwar aus den ruralen Gebieten um Durham, bewegten sich aber in frühen Stadien ihrer musikalischen Entwicklung in verschiedene Richtungen aus dem Bundesstaat fort.
Sanborn zieht es durch das Land, um als Made of Oak elektronische Musik zu produzieren, Fuß zu fassen in einer übersättigten Szene. Meath hingegen findet sich recht bald in Brooklyn wieder, wird Teil der Mountain Man-Formation, in der sie moderaten Erfolg in der Folk-Community haben soll.
Als die beiden sich 2012 begegnen, scheint also nichts darauf hinzudeuten, dass die Musik der beiden irgendeinen gemeinsamen Nenner abseits ihrer Herkunft haben könnte. Und doch – eine gewisse Synergie macht sich bemerkbar. Aus langsamen, ängstlichen Schritten formt sich eine zunehmend konkrete Idee, die Idee einer Band: Sylvan Esso.
Fasst man die Talente beider nämlich zusammen, entsteht ein unaufdringlicher Indie-Pop-Sound, der auf klaren, detaillierten Elektro-Texturen fußt, aber durch Meaths melodischen, entspannten Gesang in eine völlig andere Richtung geschlagen wird. Als Meath nach einer längeren Phase als Tour-Support für Feist schließlich einen bezahlbaren Wohnraum sucht, findet sie Unterkunft bei Sanborn. Und wo? In Durham, North Carolina - Sylvan Esso wurde an diesem Tag eine deutlich konkretere Vision.
Singles wie "Hey Mami" und "Coffee" entwickeln sich als ihre ersten Projekte direkt zu absoluten Überraschungserfolgen. Sie nutzen das Momentum und produzieren ein Debüt-Album, "Sylvan Esso" titeln die beiden es nach ihnen selbst und gehen damit auch prompt einen ganzen Frühling auf Tour. Es folgt großes Lob von Kritikern, einen Auftritt bei Jimmy Fallon und eine stetig wachsende Fanbase für das Duo. Dieses legt folgerichtig auch direkt zwei weitere Singles nach.
Anfang 2016 erscheinen zwei Videos, Rücken an Rücken: "Radio" und "Kick Jump Twist" deuten eine entwickelte, ausdefinierte Version von Sylvan Esso an. Allerdings sollte es noch ein weiteres Jahr an Festival-Gigs, Interviews und Arbeitszeit dauern, bis der Nachfolger für "Sylvan Esso" erscheint.
Als es 2017 dann so weit ist, stellt die Band endgültig einen Namen in der Indie-Szene dar. "What Now?" stellt Kritiker wie Fans gleichermaßen zufrieden, liefert mit "Die Young" und "The Glow" direkt zwei weitere Videosingles und bietet genug Material, um im Sommer des selben Jahres eine akustische EP aus Session-Aufnahmen zu basteln: "Echo Mountain Sessions“ titeln die fünf Tracks, auf denen "What Now?"-Songs mit analogen Instrumenten zu komplett neuen Klängen und Formen neu interpretiert wurden.
Es hätte ja auch anders laufen können. Die beiden hätten Sylvan Esso nie ins Leben rufen müssen, wahrscheinlich hätten sie in ihren eigenen Sparten und Genres auch so spannende, erfolgreiche Wege gehen können. Aber gerade das macht das Projekt Sylvan Esso nur umso interessanter: Die Fusion zweier völlig verschiedener Pole zu einem Produkt, das gleichzeitig völlig homogen wirkt, und dennoch wie nichts klingt, das man bisher gehört hätte. Also: What now?
© Laut
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