Der isländische Pianist widmet sein neues Album J.S. Bachs “Goldberg Variations” — und führt somit die Reihe der legendären Einspielungen des zeitlosen Meisterwerkes fort. Ein Lebenstraum, der sich nach 25 Jahren für Víkingur Ólafsson erfüllt.

Seit seinem Teenageralter war es der Traum des isländischen Pianisten, die Goldberg-Variationen von J.S. Bach aufzunehmen — nun geht dieser mit seiner Aufnahme bei der Deutschen Grammophon in Erfüllung. Víkingur Ólafsson, der seit 2016 exklusiv bei dem deutschen Klassiklabel unter Vertrag steht, hatte bereits 2018 dem großen barocken Komponisten ein Album gewidmet. Nach einigen Ausflügen in andere Repertoires und Epochen wie auf Debussy – Rameau oder Mozart & Contemporaries sowie Konzeptalben mit traditionellen Kompositionen und Volksliedern wie beispielsweise From Afar, kehrt der Pianist nun wieder zu einem Schlüsselwerk der barocken Musikgeschichte zurück.

Wagt man sich an eine Einspielung der Goldberg-Variationen heran, so kommt man wohl oder übel nicht an die bereits legendären Aufnahmen vorbei — allen voran Glenn Gould, der seit eh und je auf seinem Thron glänzt und die Variationen gleich zweimal eingespielte (1956 und kurz vor seinem Tod, 1981). Doch auch in den Jahrzehnten davor und danach wandelte das Werk durch verschiedene Epochen, historische Kontexte, künstlerische Strömungen und herausragenden Interpreten und Interpretinnen, wie Claudio Arrau, Wilhelm Kempff, András Schiff (gleich zwei Mal, 1983 bei Decca und 1986 bei ECM), Rosalyn Tureck oder in den letzten Generation Lars Vogt und Igor Levit — um nur einige von ihnen zu nennen.Die Goldberg-Variationen wurden 1741 von Bach als vierter und letzter Teil seiner Clavier-Übung, die sich insgesamt über zehn Jahr hinstreckte, veröffentlicht und umfassen 30 Variationen, die sich über das schlichte harmonische Gerüst einer einfach Aria, die am Anfang vorgestellt wird, erstrecken. Und obwohl das Werk oberflächlich von einer formalen Strenge determiniert zu sein scheint, verlangen die einzelnen Stücke in sich jedoch eine « Art interpretative Improvisation », die laut Ólafsson ein Zeugnis von Bachs « künstlerische Humor » darstellen.

“Denen Liebhaber zur Gemüths-Ergetzung verfertiget ”

— J. S. Bach über die Goldberg-Variationen, 1741

Ohne in irgendwelche Fußstapfen treten zu wollen, präsentiert uns Ólafsson seine ganz individuelle und intime Variante — frei von historischen Prinzipien und geleitet von einer intuitiven, organischen Interpretation, die den Virtuosen mit dem Stück und über sich hinauswachsen lässt. Er selbst berichtet: « Es [das Werk] ist wie das Bild einer mächtigen Eiche [...], lebendig und dynamisch, mit flexiblen, erneuerbaren Formen, mit Blättern, die sich ständig entfalten, um durch eine metaphysische, die Zeit manipulierende Photosynthese musikalischen Sauerstoff für ihre Bewunderer zu produzieren. »

Zeitlose Kompositionen — wie die Goldberg-Variationen — wachsen mit jeder Generation weiter und werden mit jeder Interpretation neu zum Leben erweckt, weit über ihre Urheber:innen hinaus. So gliedert sich auch Ólafssons Aufnahme in die Reihe der meisterhaften Einspielungen, in ihrer einzigartigen Kreativität und anhaltenden Intensität, die Bachs Meisterwerk ein weiteres Mal erstrahlen lassen. Unser Album der Woche!