Trettmann
Im Karriere-Herbst noch einmal neue Dinge auszuprobieren hielten schon viele Musiker für eine gute Idee. Bewahrheitet hat sich das nur für die wenigsten. Doch Ausnahmen bestätigen ja bekanntlich die Regel. Trettmann ist so eine.
Am 9. Oktober 1973 erblickt er in Obergräfenhain als Stefan Richter das Licht der Welt. Seine Jugend erlebte er in einer Plattenbausiedlung in Karl-Marx Stadt (heute: Chemnitz). Die Tristesse des damals noch isolierten Ostens prägt ihn nachhaltig und beeinflusst die Ausrichtung seiner späteren Karriere-Renaissance.
Anfangs heißt es aber erst einmal, die Trostlosigkeit mit guter Laune zu bekämpfen. Unter dem Namen Ronny Trettmann beginnt er seine Karriere. Stark sächselnd und vollgepackt mit Klischees persifliert er 2006 mit seiner Single "Sommer Ist Für Alle Da" das Reggae-Genre und generiert mit 20.000 Klicks in kürzester Zeit einen viralen Hit. Seine anschließenden Versuche, Jamaika in den Osten zu bringen, verschaffen ihm zwar eine loyale Fanbase, der große Erfolg bleibt jedoch jahrelang aus.
Erst als er beschließt, seinen musikalischen Horizont zu erweitern und sich Stück für Stück in die umkämpften Gefilde des deutschen Hip Hops wagt, findet er verstärkt Anerkennung in der Szene. Der Name 'Ronny' bleibt bei dieser Neuorientierung auf der Strecke. Auch wenn er zu diesem Zeitpunkt eher zur älteren Garde des Sprechgesangs zählt, kollaboriert er bevorzugt mit Künstlern der deutschen 'Newschool'. Geprägt vom französischen Dancehall oder amerikanischer Trap-Musik stellt er 2016 mit Singles wie "120 Jahre" oder "Daneben" die Weichen für seinen bald folgenden explosiven Erfolg.
"#DIY" nennt sich das Album, das 2017 erscheint und die deutsche Musikszene nachhaltig beeinflusst. Trettmann hat sein Debüt zwar schon lange hinter sich, aber dennoch fühlt sich seine erste LP unter neuem Alias wie ein grundlegender Neuanfang an. Vergessen sind die frühere Glückseligkeit und sympathisch verstrahlte Grundstimmung von Trettis Musik. Er besinnt sich auf seine Herkunft, wird politisch und traut sich musikalisch festgefahrene Strukturen zu lockern.
Mitverantwortlich dafür sind Kitschkrieg, Trettmanns bevorzugtes Produzenten-Trio. Die Berliner basteln dem Sachsen maßgeschneiderte Instrumentals voller Melancholie und Schwarz-Weiß-Romantik. Ihre Produktionen kann man gerne als wegweisend bezeichnen, denn der kollaborative Sound von "#DIY" setzt neue Maßstäbe in der deutschen Musik.
Es hagelt Lorbeeren seitens der Kritiker und Streaming-Zahlen in Millionenhöhe seitens der Fans. Trettmann hat den Vulkan, auf dem er einst getanzt hat, fast im Alleingang erklommen und sitzt seit einigen Jahren fast allein an der Spitze. Hinter der Musik steht in erster Linie er selbst. Der Name seines Durchbruch-Albums kommt schließlich nicht von ungefähr.
2019 ist der Trettmann-Sound schon längst Konsens. Trittbrettfahrer, wohin das Auge reicht. Man spricht schon von Trettmannisierung. Der Einfluss des Mittvierzigers übersteigt alle Erwartungen. Doch der zeigt keinerlei Anzeichen von Altersschwäche. Seinem früheren Mantra bleibt er weiterhin treu: "Kurze Releasefrequenzen helfen, agil zu bleiben".
So ist es kein Wunder, dass er im selben Jahr neues Material liefert. Sein zweites selbstbetiteltes Album "Trettmann" erscheint im September. Erneut stellt er sich selbst in den Mittelpunkt, und man gönnt ihm eine gute Prise Egomanie auf jeden Fall.
Dann kommt die Corona-Pandemie und bremst Trettmann wie so viele andere Musiker komplett aus. Seine ab Mai 2022 geplante Tour muss er aus gesundheitlichen Gründen ebenso absagen wie einen Auftritt bei Rock am Ring. Das eigentlich für den Herbst angekündigte Album erscheint schließlich im März 2023: Auf "Insomnia" verarbeitet Trettmann nach eigener Aussage u.a. die Trennung seiner langjährigen Partnerin.
© Laut
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